© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Was immer wieder überrascht, ist das sachliche Desinteresse der Linken. Vielleicht hat es mit jener Borniertheit zu tun, die langfristiger Machtbesitz hervorruft. Sicher mit dem Habermasschen „Hinterfragen“ und der Absicht, zuerst einmal das „erkenntnisleitende Interesse“ des Gegenübers zu fassen. Aber letztlich geht es darum, daß zur progressiven DNA seit je gehört: die Unfähigkeit, zu begreifen, daß andere Menschen mit anderen Auffassungen Gründe für diese anderen Auffassungen haben und weder dumm noch böse sind.

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In der jüngsten Ausgabe der Zeitschrift Eléments wurden verschiedene Studien zur intellektuellen Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen im Hinblick auf deren ethnische beziehungsweise kulturelle Herkunft zusammengefaßt. Der Verfasser sieht – erwartbar – einen deutlichen Vorsprung der jungen Asiaten: Bei der letzten Pisa-Studie, die die Lese- und Schreibfähigkeit von Fünfzehnjährigen überprüfte, stand Shanghai an der Spitze, gefolgt von Singapur, Hongkong, Taiwan, Südkorea, Macao und Japan. Die Ergebnisse entsprechen in vielem denen der vierten TIMSS, die das mathematische und naturwissenschaftliche Grundverständnis von Schülern erheben soll. Aufschlußreich ist, daß die Fähigkeiten offenbar nicht von den heimischen Bildungseinrichtungen abhängen. An der renommierten New Yorker Stuyvesant High School, die jede Art von Rassenquote oder positiver Diskriminierung ablehnt, liegt der Anteil von Zöglingen mit asiatischen Vorfahren bei 72 Prozent. Daß es sich dabei nicht um ein Zufallsergebnis handelt, legt eine Studie im Auftrag des französischen Erziehungsministeriums nahe. Um die Integration von Schülern „mit Migrationshintergrund“ zu verbessern, hat man eine Überprüfung von 30.000 Abschlüssen veranlaßt. Die zeigte, daß Schüler asiatischer Herkunft am erfolgreichsten sind, und die Mädchen noch etwas erfolgreicher als die Jungen (92 Prozent und 88 Prozent). Das unterscheidet sie von den männlichen Bio-Franzosen (75 Prozent) und den Schülern nordafrikanischer (64 Prozent) oder schwarzafrikanischer Herkunft (61 Prozent). Auffallend auch, daß die „harten“ naturwissenschaftlichen Fächer von 36 Prozent der Mädchen und 42 Prozent der Jungen mit asiatischen Wurzeln gewählt werden, während der Satz der Jungen, die aus dem Raum südlich der Sahara kamen, bei 7 Prozent liegt.

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„Die Dinge sind nie so schlimm – oder so gut – wie sie scheinen.“ (La Rochefoucauld)

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Wandel der Zeiten: 1954 „Die sieben Samurai“ (Regie: Akira Kurosawa) – Arme japanische Bauern holen sich gegen Banditen, die regelmäßig ihr Dorf überfallen, sieben arme Samurai zu Hilfe. Die Samurai besiegen die Banditen, vier von ihnen fallen im Kampf. In der Schlußszene bekennt ihr Anführer, daß letztlich nur die Bauern gewonnen haben. 1960 „Die glorreichen Sieben“ (Regie: John Sturges) – Arme mexikanische Bauern holen sich gegen Banditen, die regelmäßig ihr Dorf überfallen, sieben amerikanische Revolvermänner zu Hilfe. Die Revolvermänner besiegen die Banditen, vier von ihnen fallen im Kampf. In der Schlußszene bekennt ihr Anführer, daß letztlich nur die Bauern gewonnen haben. 2016 – „Die glorreichen Sieben“ (Regie: Antoine Fuqua): Die mehrheitlich weißen Bewohner einer Stadt im amerikanischen Westen werden von einem weißen Großunternehmer und seinen Bütteln drangsaliert, um sie von ihrem Land zu vertreiben. Nachdem der Kapitalist auch noch die Kirche niederbrennt und dabei einen Mann töten läßt, entschließt sich dessen Frau, die Abwehr zu organisieren. Sie wirbt einen schwarzen Gesetzeshüter an, der wiederum sechs andere Kämpfer rekrutiert: einen Indianer, einen Chinesen, einen Mexikaner, einen geläuterten Sklavenhalter, einen halb geläuterten Skalpjäger, einen jungen Revolverhelden. Zur Unterstützung der diversen Truppe befreit man noch eine Schar vom Kapitalisten geknechteter Proletarier, die in dessen Mine nach Gold schürfen müssen. Die Guten besiegen den Bösewicht (er selbst stirbt von der Hand der Frau und des Schwarzen, der noch eine Rechnung mit ihm offen hat), vier von ihnen fallen im Kampf. Es überleben der Schwarze, der Indianer, der Mexikaner; sonst keine tiefere Einsicht.

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Historisches Bewußtsein im genaueren Verständnis ist eine neue Errungenschaft. Der englische Begriff century für „Jahrhundert“ tauchte zum ersten Mal 1626 auf. Vorher wurde damit die Zenturie als Hundertschaft des römischen Heeres bezeichnet.

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Unmittelbar vor Kriegsende trieb Churchill die Frage um, wie er reagieren sollte, wenn Hitler sich in letzter Stunde nach Großbritannien begeben und dort den Behörden stellen würde. Einerseits stand ihm das Problem vor Augen, das sich aus dem Englandflug von Rudolf Heß ergeben hatte, andererseits das Beispiel Napoleons nach Waterloo. Aber welches „St. Helena“ wäre geeignet gewesen, dem „Führer“ als Exil zu dienen? Vielleicht hätte man sich der üblichen Lösung für prominente Gefangene der Krone bedient: Dauerhaft im Tower of London.


Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 22. Mai in der JF-Ausgabe 22/20.