© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Warnschuß aus Karlsruhe
Das Gerichtsurteil zu EZB-Anleihekäufen wird die Debatte um Coronabonds beeinflussen
Reiner Osbild

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat etwas getan, was sie nicht hätte tun dürfen: nämlich Staaten mit Hilfe der Notenpresse zu finanzieren. Das hat sie auch noch schlecht dokumentiert. Die Bundesregierung hat die Bundesbank als Teil der EZB mangelhaft kontrolliert und ist ihren demokratischen Grundpflichten nicht nachgekommen. Insofern ist das Urteil aus Karlsruhe ein Donnerschlag für eine Eurozone, die sich rechtlich verselbständigt hat, aber nicht ihr Ende.

Die Bundesregierung hat nicht nur die Machtanmaßung der EZB geschehen lassen; sie hat auch vor den negativen Wirkungen der Gelddruckerei die Augen verschlossen: Inflationsgefahren und Niedrigzinsen. Die Inflation war allerdings nicht bei den Verbraucherpreisen sichtbar; sie spielte sich in den Bereichen Immobilien und Wertpapiere ab. Die Nullzinsen torpedieren die private und betriebliche Altersvorsorge in einer Zeit des demographischen Umbruchs auf schmerzliche Weise.

Was sind nun die Folgen? Nun, da hat das Verfassungsgericht Milde walten lassen und läßt die EZB nachbessern. Diese hat nun drei Monate Zeit, stichhaltige Begründungen für ihr Tun nachzureichen. Ansonsten dürfte es die Bundesbank zukünftig schwer haben, öffentliche Anleihen zu erwerben, insbesondere aus Südeuropa.

Den grundlegenden ordnungspolitischen Sündenfall hat das Bundesverfassungsgericht nicht verboten und konnte es auch nicht. Es kann nur die Vereinbarkeit des Handelns der EZB mit dem deutschen überprüfen. Es ist nicht befugt, eine europäische Institution in die Schranken zu weisen. Es war der Kardinalfehler des Europäischen Gerichtshofs, der Amtsanmaßung der EZB kein Ende zu setzen.

Denn die EZB verstößt mit der Kreditvergabe an Staaten aus der Notenpresse gegen die konstituierenden Verträge von Maastricht und Lissabon. Sie handelt im Widerspruch zu ihrem Statut und Auftrag, indem sie jahrelang die finanzschwachen Staaten Südeuropas finanziert hat. Sie hat in großem Umfang öffentliche Anleihen gekauft und damit diesen Staaten Kredite gewährt, die sie auf dem freien Kapitalmarkt weder in dieser Höhe noch zu diesen Konditionen bekommen hätten. Denn Renten- und Lebensversicherungen, Investmentfonds und auch die oft verschrienen Hedgefonds hätten Italien, Frankreich, Spanien & Co. nach ihrem Risikoprofil bewertet. Da diese Länder, gemessen an ihrer Wirtschaftskraft, zu viel Kredithunger hatten, wie auch Griechenland, hätten sie ihre Anleihen nur zu hohen Zinsen unterbringen können. Mit anderen Worten: Die Staatsverschuldung wäre sehr teuer, wenn nicht gar untragbar geworden.

Mit der EZB-Finanzierung frisch aus der Druckerpresse wurden die Risiken auf die EZB und die nationalen Notenbanken abgewälzt. Am Ende hat der deutsche Steuerzahler den Schaden, denn zu 26 Prozent gehört die EZB der Bundesrepublik Deutschland – eine weithin unbekannte Tatsache.

Aber galt es nicht, die Eurozone und den Euro zu retten? Galt nicht das geflügelte Wort von Ex-EZB-Chef Mario Draghi, den Euro zu retten, „whatever it takes“: koste es was es wolle? Und wird nun der Euro zusammenbrechen?

Wohl kaum, denn Karlsruhe hat zwar den Zentralbänkern ein Stöckchen zwischen die Beine geworfen, sie werden straucheln, aber nicht fallen. Sie werden genau diese Begründung wortreich hervorheben: daß die Staatsfinanzierung aus der Druckerpresse die einzige Möglichkeit darstelle, den Euro zu „retten“. Daß dabei ein Gebilde „gerettet“ wird, das aus völlig unterschiedlichen Volkswirtschaften, aus ganz verschiedenen Staaten mit ganz verschiedenen Mentalitäten besteht; daß ein Gebilde gerettet wird, das den wissenschaftlichen Vorstellungen eines „optimalen Währungsraums“ mitnichten entspricht, das werden die Wortakrobaten der EZB nicht thematisieren. Denn ihr Auftrag ist und bleibt, eine politisch gewollte Union am Leben zu erhalten, nicht das Konstrukt selbst zu hinterfragen oder gar Reformen anzustoßen.

Die EZB wird auch darlegen, daß die Inflation von circa zwei Prozent nötig sei, um die Wirtschaft im Süden Europas am Leben zu erhalten und eine gefürchtete Deflation zu vermeiden; sie wird argumentieren, daß sie die realen, also inflationsbereinigten Zinsen niedrig halten muß, um die Investitionen nicht zu beeinträchtigen. Sie wird aber niemals zugeben, daß eine einheitliche Geldpolitik von Irland bis Zypern, von Litauen bis Portugal einfach nicht machbar ist; sie wird sich hüten, zuzugeben, daß eigene Wechselkurse, mithin ein Ausscheiden aus der Währungsunion, für einige Volkswirtschaften günstig wären, und langfristig sogar für deren Staatshaushalte.

Das Urteil ist besonders pikant vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Krise. Coronabonds existieren zwar noch keine, aber auch die hemmungslose Neuverschuldung der öffentlichen Haushalte muß in Zukunft detailliert nachvollziehbar sein. Viele Staaten, wahrscheinlich auch Deutschland, werden nämlich in nächster Zeit auf Notenbankkredite zurückgreifen müssen, um ihre umfangreichen Hilfen zu finanzieren.

Doch ein einfacher Hinweis auf „Corona“ dürfte nach diesem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr ausreichen, um alles und jeden „zu retten“. Und die EZB dürfte bei Anleihekäufen der verschuldeten Staaten, insbesondere Südeuropas, vorsichtiger werden, sollten in Deutschland die Daumen nach unten gehen. Das wiederum könnte zwar positiv auf die Haushaltsdisziplin wirken, kann jedoch kurzfristig die Wachstumskrise verschärfen und zu Arbeitslosigkeit führen. Der Fehler indes wurde schon vorher gemacht, mit der Konstruktion der Währungsunion.






Prof. Dr. Reiner Osbild ist Ordinarius für Volkswirtschaftslehre an der Hochschule Emden/Leer.