© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Wilhelm Lehmann im Visier von Konformisten
Zweite Entnazifizierung

Die 2002 in Eckernförde ins Leben gerufene Literaturgesellschaft, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, das bedeutende Werk des Romanciers, Essayisten und Naturlyrikers Wilhelm Lehmann (1882–1968) ins öffentliche Bewußtsein zurückzurufen, kann mit einigem Stolz auf das Geleistete blicken. Vielfältige Aktivitäten, Vorträge, Lesungen, Publikationen und  die Stiftung eines Preises für junge Lyriker, unter denen sich mit Jan Wagner inzwischen ein veritabler Büchner-Preisträger befindet, zeugen von gelungener Vergegenwärtigung des nach 1968 vergessenen Autors. Es konnte aber nicht ausbleiben, daß die Gesellschaft, gedrängt durch „mahnende Stimmen“, sich 70 Jahre nach seiner ersten, ihn vollständig entlastenden, um eine zweite „Entnazifizierung“ Lehmanns bemühen mußte. Moralisch hochgerüstet, die „Anpassung“ des 1933 widerwillig in die NSDAP und den NS-Lehrerbund eingetretenen Eckernförder Studienrats ins Visier nehmend, kommt der Karlsruher Germanist Wolfgang Menzel (Jahrgang 1960), ein typischer Vertreter der anpassungswilligsten Intellektuellen-Generation seit den Tagen des Spätabsolutismus, zu dem sensationellen Resultat, daß der Beamte Lehmann aus Existenzangst zur NS-Partei fand. Sonst wäre dem Deserteur von 1918, einem Autor mit liberalen Ansichten und jüdischen Freunden, die Entlassung sicher gewesen. Daran, daß Lehmann 1923 der bolschewistischen „Gesellschaft der Freunde des neuen Rußland“ beitrat, nimmt Menzel hingegen keinen Anstoß. Denn da hätte er mit Thomas Mann und Ernst Toller ja einem „illustren Kreis“ angehört (Sichtbare Zeit. Journal der Wilhelm-Lehmann-Gesellschaft, 8/2019).


 www.wilhelm-lehmann-gesellschaft-eckernfoerde.de