© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Von heiter bis tränenreich
Operette: Zum 150. Geburtstag des Komponisten und Militärkapellmeisters Franz Lehár
Ullrich Westerhagen

Der große Militärkapellmeister und begnadete Operettenkomponist wurde am 30. April 1870 in Komorn (Donau) (heute: Komárno in der Slowakei) in dem damaligen Königreich Ungarn der k.u.k. Monarchie geboren, wohin Vater Franz (sen.) versetzt worden war. Franz (jun.) war das erste Kind des Militärkapellmeisters Franz Lehár und dessen ungarischer, deutschstämmiger Ehefrau Christine Neubrandt. Aus dieser Ehe gingen noch sechs weitere Kinder hervor, von denen lediglich Emmy und Anton am Leben blieben. 

Der kleine Franz fällt schon als Kind durch Intelligenz und Musikalität auf, besucht zunächst das Gymnasium in Budapest, wohin der Vater versetzt worden war, und erhält kurz darauf im Alter von nur zwölf Jahren als Frühbegabter einen Freiplatz am Konservatorium in Prag. Der ihm vorauseilende Ruf eines kleinen Wunderkindes à la Mozart führt dazu, daß er bereits mit 18 Jahren seine Abschlußprüfung mit Auszeichnung besteht und umgehend als Konzertmeister am Stadttheater Barmen (heute Wuppertal) engagiert wird. Doch bereits 1890, also im zarten Alter von nur zwanzig Jahren, wird er Kollege seines Vaters und k.u.k. Militärkapellmeister des 25. Infanterieregiments in Losoncz (heute: Lu?enec, Mittelslowakei). Damit schlägt er alle Karriererekorde und wird der jüngste Militärkapellmeister aller Zeiten der Donaumonarchie. 

„Die lustige Witwe“ machte ihn weltbekannt

Zur selben Zeit entscheidet sich auch sein Bruder Anton für eine Militärlaufbahn. Dieser macht später im Kaiserreich der Habsburger als Berufsoffizier eine blendende Karriere, wird vom Kaiser in den Adelsstand erhoben (Baron) und beendet seine Militärlaufbahn als Generalmajor und Ritter des „Militär-Maria-Theresia-Ordens“. Sein älterer Bruder Franz macht sich in seiner ersten militärischen Verwendung in kurzer Zeit einen Namen als Komponist von Märschen, Tänzen, Liedern und komponiert mit „Rodrigo“ auch seine erste Oper.

Das Kriegsministerium wird auf ihn aufmerksam und versetzt ihn nach Pola (heute: Pula/Kroatien), dem Kriegshafen der Monarchie. Dies stellt eine ganz besondere Ehre und hohe Auszeichnung dar. Denn dieses Marinestabsmusikkorps vertritt 1895 die Habsburger Monarchie bei der Einweihung des „Kaiser-Wilhelm-Kanals“ (heute: Nord-Ostsee-Kanal) im Deutschen Reich.

Nach Rückkehr des Marinegeschwaders von dieser Reise beginnt nun die erste kreative Phase von Operettenkompositionen mit „Kukuschka“ (1896), „Wiener Frauen“ und „Der Rastelbinder“ (beide 1902), „Der Göttergatte“ und „Die Juxheirat“ (beide 1904). Das Jahr 1905 stellt für ihn eine Doppelzäsur dar. Zunächst lernt er seine spätere Frau Sophie kennen, gleichzeitig erfolgt der große Durchbruch mit der am Theater an der Wien uraufgeführten dreiaktigen Operette „Die lustige Witwe“, die ihn weltbekannt macht und deren Erfolg bis heute in den Theatern andauert. Die nachfolgenden Werke „Der Graf von Luxemburg“ (1909), „Zigeunerliebe“ (1910) und „Eva“ (1911) festigen seinen Ruf als Komponist.

Zwischenzeitlich gibt Franz Lehár (jun.) die Militärlaufbahn auf, um sich ganz seinem kompositorischen Schaffen zu widmen. Eine Entscheidung, die im Rückblick eine bemerkenswerte, Komponente offenbart. Denn der Junior beerbt den Senior immer wieder in der Leitung der Kapellmeisterstellen, die sein Vater als Chef innehatte. So in Pola und den beiden renommiertesten Stabsmusikkorps in Budapest sowie in Wien. 

Und es gibt eine Besonderheit: Als Vater Lehár in Wien Kapellmeister des 50. Infanterieregiments geworden war, nahm er 1889 seinen Sohn in seinen Klangkörper als Geiger auf. Im Ersten Weltkrieg beteiligte sich Franz Lehár (jun.) – wie viele andere Komponisten auch – an patriotischen Stücken wie „Komm, deutscher Bruder“, Kriegsmärschen und -liedern, sowie auch an Kunstliedern, Klaviersonaten und sinfonischen Dichtungen. Nach Kriegsende folgen weitere vier Operetten, bis 1925 eine Wende in seiner kompositorischen Entwicklung eintritt.

Mit dem Sprung 1925 von dem ökonomisch bedeutungslos gewordenen

Wien in die prosperierende Wirtschaft- und Kulturmetropole Berlin beginnt eine dritte Kompositionsphase. Dort erlebt er auch die neue Erfindung des Rundfunks. Letzteren wußte er für den erfolgreichen Start seiner neuen Werke zu nutzen wie mit „Paganini“ (1925), „Der Zarewitsch“ (1927), „Friederike“ (1928), „Das Land des Lächelns“ (1929) und „Giuditta“ (1934). Mit diesen Operetten hat er – wie es seine offizielle Biographin, Maria von Peteani zutreffend ausdrückte – die „Tränen in die Operette getragen“. Denn das „Operetten-Happy-End“ wurde ersetzt durch einen jeweiligen resignierenden, wehmütigen Ausgang. Operetten, die man auch als Ausstattungsopern bezeichnet, haben ihm in der Fachwelt den Beinamen „Richard Wagner der Operette“ eingebracht.

Ob die Werke von Franz Lehár, die in seinen Anfängen heiter oder gegen Ende seiner Komponistenlaufbahn pseudodramatisch und tränenreich waren – immer ist das Qualitätsmerkmal seine urwüchsige, melodische Begabung mit folkloristischem Einfühlungsvermögen erkennbar.

Er war eng mit Puccini befreundet

Historiker werfen Franz Lehár bisweilen vor, er habe sich gegenüber dem Nationalsozialismus sehr wohlwollend verhalten, obwohl er wußte, daß viele seiner jüdischen Kollegen ins Ausland flüchten mußten oder im KZ umkamen. Hierbei wird aber nicht berücksichtigt, daß seine von ihm so inniglich geliebte Frau Jüdin war, deren Leben er gerettet hat, was einem kleinen Wunder gleichkam. Verübeln kann diese Handlungsweise nur, wer die „Gnade der späten Geburt“ für sich in Anspruch nimmt und die Verhältnisse jener Zeit borniert ignoriert.

Weithin unbekannt ist, daß er sehr eng mit Giacomo Puccini (und ebenso  mit dem italienischen Opernsänger Benjamino Gigli) befreundet war und sich beide gegenseitig musikalisch inspirierten. Lehár mit „Madame Butterfly“ einerseits zur sogenannten großen Ausstattungsoperette „Das Land des Lächelns“ (die eigentlich eine Oper ist), und Puccini andererseits wurde durch die Lehár-Operetten – insbesondere durch die Uraufführung von „Wo die Lerche singt“ (1918), zu der Puccini extra aus Italien nach Wien gereist war – zu seiner einzigen Operette, „Die Schwalbe“ (La Rondine), angeregt. Ihre enge Freundschaft wurde nur zwangsweise durch den Ersten Weltkrieg unterbrochen.

Franz Lehár, der sich während des Zweiten Weltkrieges in Zürich aufgehalten hatte, verstarb am 24. Oktober 1948 nach einer längeren Krankheitsgeschichte in seiner Villa in Bad Ischl, nachdem er sich zuvor vergebens um die Staatsbürgerschaft in Ungarn und der Schweiz bemüht hatte. Zuvor starb am 8. Januar desselben Jahres sein Freund Richard Tauber, dem er die Partie des Prinzen Sou-Chong in „Das Land des Lächelns“ „auf den Leib komponiert“ hatte, wobei dieser Tenor auch bei anderen Werken zu den Welterfolgen beitrug. Lehárs Villa in Bad Ischl wird auf seinen testamentarischen Wunsch hin heute als Museum genutzt.

Franz Lehár steht als Beweis dafür, daß die oft totgesagte Operette immer noch quicklebendig und bis heute auf den Spielplänen der Musiktheater ein fester Bestandteil geblieben ist.






Dr. Ullrich Westerhagen ist Humanbiologe und Jurist. Seine große Leidenschaft aber gehört als Sänger und Autor der Musik. 

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