© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Ordnungspolitische Todsünden
Geldpolitik: Der Ökonom Dirk Meyer präsentiert in seinem neuen Buch Analysen und Konzepte für einen Neuanfang in der Eurozone
Joachim Starbatty

Wer sich für die europäische Integration und die Währungsunion interessiert, kann an Dirk Meyers Buch nicht vorbeigehen. Er hat deren Werdegang in den beiden letzten Jahrzehnten intensiv verfolgt, analysiert und kritisch kommentiert. Ich kenne kein Buch, in dem die politische Entwicklung, die rechtlichen Kontroversen sowie die wirtschaftlichen Verwerfungen in der Eurozone so detailliert dargestellt werden. Zwar ist die Lektüre komplexer ökonomischer und rechtlicher Sachverhalte nicht jedermanns Sache, doch der VWL-Professor von der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg erleichtert den Zugang zur Materie durch kurze Einleitungen und Zusammenfassungen der einzelnen Kapitel. Umfassende Literaturangaben geben dem Spezialisten hinreichend Möglichkeit zur Vertiefung.

Meyers Buch ist gerade in der Corona-Krise aktuell. Über die rechtlichen Voraussetzungen und wirtschaftlichen Folgen der EZB-Bazooka (die faktisch unbegrenzte Liquiditätsschwemme), die Erfolgsaussichten des Umbaus des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in einen Währungsfonds (EWF) und die Einführung von Coronabonds (gemeinschaftliche Anleihen der Eurogruppe zur Hebung der Kreditfähigkeit überschuldeter Eurostaaten) kann sich der Leser die gewünschte Auskunft holen.

Das Buch wird von einer zentralen Idee getragen: Das Friedensprojekt Euro­pa – geboren aus den Erfahrungen vergangener Kriege und Konflikte – werde durch das Einheitsgeld Euro bedroht. Helmut Kohl hatte es als Friedensbringer ausgelobt. Der Euro sollte die Integration vertiefen, hat sich jedoch als Spaltpilz erwiesen. Während die Mehrheit der Politiker in Brüssel „mehr Europa“ will, das heißt mehr Kompetenzen für die EU-Kommission und das Europaparlament (EP), plädiert Meyer für eine, allerdings nur scheinbare, Desintegration. Er will über die Auflösung der jetzigen Form des Euro und dessen konzeptionelle Neugestaltung eine neue gelingende Integration auf einem Fundament von Rechtsstaat, Demokratie und Gewaltenteilung voranbringen. Zwar wird in Brüssel immer die Rechtsstaatlichkeit beschworen, wenn es aber darauf ankommt, sorgen sich die Politiker nicht um die Europäischen Verträge, sondern fragen sich, was nötig sei, um die Eurozone zu sichern und Griechenland in der Eurozone zu halten.

Eine Auflösung der jetzigen Form der Währungsunion?

Meyer zeigt den Demokratieverlust: „Wir sind auf dem Wege in eine quasi monarchistische, absolutistische Demokratur“, zitiert er Arnulf Baring zur Gesetzgebungspraxis des Bundestages. Dieser hat der Umstülpung der Rechtsgrundlagen der Währungsunion und der Aufstellung eines sRettungsschirms durch den Europäischen Rat in der Nacht vom 7. auf den 8. Mai 2010 zugestimmt, ohne daß ein Gesetzentwurf dafür vorlag. An dem wurde noch in Londoner Rechtsanwaltskanzleien gearbeitet. Die gesamte Prozedur hat Angela Merkel unter das Motto gestellt: „Wenn der Euro scheitert, scheitert Europa.“

Meyer attackiert diese Politik der Alternativlosigkeit, weil sie grundlegende Korrekturen in Richtung eines tragfähigen währungspolitischen Fundaments ausschließe. Sie ist für Meyer selbst die Ursache der brüchigen Währungsunion, die mit immer neuen Interventionen den Zusammenbruch nicht aufhalte, sondern den Weg in die Haftungs- und Schuldenunion planiere. Auf der Tagesordnung stehen eine EU-Arbeitslosenversicherung, die dauerhafte Transfers zum Ausgleich eines strukturellen Defizits von Staatshaushalt und Leistungsbilanz erfordere, die Umwandlung des ESM in einen EWF, der den Einfluß von Kommission und EP stärke und strikte Regeln durch diskretionäre Politik, das heißt der jeweiligen wirtschaftlichen Situation angepaßte Investitionspolitik ersetze, und schließlich die umstrittenen Coronabonds – eine ordnungspolitische Todsünde, da das Prinzip Haftung außer Kraft gesetzt werde, ohne die eine marktwirtschaftliche Ordnung zu einer sozialistischen mutiere. Meyers Buch bestätigt eindrucksvoll die These von Ludwig von Mises, daß Regierungen bei Eingriffen in den Preismechanismus Interventionsspiralen auslösen, deren Ende nicht abzusehen ist. Daher ist Meyers Forderung nach Auflösung der jetzigen Form des Euro nur schlüssig.

Er sieht eine einvernehmliche Entlassung eines Mitgliedstaates aus der Währungsunion als rechtmäßig an. Das Bundesverfassungsgericht ist in seinem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 weiter gegangen: Bei einem Scheitern der Stabilitätsgemeinschaft stünden institutionelle Vorkehrungen einem Austritt nicht entgegen. Meyer verschweigt nicht die mit einem Euroaustritt verbundenen Kosten und Risiken. Einen Ausweg sieht er im Parallelwährungskonzept, das auf flexiblen Wechselkursen zwischen Euro und nationaler Währung basieren müsse, damit sich unterschiedliche Politiken in der Wechselkursentwicklung widerspiegeln. Hier kann man Meyer nur beipflichten.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist Ökonom und war Abgeordneter des EU-Parlaments.

Dirk Meyer: Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise. Springer Fachmedien, Wiesbaden 2020, broschiert, 588 Seiten, 27,99 Euro