© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Anders sein ... oder nicht sein
Ungarn: Imagewandel bei Jobbik / Neuer Parteichef hat jüdischen Hintergrund
Zita Tipold

Mit einem freundlichen Lächeln verteilt Parteichef Péter Jakab einen Corona-Mundschutz nach dem anderen an ungarische Bürger. Er ist das Gesicht einer gezähmten Jobbik, die sich ganz neu erfinden will. Noch 2010 forderte die rechtsnationale Partei die Wiedereinführung der Todesstrafe, die sofortige Internierung von Roma-Kindern sowie eine Liste aller Juden in Ungarn anzufertigen. Die Forderungen fanden Anklang: Bei den Parlamentswahlen 2010 wurde sie mit 17 Prozent drittstärkste Kraft. 2014 legte Jobbik sogar auf 20,3 Prozent zu.

Für ihre rechtsradikale Rhetorik und die extremen Forderungen erntete die Jobbik immer wieder Gegenwind aus der Opposition, die sich 2012 sogar überlegte, einen Verbotsantrag zu stellen. Wenige Jahre zuvor war schon die aus der Jobbik heraus gegründete Vereinigung „Ungarische Garde“ verboten worden, weil sie bei ihren Aufmärschen immer wieder die Würde ungarischer Minderheiten verletzt hatte.

87 Prozent wählten ihn zum Vorsitz der „Besseren“

Daher kündigte der damalige Parteichef Gábor Vona 2013 an, vom rechts­extremen Kurs abzurücken und den Weg zur gemäßigten Volkspartei einzuschlagen. Er entschuldigte sich bei Juden und Roma und sandte Chanukka-Grüße an die jüdische Gemeinschaft – doch so ganz wollte der Wandel nicht gelingen.

Nun soll ein neuer Chef das Image der „Besseren“, so die Übersetzung des Parteinamens, geraderücken. Mit 87 Prozent wurde Péter Jakab Ende Januar zum Vorsitzenden gewählt.

Seine erste Amtshandlung: Rauswurf des Parteikollegen Gergely Kulcsár. Dieser hatte zuvor auf ein Holocaust-Mahnmal gespuckt. Jakab ist bekennender Katholik, hat jedoch einen jüdischen Hintergrund.

Sein Urgroßvater und weitere Verwandte seien in Auschwitz ermordet worden, erzählte er in einem Interview mit der ungarischen Nachrichtenseite Heti Világgazdaság (hvg). „Das war nie ein Tabuthema. Ich habe schon als Kind davon gewußt“, sagte Jakab. Dennoch sehe er das Judentum nicht als Teil seiner Identität. Die Großmutter habe sich noch vor dem Zweiten Weltkrieg taufen lassen und sei der Schoa entgangen. Sie habe einen Christen geheiratet und stolze elf Kinder zur Welt gebracht.

Der 39jährige stammt aus Miskolc, der viertgrößten Stadt Ungarns im Norden des Landes. Dort studierte er Geschichte und arbeitete anschließend als Lehrer an einer Schule, die hauptsächlich von Roma-Kindern besucht wurde.

Jakab will künftig eine gemäßigte nationalkonservative Linie fahren. Mit Rechtsextremismus und Antizionismus soll Schluß sein. Dabei hat sich Jakab in der Vergangenheit selbst antisemitisch geäußert.

2014 richtete er einen offenen Brief an den ungarischen Rabbiner Slomó Köves, der ihn zuvor gewarnt hatte, daß ihm die Jobbik dasselbe antun würde, wie die Nazis seinen Vorfahren. Jakab positionierte sich klar: Die ungarische Nation schulde dem Judentum gar nichts. Weder Reue noch Wiedergutmachung. Im Gegenteil: Israel verletze ungarische Interessen und Juden würden das Holocaust-Gedenken zu ihrer finanziellen Bereicherung nutzen. Das war nur eine der vielen verbalen Entgleisungen Jakabs. Die ungarische Nachrichtenseite Origo nannte Antisemitismus sogar als Konstante auf der Karriereleiter Jakabs.

Jetzt soll alles anders werden. „Diese Jobbik ist nicht die Partei, die sie vor fünf Jahren noch war“, sagte Jakab. Vor allem Fidesz (Bund junger Demokraten) habe damals Ideenklau bei anderen Parteien betrieben und einige Forderungen der Jobbik umgesetzt. Zum Beispiel die Auszahlung von Sozialhilfe an die Bedingung der Ableistung gemeinnütziger Arbeit zu koppeln oder das Recht des bewaffneten Selbstschutzes auf dem eigenen Grundstück einzuführen. Die destruktive Kraft der eigenen Ziele habe ihnen die die Augen geöffnet, daß der bisherige Weg falsch gewesen sei.

Jakab wirft Orban Propaganda vor

Nun will Jakab mit dem „korrupten Orbán-Regime“ aufräumen und stattdessen mit einer Oppositionskoalition um den Abgeordneten Ferenc Gyurcsány Ungarn vom Fidesz „befreien“.

Jakab wirft Fidesz vor, sich an Steuergeldern zu bereichern, während das Volk in drückender Armut versinke. Zudem habe Fidesz über die Jahre hinweg eine erfolgreiche „Propagandamaschine“ aufgebaut, die über diese Mißstände hinwegtäusche.

Jüngst ging Jakab im Parlament auf Konfrontation zu Orbán wegen dessen ausgedehnter Machtbefugnis für die Dauer der Pandemie. „Wir haben viele Bezeichnungen für diesen Beschluß gehört, aber nur ein Wort ist zutreffend für das, was aktuell geschieht: Putsch“, sagte Jakab mit sichtlich Wut im Bauch. Er sehe sich darin bestätigt, daß Fidesz keine Politik für das Volk mache, sondern nur den eigenen Machtausbau im Auge habe.

Jobbik möchte zukünftig die Partei aller sein und zeigt sich, was die rechtsextreme Vergangenheit betrifft, geläutert. Jakab betont, Nationalisten seien unerwünscht, patriotisch bleibe man aber weiterhin. In ihrer neuen Parteisatzung lenkt Jobbik den Fokus auf die Unterstützung von Minderheiten, soziale und ökonomische Gerechtigkeit sowie eine Begeisterung für die Europäische Union – eine 180-Grad-Drehung.

Diese neue Linie lehnen viele Parteikollegen strikt ab. Sie kritisieren, daß die Jobbik ihr Profil verliere und sich an linke Parteien anbiedere. Jakab legt den Gegnern der Kurswende den Austritt nahe, denn er sei nicht bereit, „seiner Partei beim Sterben zuzusehen“, sagte er.

In der Jobbik-Partei lodert ein heißer Machtkampf. Eine Schar von Mitgliedern um den Mitbegründer István Szávay zeigt sich empört über Jakabs Verhalten. Seine „Säuberungswelle“ gleiche einer „bolschewistischen Abrechnung“. Sie fordern, zu einer gemeinsamen Einigung hinsichtlich ideologischer Fragen und dem Charakter der Jobbik zu gelangen. Der neue Parteichef sei hingegen schon damit beschäftigt, Ämter systematisch mit Sympathisanten seiner Linie zu besetzen, um Kritiker mundtot zu machen.

Die Uneinigkeit innerhalb der Partei fordert ihren Tribut. Jakab sieht sich aktuell mit einer regelrechten Austrittswelle konfrontiert. Er betonte in einem Interview mit der Wochenzeitung Heti Világgazdaság, daß ihn das nicht weiter störe. Er wolle schließlich nicht mit denen zusammenarbeiten, die von Bord springen, sondern mit denjenigen, die weiterpaddeln.

Es ist fraglich, ob dieser Machtkampf nicht gänzlich den Wind aus den Segeln von Jakabs Bötchen nehmen wird. In aktuellen Umfragen kommt Jobbik als zweitstärkste Oppositionspartei nur noch auf neun Prozent, die regierende Fidesz-Partei von Viktor Orbán auf 53 Prozent.