© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 19/20 / 01. Mai 2020

Des Deutschen Feuerwasser
Ehrlicher Schnaps: Der Korn erobert seinen Platz neben Gin, Wodka und Whisky zurück
Gil Barkei

Lange bevor Wodka mit „Energy“ gepanscht, Tequila versalzen und Gin von einem Tonic-Sommelier kuratiert wurde, war er das, was man in Deutschland unter einem ehrlichen Schnaps verstand. Bis neonbeleuchtete Happy-Hour-Bars bunte Sahnedrinks mit Obst-Gemüse-Garnitur anboten, war er neben einem frischgezapften Bier der Hauptbestandteil eines „Herrengedecks“, des Cocktails für den Mann. Die Rede ist vom guten alten Korn.

In den fünfziger und sechziger Jahren noch Standard in Kühlschrank oder Hausbar – manche bevorzugen den eiskalten, andere den schwenkwarmen Genuß –, verschwanden der Einfache (mindestens 32 Volumenprozent Alkoholgehalt) und der Doppelte (mindestens 38) aus vielen Haushalten und trendigen Lokalen. 

Viele Städter nippten lieber an in Fässern gereiften Exoten, die bei stolzen Flaschenpreisen bis heute als Statussymbol dienen. Disco-Nachtschwärmer, Popper und Hipster widmeten sich den in Mode gekommenen Longdrinks, die Gelegenheit boten, entweder billigen Fusel mit süßer Brause zu übertünchen oder darüber zu fachsimpeln, welcher englische Elderflower-Tonic die Gurkennote des Hendrick’s-Gins am besten unterstreicht. 

Anstoßen wie die Großväter

Korn, der erstmals 1507 in einer Steuerurkunde aus dem thüringischen Nordhausen erwähnt wird, erschien dagegen vielen als Rachenputzer für Assis und Alkis und galt schon aufgrund des Namens als provinziell und altbacken. Tatsächlich gehört auf dem Land vor allem der Doppelkorn zwischen Schützenfest und Geburtstagsfeier unverhohlen zum liquiden Interieur und hat sich mit unzähligen Geschmacksvarianten von Pfirsich bis Heidelbeere über den altbekannten Apfelkorn hinaus weiterentwickelt – auch wenn sich hier die Geister oft scheiden. 

Doch die eigentlich klare Spirituose aus reifem Roggen, Weizen, Gerste, Hafer oder Buchweizen, die im Vergleich zum Wodka ursprünglich weniger stark gefiltert wurde, erwacht in den Metropolen zunehmend aus ihrem Dornröschenschlaf. Sie profitiert dabei vom Vintage-Hype und der Nachfrage nach authentischen Produkten aus der Region, mit denen schon die Urgroßväter angestoßen haben. Gerade Gaststätten, die traditionelle deutsche Gerichte im modernen Gewand anbieten, entdecken den ausgesuchten Korn als abrundenden Digestif für ihre lokalen Konzepte. Manufakturen und kleine Hersteller wie die Brandenburger Spreewald-Destillerie, Das Korn oder die Vollkorn-Brennerei produzieren edle Kornbrände, bei denen das Geschmacksprofil dann so lautet: „Vollmundig und fruchtig, mit Noten von Schokolade, Malz und rosa Pfeffer“. 

Premiumprodukte inspirieren Barkeeper

Das Feuerwasser der Deutschen, insbesondere der Norddeutschen, für dessen Produktion 1909 ein landesweites Reinheitsgebot als Reaktion auf billige Kartoffelrezepturen erlassen wurde, taugt sehr wohl zum Qualitätsprodukt. Der handabgefüllte „Ostholsteiner“ mit Endmoränenwasser wird beispielsweise neunfach filtriert, der Hochprozentige der Firma Ehringhausen aus Dinkel und Malz vom Biobauern gewonnen. 

Eine Flasche Berliner Brandstifter schaffte es bis auf die Top-15-Liste der New York Times für Geschenkideen aus Europa. Und: Korn kann ebenfalls in Holzfässern reifen und goldgelbe bis dunkelbraune Farbtöne entwickeln. Mindestens sechs Monate braucht es, bis sich ein Korn „alt“ nennen darf.

Die Lust auf individuelle Premium-Gins hat über den deutschen Genever, den traditionellen Steinhäger mit Wacholder, auch die Mixlust auf Kornbrände entfacht. Barkeeper entwickeln neue Cocktailrezepte oder lassen bewährte wieder auferstehen: ein „Korn Sling“ oder ein „Korn Sour“ stehen schon seit Jahren im Klassiker-Nachschlagewerk „Schumann’s Bar“. Aber wie wäre es mal mit einem „German Mule“, einem „Golden Korn Fizz“, einem „Kir Korn“ oder einem „White Westphalian“? Nicht umsonst hat das berühmte Berliner Kaufhaus des Westens (KaDeWe) mittlerweile zwei eigene Kornbrände herausgebracht. 

Die Zeiten, in denen mit CoKo (Cola-Korn) in geriffelten Plastikbechern am Autostaubsauger hinter der Tankstelle schnell und billig vorgeglüht oder der FaKo (Fanta-Korn) in Kaschemmen-Milieustudien à la „Der Goldene Handschuh“ schwermütig besungen wurden, sind vorbei.