© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Auf einmal Gastarbeiter
Australien: Schluß mit lustig – europäische Rucksacktouristen erleben die Rezession in „Down Under“
Jörg Sobolewski

Harrison Unfield ist aufgebracht, heute habe er „von Australiern gesagt bekommen, daß er gefälligst nach Hause gehen solle, wenn er keine Arbeit habe.“ Andere Nutzer auf der Facebookseite für Rucksacktouristen in Australien pflichten ihm bei und berichten von „rassistischen und xenophoben“ Verbalangriffen. 

Aus dem Paradies für Backpacker ist, wie es scheint, ein Mordor geworden. Ein Ort, an dem Ausländer angegriffen und verfolgt werden. Aus Sicht vieler Diskutanten ist die Lage klar: Genauso wie Australier auch, hätten sie einen Anspruch auf staatliche Unterstützung in dieser Krise. Auch Australier seien schließlich Migranten und überhaupt, diese Krise sei doch eine internationale und daher sei auch internationale Solidarität fällig. 

Premier Morrison: „Dann gehen Sie doch nach Hause“ 

Doch in Australien stößt diese These nicht auf Gegenliebe, im Gegenteil. Der australische Premier Scott Morrison gab den jungen Touristen letzthin einen Rat: „Wenn Sie sich hier nicht aus eigener Kraft finanziell über Wasser halten können, dann ist es an der Zeit, nach Hause zurückzukehren.“ Ein Sturm der Empörung in der digitalen Backpacker-Filterblase war ihm sicher. 

Tatsächlich offenbaren diese Krise und ihre Reaktion darauf einige interessante, wenn auch unbequeme Wahrheiten der Backpacker-Gemeinde in Australien. Denn am Anfang stand nicht der Wunsch nach möglichst vielen neuen, jungen Besuchern mit schmalem Geldbeutel, sondern der Hunger der australischen Landwirtschaft nach kräftigen und vor allem günstigen Arbeitskräften für die Erntesaison. 

„Down Under“ ist abgeschnitten von den üblichen Reservoirs an Erntehelfern aus Osteuropa oder Nordafrika. Papua-Neuguinea eignet sich aufgrund der schwierigen politischen Lage nicht als Herkunft für klassische Saisonarbeitskräfte, und das asiatische Wachstum hat in der Vergangenheit den größten Anteil an Wanderarbeitern aufgesogen. 

Doch glücklicherweise gab es in der fernen europäischen Heimat eine große Gruppe junger Männer und Frauen, die gern jede Arbeit angenommen hätten, um nur eine Möglichkeit zu bekommen, dieses riesige – und gleichwohl recht teure – Land am anderen Ende der Welt zu besuchen: die Idee der Working Holiday Visa (WHV) war geboren. 

Eine für beide Seiten profitable Einrichtung, die den Farmern in Australien einen steten Nachschub an Orangen-, Äpfel- und Avocadopflückern verschaffte und gleichzeitig für so manchen jungen Erwachsenen aus England, Deutschland oder Frankreich den Erstkontakt mit einem mehr oder weniger geregelten Erwerbsleben bot.  Von einigen schwarzen Schafen auf Arbeitgeber- oder Arbeitnehmerseite abgesehen, ein Erfolgsmodell. Über 321.000 Inhaber von WHV kommen jedes Jahr nach Australien, ein gutes Zehntel davon aus Deutschland, und gehen meist schwer mit Erinnerungen und Erfahrungen beladen ein oder zwei Jahre später nach Hause. 

Doch dabei vergessen die jungen Backpacker gern, weswegen man sie eigentlich gerufen hat. Sie sind unqualifizierte Arbeitskräfte, Saisonarbeiter und füllen damit die Lücke, die in ihren Heimatländern von Arbeitskräften aus Rumänien, Bulgarien oder der Ukraine gefüllt wird. Ihr Status ist gekoppelt an Arbeit und nicht in erster Linie an Vergnügen, und die australische Regierung hat in der Vergangenheit keinen Zweifel daran gelassen, wie sie mit unerwünschten Ausländern zu verfahren gedenkt. 

Europäische Mittelschichtkinder finden sich nun rezessionsbedingt in einer Realität wieder, die ihnen nicht bekannt war. Sie sind überflüssige Arbeitskräfte, die gegenüber den einheimischen, arbeitslosen Australiern in einem entscheidenden Punkt im Nachteil sind: Sie sind Ausländer und damit im Regelfall nicht berechtigt, Sozialhilfe zu beziehen. Anders als in Europa wird in Australien ein großzügiger Umgang mit sozialer Hilfe bisher größtenteils abgelehnt. 

Ignoranz der Corona-Regeln fördert Unmut des Aussies 

Diese unbequeme Wahrheit führt nun zu einem stellenweise surrealen Konflikt zwischen den Backpackern, die sich damit abfinden, und jenen, die mit skurrilen Streikaufrufen versuchen die australische Regierung gewissermaßen zur Öffnung der sozialen Fleischtöpfe zu zwingen. „Sie dürfen uns nicht einfach aus der Sozialhilfe ausschließen! Das ist Diskriminierung!“ Die junge Rucksacktouristin aus Birmingham ist erschüttert. „Wir haben genauso ein Recht darauf wie alle anderen!“ Doch nicht bei allen Schicksalsgenossen stößt diese Aussage auf Unterstützung. Ein junger Pole fährt ihr barsch über den Mund: „Wir sind ausländische Arbeitskräfte, Australien schuldet uns gar nichts! Wir arbeiten und erhalten einen Lohn – alles andere ist Träumerei.“

Die Momentaufnahmen aus der Backpacker-Szene zeigen deutlich ein paar der künftigen politischen Konfliktlinien. Einige der jungen Rucksackreisenden kommen aus Generationen, die sich eine Anspruchshaltung angewöhnt haben. Auf jede noch so abwegige Forderung muß Rücksicht genommen werden. Wo dies nicht erfolgt, ist der Vorwurf des Rassismus nicht weit. 

Der wiederum bringt diejenigen Backpacker auf den Plan, die sich als Anwälte beliebiger farbiger Minderheiten sehen. „Rassismus ist dies nun nicht, beide Seiten sind ja weiß“, werfen sie ein und werden umgehend von den weniger Toleranzgeschulten niedergebrüllt. 

Sicherlich, gastfreundlich sind nicht alle Australier. Die harsche Natur und die abgelegene Lage haben einen robusten Menschentyp hervorgebracht, der üblicherweise für verletzte Gefühle wenig Geduld aufbringt und manchmal grob wirkt. Die jugendliche Gewohnheit, den Corona-Lockdown weitgehend zu ignorieren und auf den Dachterrassen von Jugendherbergen Corona-Partys zu feiern, hat dem Ansehen des internationalen Backpackers weiteren Schaden zugefügt. Sie brächten die „Seuche ins Land“, werfen gerade auf dem Land einige Australier den modernen Wanderarbeitern vor. 

Dennoch, von einer „Pogromstimmung“, die einige Backpacker ausmachen, kann keine Rede sein. Auch ein Anruf bei der Polizei im bevölkerungsreichsten Bundesstaat New South Wales bringt Klarheit. Von einem „deutlichen Anstieg der Gewalt zwischen Australiern und Ausländern“ könne „keine Rede sein“, wie die freundliche Dame am Telefon bestätigt. Ganz im Gegenteil,  im großen und ganzen würden sich alle Seiten an die Regeln halten. 

Mittlerweile ist auch an der finanziellen Front eine deutliche Beruhigung eingetreten. Nach einer kurzfristigen Gesetzesänderung können Backpacker nun vor der Zeit auf ihre Pensionskasse zurückgreifen. In die zahlt nämlich jeder WHV-Arbeitnehmer einen ordentlichen Batzen seines Lohnes zwangsweise ein. Zu guter Letzt hat auch noch der links- liberale Bundesstaat Tasmanien angekündigt, auch ausländische Backpacker zu sozialhilfeberechtigten Bürgern zu erklären.