© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Uranbergbau auf Weltniveau
Die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut war ein eigener Staat im Staate / Abwicklung bis 2035
Dieter Menke

Am 29. August 1949 explodierte in Semipalatinsk (Ostkasachstan) erste sowjetischen Atombombe. Seit 1943 arbeitete man daran. Damit hatte Moskau das amerikanische Bomben-Monopol gebrochen. NKWD-Agenten hatten dazu in den USA die Baupläne – und die „Operazija Ossoawiachim“ 1946 im besetzten Mitteldeutschland Tausende Spezialisten „besorgt“. Nur eines fehlte noch in ausreichender Menge: Uran.

Josef Stalins Geologen, so ist Frank Dittmanns (Deutsches Museum, München) Rückblick auf ein spannendes Kapitel der DDR-Geschichte zu entnehmen, suchten daher im Eiltempo nach Erzlagerstätten (Kultur & Technik, 1/20). Die „Uranlücke“ sollte zunächst durch die Ausbeutung von Vorkommen im sudetendeutschen Sankt Joachimsthal (Jáchymov) und in Bulgarien geschlossen werden. Mittels Geheimverträgen sicherte sich Moskau schon im November 1945 diese Ressourcen. Gleichzeitig begannen, nach Abzug der US-Truppen, in Thüringen und Sachsen geologische Sondierungen.

Deren Ergebnisse versprachen eine lohnende Uranförderung im westlichen Erzgebirge. Auf der Grundlage des Besatzungsrechts übernahmen die Sowjets dann 1946 die Bergverwaltungen in Johanngeorgenstadt, Schneeberg, Annaberg, Marienberg, Lauter und Oberschlema sowie das Erzaufbereitungswerk in Pechtelsgrüner. 1949 dehnte sich das Arbeitsgebiet der 1947 gegründeten Sowjetischen Aktiengesellschaft (SAG) Wismut nach Ostthüringen aus, wo ebenfalls Uranerze gefunden worden waren.

„Sonnensucher“ unter einem Gulag-Kommandaten

Die Förderung begann 1946 mit 15,7 Tonnen Uran, konnte aber nach 1949 auf 1.225 Tonnen pro Jahr gesteigert werden – mehr als viermal soviel wie in Böhmen und dreimal soviel wie in der Sowjetunion. Der schnelle Ausbau der Förderung war nur möglich, weil 43.000 Arbeitskräfte für die Wismut AG zwangsrekrutiert wurden. Für Übertagearbeiten wurden auch Frauen eingesetzt. Der erste SAG-Chef Michail Malzew war diesbezüglich erfahren: Der Generalmajor leitete von 1943 bis 1945 den Steinkohlebergbau in Workuta im Nordural. Aus Gerätemangel erfolgte der Uranabbau zunächst unter schrecklichen Umständen. Der Regisseur Konrad Wolf, Bruder des DDR-Auslandsgeheimdienstchefs Markus Wolf, versuchte diese danteske Szenerie, bevölkert von Freiwilligen und Zwangsverpflichteten, wo Kommunisten Schulter an Schulter mit ehemaligen NS-Anhängern Uran abbauten, filmisch darzustellen. Doch der 1958 gedrehte Streifen „Sonnensucher“ durfte erst 1972 in die Kinos.

Nach der DDR-Gründung 1949 lockerte sich das Zwangsregime. 1953 wurde die Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft (SDAG) Wismut gegründet, neuer Chef wurde der Bergbauingenieur Walentin Bogatow. Während die übrigen SAGs – von Awtowelo (Kfz) bis Zement – in Volkseigene Betriebe (VEB) überführt wurden, mußte der DDR-Anteil an der Wismut für eine Milliarde Mark von der UdSSR gekauft werden.

Immerhin machte die SDAG Wismut soziale Zugeständnisse. Das 1947 angelaufene Werkswohnungsprogramm war im bombenzerstörten Nachkriegsdeutschland besonders attraktiv, es gab weit über dem Durchschnittsniveau liegende Löhne und – anstelle von Sachleistungen wie den „Stalinpaketen“ – Geldprämien für Normübererfüllung. Mit dem Gesundheitsschutz haperte es jedoch weiter, und die planwirtschaftliche Tonnenideologie, die weder auf die Qualität noch auf die Nachfrage, geschweige denn den Nutzen Rücksicht nahm, verursachte dramatische Umwelt- und Bergschäden. So sank der Ort Schlema bei Aue durch oberflächennahen Abbau um sechs Meter, so daß im Mai 1952 der gesamte Ortskern abgebrochen werden mußte. Ähnlich erging es dem Grenzort Johanngeorgenstadt.

Trotz der Modernisierungen verteuert sich der Abbau 

Die SDAG Wismut entwickelte sich zum „Staat im Staate“ – mit eigener Polizei, einer SED-Gliederung im Rang einer Bezirksleitung, einer Industriegewerkschaft und eigenen Fußballklubs (Aue, Gera) sowie einem Sonderversorgungssystem mit Zugriff auf Mangelwaren, die es in HO- und Konsumläden für DDR-Normalbürger selten gab. Die 0,7-Liter-Flasche des „Wismutfusels“ (Trinkbranntwein für Bergarbeiter) kostete zudem nur 1,12 Mark. Hinzu kamen Kultur- und Krankenhäuser sowie Ferienheime. Die Betriebsleitung setzte nicht mehr auf kurzfristige Ausbeute, sondern auf effektiven Bergbau.

1962 erlaubte es ein Abkommen, den Uranpreis mit Moskau auszuhandeln. Die Beschäftigtenzahl ging, dank Modernisierungsmaßnahmen, von 133.000 (1953) auf 45.000 (1962) zurück, um dann bis 1989 konstant zu bleiben. In den 1960ern rückte die DDR, mit der Sowjetunion als exklusivem Abnehmer, hinter den USA und Kanada zum weltweit drittgrößten Uranproduzenten auf. Es gab moderne Schacht- und Erzaufbereitungsanlagen, die nach dem Urteil des Historikers Dittmann das Lob „Weltniveau“ verdienten. Nachdem 1967 bedeutende Uranlagerstätten in Königstein (Sächsische Schweiz) aufgeschlossen wurden, ging man hier in den 1980er Jahren sogar zum kostengünstigeren Laugungsverfahren über. Dabei wurde das Erz mit Schwefelsäure behandelt und Uran aus dem Schachtwasser abgetrennt.

Doch vollzog sich zu dieser Zeit bereits der Niedergang der SDAG Wismut. Denn trotz aller Modernisierungen war das Uran teurer als auf dem Weltmarkt. So stieg wegen der Bewetterung und aufwendigen Kühlung immer tieferer Schächte der Jahresenergieverbrauch von 1970 bis 1987 um 140 Prozent. 1989 stellten die Grube „Willy Agatz“ in Freital bei Dresden, wo man seit 1952 uranhaltige Steinkohle abgebaut hatte, sowie die Aufbereitungsanlage Crossen bei Zwickau ihren Betrieb ein.

Und die Sowjetunion weigerte sich ab 1990, die teuren deutschen Uranlieferungen abzunehmen. Bis dahin waren insgesamt 231.000 Tonnen Uran geliefert worden. Am 1. Januar 1991 wurde der Betrieb eingestellt – die Abwicklung des „Staats im Staate“ dauert aber bis heute an. Die sowjetischen Wismut-Anteile gingen per Staatsvertrag unentgeltlich an die Bundesrepublik – sprich: die milliardenschwere ökologische Sanierung übernimmt die Bundesrepublik. In das „weltweit einmalige Projekt“ fließen noch bis 2035 Steuergelder, um drohende ökologische Schäden durch 300 Millionen Kubikmeter Haldenmaterial und 160 Millionen Kubikmeter radioaktiver Schlämme zu verringern.

Nur die Ausgaben der Rentenversicherung sinken: Vielen der ab 1990 entlassenen Bergarbeitern haben Staublungen oder Krebstumore das Leben verkürzt. 

Wismut-Studie des Bundesamts für Strahlenschutz: www.bfs.de/