© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Wehr ist egal
Bundestag: Geschacher um den „Anwalt der Soldaten“ / Kahrs kündigt Rückzug an
Peter Möller

Die Besetzung politischer Posten gehört zu den eher unappetitlichen Kapiteln des politischen Betriebes. Aus gutem Grund versuchen die Parteien daher, der Öffentlichkeit allzu detaillierte Einblicke in diese Findungsprozesse zu verwehren. Denn allzu oft gibt dabei nicht die fachliche Kompetenz oder Eignung des Kandidaten für das jeweilige Amt den Ausschlag, sondern die fein austarierte Machtarithmetik innerhalb der beteiligten Parteien und Fraktionen.

In den vergangenen Tagen gab es in Berlin dennoch die seltene Gelegenheit, hinter die Kulissen eines solchen Postengeschachers zu schauen. Im Mittelpunkt standen das Amt des Wehrbeauftragten des Bundestages und der bisherige Amtsinhaber Hans-Peter Bartels (SPD), dessen fünfjährige Amtszeit dieser Tage zu Ende geht. Gerne hätte der 58 Jahre alte Verteidigungspolitiker, der bis zu seiner Wahl Vorsitzender des Verteidigungsausschusses war, eine zweite Amtszeit absolviert. Doch seine Partei, besser gesagt der Vorsitzende der SPD-Fraktion, Rolf Mützenich, hatte andere Pläne – und in diesen hatte Bartels keinen Platz.

Stattdessen unterrichtete Mützenich die SPD-Abgeordneten darüber, daß die Fraktionsspitze sich darauf geeinigt habe, die Berliner Bundestagsabgeordnete Eva Högl für das Amt zu nominieren. Bartels, so heißt es, habe von dieser Entscheidung durch eine Pressemitteilung erfahren. Nicht nur die Art und Weise, wie Bartels, dem in der Truppe und über die Parteigrenzen hinweg attestiert wird, er habe einen exzellenten Job gemacht, ohne Begründung abserviert wurde, sorgte in Berlin für Verwunderung. Auch die Personalie Högl wirft Fragen auf. Denn zwar wird die 51 Jahre alte Högl schon seit längerem der Führungsreserve ihrer Partei zugerechnet und spätestens seitdem sie als engagierte Obfrau ihrer Fraktion im NSU-Untersuchungsausschuß Punkte sammeln konnte, gilt sie als ministrabel. So wurde die Rechtsanwältin nach dem Wechsel von Bundesjustizministerin Katarina Barley (SPD) ins Europaparlament als mögliche Nachfolgerin gehandelt. Als Verteidigungspolitikerin allerdings ist Högl bislang noch überhaupt nicht in Erscheinung getreten.  

Kandidatur von Kahrs scheiterte an der Union 

Bartels konnte seine Enttäuschung über die Entscheidung der SPD-Fraktionsspitze denn auch nur schwer verbergen. Die Gründe für die Ablösung seien ihm „offiziell verborgen geblieben“, schrieb Bartels in der vergangenen Woche in einem Brief an Parteifreunde. „Welcher sozialdemokratischen Binnenlogik folgt das? Wie wollen wir miteinander, wie soll ich damit umgehen? Für Rat wäre ich dankbar“, fragte Bartels, der offenbar Opfer eines verzwickten Ämterhandels von Fraktionschef Mützenich mit dem „Seeheimer Kreis“ der SPD wurde. 

Da die als rechter Parteiflügel geltenden Seeheimer den zum linken Flügel gehörenden Mützenich im vergangenen Jahr bei der Wahl zum Fraktionsvorsitzenden unterstützt hatten, war er der Truppe um den einflußreichen SPD-Abgeordneten Johannes Kahrs noch etwas schuldig. Ursprünglich sollte daher Kahrs den Posten Bartels übernehmen. 

Dafür hatte der Oberst der Reserve Kahrs bei den Verhandlungen zum jüngsten Bundeshaushalt bereits vorgesorgt und zur allgemeinen Überraschung Finanzmittel für zwei neue Mitarbeiter für den Wehrbeauftragten herausgehandelt. Doch die Union lehnte den umtriebigen, aber immer etwas zu laut und ungehobelt agierenden Kahrs ab. Daraufhin schlug Mützenich die Parteilinke Högl vor. Ihr Wechsel aus der Fraktion in das Amt des Wehrbeauftragten zahlt sich für die Seeheimer dennoch aus: Denn da Högl ihr Mandat abgeben muß, wird ihr Posten als stellvertretende Fraktionsvorsitzende vakant – und fällt an einen Vertrauten von Kahrs. Der wiederum ließ am Montag mit der Nachricht, alle Ämter und sein Mandat niederzulegen, eine Bombe platzen.

Und noch ein Grund spricht für Högl und ihren Abschied aus dem Bundestag. Es naht die Zeit der Kandidaten- und Listenaufstellungen für die Bundestagswahl im Herbst kommenden Jahres. Vor allem in der Berliner SPD wird der Kampf um die wenigen Mandate verbissen geführt. Denn die Kandidatenliste dürfte in den kommenden Wochen und Monaten prominente Neuzugänge verzeichnen. So soll der Regierende Bürgermeister Michael Müller mit einem Sitz im Bundestag der Verzicht auf sein bisheriges Amt versüßt werden. Zudem drängt der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert auf die große Bühne des Reichstags. 

Die Opposition nahm derweil das ungeschickte Agieren der SPD fassungslos zur Kenntnis. Die verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Marie-Agnes Strack-Zimmermann machte am Montag deutlich, daß die Liberalen Högl nicht wählen und Bartels gerne im Amt bestätigt hätten.

Der verteidigungspolitische Sprecher der AfD-Fraktion, Rüdiger Lucassen, kritisierte die undurchsichtige Personalie scharf und lobte den Amtsinhaber: „Hans-Peter Bartels war kompetent und hatte keine Scheu, die desaströse Politik des Verteidigungsministeriums offenzulegen. Er nahm das Amt ernst und war auch in der Truppe respektiert und angesehen. Es ist mir schlechterdings völlig unverständlich, wie die SPD den letzten ernsthaften Verteidigungsexperten auf diese schäbige Weise entsorgen kann.“