© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Danzig an der Adria
Zwischen Jugoslawien und Italien droht der Besitz von Triest und Istrien 1945 zum Streitfall zu werden: Die Lösung sollte ein internationales „Freies Territorium“ sein
Thomas Schäfer

Als Winston Churchill am 5. März 1946 mit seiner historischen Rede im Westminster College von Fulton (Missouri) den Kalten Krieg einläutete, sagte er mit Blick auf Europa: „Von Stettin an der Ostsee bis hinunter nach Triest an der Adria ist ein ‘Eiserner Vorhang’ über den Kontinent gezogen.“ Damit spielte der frühere britische Premierminister auf den Umstand an, daß auch der Bereich um die Stadt Triest im italienisch-jugoslawischen Grenzgebiet zum Zankapfel zwischen West und Ost geworden war.

Bis 1918 hatte die Region zu Österreich-Ungarn gehört, danach annektierte Italien den Küstenstreifen zwischen Duino-Aurisina im Norden und Cittanova im Süden. Nach dem Ausscheren Italiens aus dem Bündnis mit Deutschland und Japan wiederum wurde die Nahtstelle zwischen dem Balkan und der Apenninen-Halbinsel im September 1943 Teil der Operationszone Adriatisches Küstenland der Wehrmacht.

Siegreiche Tito-Partisanen müssen Triest räumen

Gleichzeitig strebten aber auch die kommunistischen Partisanen Jugoslawiens unter Josip Broz Tito danach, den strategisch wichtigen Hafen von Triest und dessen Umland zu besetzen. So lautete unter anderem ihr Beschluß auf dem 2. Kongreß des Antifaschistischen Rates der Nationalen Befreiung Jugoslawiens (AVNOJ) Ende November 1943. Allerdings verhinderte die Präsenz des deutschen LXXXXVII. Armee-Korps die Umsetzung dieser Pläne zunächst.

Erst durch den Rückzug der Wehrmachtsverbände infolge der Großoffensive der Tito-Partisanen ab dem 12. April 1945 wurde der Weg nach Triest frei. Am 1. Mai 1945 rückten Einheiten des 9. Slowenischen Korps und der 4. Armee der jugoslawischen Volksbefreiungsstreitkräfte in der Stadt ein.

Tito konnte sich dieses Sieges jedoch keine 24 Stunden lang erfreuen. Denn kurz nach seinen Partisanen langten auch neuseeländische und britische Truppen in Triest an. Anschließend sorgten die Westalliierten für massiven internationalen Druck auf Jugoslawien, der schließlich am 12. Juni 1945 zum Abzug der Partisanenarmee führte. Wobei Tito nicht zuletzt deshalb auf verlorenem Posten stand, weil ihm die Rückendeckung aus Moskau fehlte. Denn dort hatte man längst ungnädig vermerkt, daß der Partisanenführer kaum jemals geneigt war, irgendwelchen sowjetischen Vorgaben zu folgen. Gleichzeitig wollte der Kreml aber auch die alleinige Dominanz der Westalliierten in Triest oder dessen Rückgabe an Italien vermeiden. Deshalb strebte er eine Neutralisierung und Demilitarisierung des umstrittenen Gebietes an der Adria an.

Hieraus resultierte am 10. Januar 1947 die Kompromißlösung in der Resolution Nr. 16 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen: Rund um Triest sollte ein „Freies Territorium“ nach dem Vorbild der einstmaligen Freien Stadt Danzig entstehen. Das erforderte indes einen vorherigen Friedensvertrag zwischen der neuen italienischen Republik und den alliierten Siegermächten. Der wurde am 10. Februar 1947 in Paris unterzeichnet. Dann dauerte es noch bis zum 15. September des selbigen Jahres, ehe der britische Lieutenant General Terence Sydney Airey die offizielle Gründung des Freien Territoriums Triest verkündete.

1954 akzeptieren Rom und Belgrad den Status quo 

Airey fungierte anschließend als Gouverneur von dessen Zone A, welche die Hauptstadt Triest sowie deren Umland umfaßte und etwa 222 Quadratkilometer groß war. Die Zone B auf der weiter südlich gelegenen Halbinsel Istrien hatte hingegen eine Größe von 515 Quadratkilometern und stand unter der Kontrolle des jugoslawischen Gouverneurs Oberst Mirko Lenac.

Allerdings war dem Pufferstaat zwischen der freien Welt und dem Reich des Kommunismus, in welchem die alliierten Truppenverbände trotz aller gegenteiligen Absichtserklärungen verblieben, keine sonderlich lange Existenz beschieden. Auf Druck Belgrads und Roms und wegen des Umstandes, daß sich die Siegermächte auch nach siebenjährigem Ringen nicht auf einen gemeinsamen Gouverneur für das gesamte Territorium einigen konnten, wurden die beiden Zonen am 5. Oktober 1954 Jugoslawien bzw. Italien übereignet. Dem folgte am 10. November 1975 der Vertrag von Osimo zwischen den Regierungen Josip Broz Tito und Aldo Moro, der diese Aufteilung völkerrechtlich besiegelte.