© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Bolsonaro gibt und Bolsonaro nimmt
Brasilien: Personalentscheidungen führen zu Verhärmungen in der Regierung des Tropenlandes
Wolfgang Bendel

Knalleffekt in Brasilien: Ende April trat der Minister für Justiz und Öffentliche Sicherheit Sergio Moro zurück. In einer eigens dazu einberufenen Pressekonferenz erhob er dabei schwere Vorwürfe gegen den Staatspräsidenten Jair Messias Bolsonaro. Mit Blick auf diesen meinte der Minister: „Es gab eine Forderung, das Kommando der Polícia Federal (Bundespolizei Brasiliens; PF) zu ändern. Es ist nicht akzeptabel, politische Anweisungen zu geben. Und wenn man anfängt, Positionen aus parteipolitischen Gründen zu besetzen, ist das nicht gut für den Staat.“

Zuvor hatte Bolsonaro den Chef der PF, Mauricio Valeixo – einen engen Vertrauten Moros – entlassen, um diesen durch Alexandre Ramagem, der als enger Freund der Söhne des Präsidenten gilt, zu ersetzen. Neben dem liberalen Wirtschaftsminister Paulo Guedes galt Moro als einer der beiden Starminister der Regierung Bolsonaro. Moro hatte sich einen Namen gemacht, als er den langjährigen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva von der linken Arbeiterpartei wegen Korruption und anderer Straftaten zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilte. Beim Eintritt ins Kabinett hatte er es sich ausbedungen, daß er sein Ressort ohne Einmischungen von anderen Regierungsmitgliedern, darunter auch des Präsidenten, führen könne. 

Die Entlassung seines engen Vertrauten an der Spitze der PF war daher für Moro ein Verstoß gegen diese Abmachung. Die Behörden ermitteln seit einiger Zeit gegen zwei der drei politisch sehr aktiven Söhne des Präsidenten, den Abgeordneten Eduardo Bolsonaro und den Stadtrat von Rio de Janeiro Carlos Bolsonaro. Diese Untersuchungen sollten durch den neuen Mann an der Spitze der PF unterbunden werden. Das jedenfalls wird als eigentliches Motiv Bolsonaros für den von ihm in die Wege geleiteten Wechsel an der Spitze der Bundespolizei geäußert. Inzwischen erließ ein Richter des Obersten Gerichts auf Antrag einiger linker Oppositioneller eine einstweilige Anordnung gegen die Ernennung von Ramagem.

Bolsonaro reagierte auf Moros Vorwürfe: „Ich muß niemanden um Erlaubnis bitten, um den Direktor (der PF) oder jemanden aus der Exekutive auszuwechseln. Ich hatte gehofft, gemeinsam mit dem Minister einen Namen für die Institution festlegen zu können, auch wenn dies per Gesetz das ausschließliche Vorrecht des Präsidenten der Republik ist.“

Arbeiterpräsident Lula von der Macht fernhalten 

Seit diesen Vorgängen wird beiderseits der Mitte viel schmutzige Wäsche gewaschen. Die Aussagen Moros bei der Pressekonferenz veranlaßten nun das Oberste Gericht, Ermittlungen mit dem Ziel einzuleiten, ein mögliches Amtsenthebungsverfahren gegen Bolsonaro zu beginnen. Moro seinerseits wird von den zahlreichen Anhängern Bolsonaros des „Verrats“ bezichtigt und ihm überdies vorgeworfen, daß er seinen Rücktritt provoziert habe, um sich als Kandidat für die nächsten Präsidentschaftswahlen in Stellung zu bringen. In der Tat ist diese Variante nicht auszuschließen, da es in führenden Kreisen Brasiliens eine Strömung gibt, die eine Wiederwahl Bolsonaros verhindern will, ohne dabei der Arbeiterpartei von Lula die Rückkehr an die Macht zu ermöglichen. In einem solchen Szenario wäre der angesehene Moro der einzige Kandidat, dem in dieser Hinsicht ernsthafte Chancen zugestanden werden können.

Auf den ersten Blick sieht es also schlecht für den Präsidenten aus. Allerdings sollte man hier nicht die Rechnung ohne den Wirt machen. Bolsonaro wurde schon einmal schwer unterschätzt, als er entgegen allen Umfragen und Voraussagen mit deutlicher Mehrheit zum Präsidenten des Tropenstaats gewählt wurde. Kampflos wird er seinen Posten nicht aufgeben. Zudem verfügt er über eine große Anhängerschaft auf dem Land, hat nach wie vor enge Verbindungen zu führenden Militärs und ist mit den evangelikalen Kirchen, die in Brasilien auch machtpolitisch eine große Rolle spielen, eng verbunden. Zudem versteht es Bolsonaro geschickt, die Corona-Krise zu seinen Gunsten zu nutzen, indem er davor warnt, daß Millionen Brasilianer durch lang anhaltende Isolation unweigerlich ins Elend gestürzt würden.

Damit trifft er auf die offenen Ohren von Millionen Brasilianern, die sich in der informellen Wirtschaft durchschlagen oder arbeitslos geworden sind und nicht mehr wissen, wie sie sich und ihre Angehörigen ernähren sollen. Eine kürzlich eingeführte Nothilfe von 600 brasilianischen Real (gut 100 Euro) pro Monat ist zum Sterben zu viel und zum Leben zu wenig.

In diesem Zusammenhang veröffentlichte der Außenminister Ernesto Araújo, ein Rechtsintellektueller, in dem Blog www.metapoliticabrasil.com einen bemerkenswerten Aufsatz mit dem Titel „Das Comunavirus ist eingetroffen“. Dabei führte er unter anderem aus: „Das Coronavirus läßt in uns wieder den kommunistischen Alptraum erwachen.“ Und weiter: „Der Globalismus ersetzt den Sozialismus als Vorbereitungsstufe für den Kommunismus. Die Coronavirus-Pandemie stellt eine immense Chance dar, eine Weltordnung ohne Nationen und ohne Freiheit aufzubauen.“