© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Ländersache: Saarland
Grenzüberschreitend gereizt
Christian Schreiber

Im Saarland gibt es ein geflügeltes Wortspiel: „Saarvoir vivre“ heißt es gerne, wenn die Einheimischen über ihre Lebensqualität sprechen und sich damit dem französischen Motto „wissen, wie man lebt“ bedienen. Nirgendwo sonst in der Bundesrepublik sind die Grenzen auch aufgrund der Vergangenheit derart fließend. Zehntausende Arbeitnehmer strömen täglich aus Lothringen ins Saarland, umgekehrt haben ebenso viele Saarländer ihren Wohnsitz auch aus steuerlichen Gründen jenseits der Grenze verlegt. 

Doch seit Corona ist alles anders. Als die französische Regierung Anfang März massive Ausgangsbeschränkungen verhängte, waren im Saarland Restaurants, Kneipen und Baumärkte noch offen. Die Folge: Die Lothringer stürmten in Kompaniestärke in die Altstädte von Saarbrücken und Saarlouis. Das ging so lange, bis Innenminister Klaus Bouillon (CDU) der Geduldsfaden riß. In Abstimmung mit Bundesinnenminister Horst Seehofer setzte „Bulli“ die Schließung aller Grenzen durch. Das hat weitreichende Folgen. Tausende Saarländer benötigen einen Passierschein, um zu ihrer Arbeitsstelle zu gelangen, und müssen teilweise Wartezeiten von mehr als einer Stunde in Kauf nehmen. 

Seitdem tobt im Saarland eine Meinungsschlacht. Absolut „anti-europäisch“ sei die Haltung der Regierung, tobte FDP-Landeschef Oliver Luksic. Die Stimmung an der Saar ist gereizt. Seit dort zumindest einige Geschäfte wieder geöffnet haben, fing die Bundespolizei an den Grenzübergängen pro Tag mehrere hundert Franzosen ab, die „ohne triftigen Grund“ einreisen wollten. Die Saarbrücker Zeitung berichtete, es habe verbale Übergriffe auf französische Arbeitnehmer gegeben. Diese seien teilweise als „Virenschleudern“ beschimpft worden. Einer soll  als „dreckiger Franzose“ bezeichnet worden sein – von einem Grenzbeamten. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Als sich Berichte mehrten, französische Autos seien mit Eiern beworfen worden, schaltete sich Bundesaußenminister Heiko Maas – selbst Saarländer – in die Debatte ein. Solch ein Verhalten tue ihm weh. 

Im Gegenzug ist auch die Regionalregierung von „Grand Est“ nicht gerade zimperlich. Während das Bundesinnenministerium mittlerweile die Einreisebestimmungen um den Besuch der Kernfamilie erweitert hat, gilt an den französischen Grenzen weiterhin keine Lockerung. Menschen aus Deutschland können ihre Familien oder Lebenspartner in Frankreich auch weiterhin nicht besuchen. Deutsche, die eine Ferienwohnung an einem der Seen in der Grenzregion haben, dürfen diese nicht aufsuchen. 

Die Stimmung ist derart gereizt, daß sich Christophe Arend aus der französischen Grenzstadt Forbach an die Innenminister beider Staaten gewandt hat. Er ist Abgeordneter der Pariser Nationalversammlung und Mitglied des deutsch-französischen Parlamentarierrats. Ein Virus kenne keine Grenzen, sagte der Mediziner, sowenig wie eine radioaktive Wolke Grenzen kenne. Da müsse man schon zusammenarbeiten. Saar-Wirtschaftsministerin Anke Rehlinger (SPD) spricht mittlerweile offen von einer Belastungsprobe für die gesamte Region. „Und es liegt an uns, dafür zu sorgen, daß es nicht mehr wird als eine Belastungsprobe.“ Ihre Hoffnung: Sobald der Alltag wieder zurückgekehrt sei, werde man wieder „zu unserem normalen Miteinander finden“.