© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Zwischen Reichstag und Kanzleramt
Kein Prosit der Gemütlichkeit
Paul Rosen

Die Corona-Schutzmaßnahmen machen selbst vor der noblen Parlamentarischen Gesellschaft nicht halt. Das noble Restaurant des Abgeordneten-Clubs im ehemaligen Reichstagspräsidenten-Palais gegenüber dem Reichstag ist geschlossen. Überhaupt sieht es im politischen Berlin so aus, als wenn „Schmalhans“ für längere Zeit Küchenmeister bleiben wird. Denn wo sich früher die Grills unter der Last von Steaks und Würstchen bogen, Kellner die Tabletts mit edlen Rotweinen und Bierkrügen kaum noch schleppen konnten, passiert jetzt – gar nichts. 

Kleine und große Events sind abgesagt, schlechte Zeiten für – wie die Bayern sagen – Freibiergesichter. Eine der letzten größeren Veranstaltungen dürfte das „Fischessen am Aschermittwoch“ in der Bayerischen Landesvertretung gewesen sein. Seitdem ist Fastenzeit, über Ostern hinaus. Der morgendliche Griff in die Terminmappen förderte früher jede Menge Einladungen zu sogenannten Parlamentarischen Abenden, Frühstücken und Mittagessen von Verbänden etwa der Wirtschaft zutage. Die Mappen sind heutzutage leer, so als wäre die ganze Woche Sonntag.  

Das Regierungs- und Parlamentsviertel dürfte noch längere Zeit so ausgestorben wirken wie sonst kurz vor Weihnachten. Inzwischen werden sogar die ganz großen Sommer-Veranstaltungen abgesagt. So läßt der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) das begehrte Sommerfest in der Vertretung des Landes Nordrhein-Westfalen, bei dem sich sonst in jedem Jahr mehrere tausend Besucher tummelten, ausfallen. Auch ein weiterer Ministerpräsident dreht in diesem Jahr den Zapfhahn zu: Der bayerische Regierungschef Markus Söder (CSU) hat den Berliner Auftakt zum Münchener Oktoberfest abgesagt. 

Dieses Fest in der Vertretung des Freistaates Bayern beim Bund in der Behrenstraße in Berlin-Mitte galt als Höhepunkt der Freibiersaison für das politische Berlin – der Gerstensaft floß in Strömen, und es gab so viele bayerische Spezialitäten – angefangen vom Ochsen vom Spieß bis zum Obatzter, daß kein Magen das gesamte Angebot verkraften konnte. 

Aber wenn schon die Original-Wiesn in München in diesem Jahr ausfällt, dann kann es natürlich auch das kleine Vorfest in der Hauptstadt nicht geben.Auch andere große Landesvertretungen haben alles abgesagt. So verzichtet die baden-württembergische Vertretung auf ihre „Stallwächterparty“, zu der Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) am 2. Juli rund 1.500 Gäste zu freiem Speis und Trank begrüßen wollte. Die Landesvertretung hat ihren Betrieb komplett eingestellt, auch kleinere Veranstaltungen wie ein Spargelessen werden nicht mehr stattfinden.

Wie lange die Festpause dauern wird, ist unklar. So gibt es bereits Gerüchte, der Ende November anstehende Bundespresseball könne abgesagt werden, da in den beengten Räumlichkeiten des Hotels Adlon das Abstandsgebot kaum eingehalten werden kann – es sei denn, die Veranstaltung würde zum Venezianischen Maskenball umfirmiert.