© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Häusliche Gewalt von Frauen gegen ihre Partner
Das Schweigen der Männer
Claus Folger

Die politischen Maßnahmen zur Bekämpfung des neuartigen Coronavirus und die damit verbundene Annahme, daß die Menschen bei schönstem Frühlingswetter, also gegen Ende der alljährlichen Grippezeit, idealerweise zu Hause aufeinanderhocken zu haben, führen auch zu einem Anstieg der häuslichen Gewalt. „Wenn das Zuhause zur Hölle wird“, titelt entsprechend das politische Feuilleton von Deutschlandfunk Kultur am 16. April 2020, benennt im Audio-Beitrag aber ausschließlich männliche Täter. Allerdings ist dies kaum eine Überraschung für eine Gesellschaft, aus deren Mitte heraus eine bestimmte Menschengruppe als toxisch bezeichnet wird und die mental auf Hexenprozesse zusteuert. An dieser Stelle vielleicht einen Schritt zurück – nur raus aus dem giftigen Nebel.

Der Weiße Ring, Deutschlands größte Hilfsorganisation für Opfer von Kriminalität, vergab 2017 in der Kategorie Hörfunk an die freie Reporterin Catalina Schröder den Journalisten-Preis für ihren Beitrag „Von Psychoterror bis Vergewaltigung: Wenn Männer Opfer häuslicher Gewalt werden“, der am 10. Oktober 2016 in der Sendung „Zeitfragen“ auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde. Catalina Schröder greift in dem Feature das Tabuthema Gewalt gegen Männer auf und zeichnet dabei die Geschichte eines von einer Frau vergewaltigten Mannes nach.

Und was macht Deutschlandfunk Kultur? Das Hörfunkprogramm nimmt den Audio-Beitrag heraus, so daß sich niemand mehr das ausgezeichnete Feature anhören kann. Auf eine telefonische Presseanfrage hin erklärte man am 16. Januar 2020, daß Deutschlandfunk Kultur alle Hörfunkbeiträge nach einem halben Jahr herausnehmen würde. Was freilich nicht stimmt, wie es jeder leicht überprüfen kann. Eine anschließende schriftliche Presseanfrage vom 21. Januar 2020, warum der Beitrag der Reporterin nicht mehr abzurufen ist, blieb ohne Antwort.

So bleibt die Spekulation: Haben Gleichstellungsbeauftragte die Rollenbilder von Frauen und Männern bei Deutschlandradio überprüft und von den Programmverantwortlichen die Entfernung des Beitrags gefordert – als reine Routinemaßnahme, um das Vorkommen von Frauen in den Programmen ihrer eingebildeten gesellschaftlichen Realität anzupassen?

Wie dem auch sei, die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend in Auftrag gegebene Pilotstudie „Gewalt gegen Männer“ von 2004 – eine neuere, aktuellere gibt es nicht – zeigt, daß „jedem vierten Mann einmal oder mehrmals mindestens ein Akt körperlicher Gewalt durch die aktuelle oder letzte Partnerin widerfuhr“. Dies entspricht in etwa dem Anteil der Frauen, die in Befragungen angeben, Gewalt zu erleben. Häusliche Gewalt gehe von beiden Geschlechtern gleichermaßen aus, meint auch der deutsche Kriminologe Michael Bock. Für ein Forschungsprojekt der Gemeinschaft der Katholischen Männer Deutschlands und der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland sagte er:

„Die meisten männlichen Opfer hindert schon ihre Geschlechtsrollenidentität daran, sich selbst als Opfer von ‘Gewalt’ einer (ihrer) Frau zu sehen, denn dies ist mit einer achtbaren männlichen Identität nicht vereinbar. Doch selbst wenn sie diese Hürde nehmen, finden sie weder kommunikative Resonanz noch soziale oder rechtliche Unterstützung. Man glaubt ihnen nicht, sie werden ausgelacht, in ihrem sozialen Umfeld, bei Experten beiderlei Geschlechts und vor Gericht, weil dort die Vorstellung verbreitet ist, häusliche Gewalt sei männliche Gewalt.“

Wen wundert es also, daß laut der Pilotstudie „kein einziger der Männer, die angeben, häusliche Gewalt durch die Partnerin erfahren zu haben, die Polizei gerufen hat, obwohl einige der Meinung waren, daß die Partnerin dafür bestraft werden sollte“. Was einer Dunkelziffer von 100 Prozent entsprechen würde.

Die vom Robert-Koch-Institut durchgeführte Studie zur Gesundheit Erwachsener förderte zutage, daß Frauen, anders als angenommen, signifikant häufiger Täterinnen von körperlicher und psychischer Gewalt im häuslichen Bereich sind als Männer. 

Der Abschlußbericht der Pilotstudie las sich noch vielversprechend: „Inzwischen ist die Pilotstudie mit einem beachtlichen Gewinn an neuen Erfahrungen und wichtigen ersten Ergebnissen abgeschlossen. Diese machen deutlich, wie wichtig es ist, die ins Auge gefaßte Hauptstudie an einer repräsentativen Stichprobe der männlichen Bevölkerung durchzuführen. Die Ergebnisse dürften wesentlich dazu beitragen, die Situation von männlichen Opfern von Gewalt, ähnlich wie das vor Jahrzehnten mit weiblichen Gewaltopfern der Fall war, mehr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken und damit auch den Zugang zu Hilfsmöglichkeiten zu erleichtern.“

Die Hauptstudie wurde allerdings nie in Angriff genommen, statt dessen teilen 2019 die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Franziska Giffey, und die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz, Katarina Barley, in einer Broschüre zur aktuellen Fassung des Gewaltschutzgesetzes lapidar mit: „Häusliche Gewalt wird überwiegend gegen Frauen durch den Partner oder ehemaligen Partner ausgeübt.“ Und sie versetzen den Leser in Unruhe darüber, daß laut einer neuen repräsentativen Studie der Europäischen Grundrechteagentur „das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen in Deutschland weiterhin enorm hoch ist. Rund 22 Prozent der befragten Frauen im Alter von 18 bis 74 Jahren haben körperliche und/oder sexuelle Gewalt in der Partnerschaft erlebt.“ Die „enorm hohen Zahlen“ liegen immerhin drei Prozentpunkte unter den Gewalterfahrungen, die das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seinerzeit umgekehrt für Männer ausgemacht hatte, doch verleugnet es mittlerweile die Ergebnisse der eigenen Pilotstudie.

Dabei hatte das Robert-Koch-Institut – als nationales Public-Health-Institut die zentrale Einrichtung der Bundesregierung im Bereich der öffentlichen Gesundheit – schon 2013 das weithin angenommene Geschlechterverhältnis umgeworfen. Die Ergebnisse der „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ blamieren die deutsche Politik: Frauen waren signifikant häufiger Täterinnen von körperlicher und psychischer Gewalt im häuslichen Bereich (Partnerschaft, Familie) als Männer. Das Belastungserleben infolge körperlicher und psychischer Gewaltopfererfahrungen war bei Männern insgesamt deutlich höher, insbesondere bei häuslicher Gewalt (Partnerschaft, Familie).

Signifikant häufiger? Wie viele Milliarden an Projektgeldern das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für den Opferschutz von Frauen respektive für den von Männern regelmäßig bereitstellt, könne man nicht sagen, so die Presseabteilung auf Nachfrage: Im Etat würde nicht zwischen Männern und Frauen differenziert. Und fast reflexhaft: „Gelder gehen natürlich auch an Männerhäuser.“ Von denen es gerade einmal drei gibt, gegenüber mehr als 430 Frauenhäusern. Man empfiehlt, die Frage noch einmal schriftlich zu formulieren. Eine Antwort auf die E-Mail vom 28. Januar bleibt trotz Nachhakens aus.

Als Deutschlandradio in gleicher Sache intervenierte, machte die nationale Hörfunksäule des öffentlich-rechtlichen Rundfunks eine ähnliche Erfahrung. Weder die damalige Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig noch ihre Staatssekretärin hätten mit Deutschlandradio sprechen wollen. Angeblich hätten beide keine Zeit gehabt. Trotz mehrfacher Anfragen seien aus dem Ministerium nur Absagen gekommen.

Wenn eine Regierung schon den eigenen Staatsfunk anschweigt, dann hütet sie offenbar wie ein Staatsgeheimnis, in welch lächerlich geringem Ausmaß sie sich für männliche Opfer zuständig fühlt. Warum gibt es eigentlich ein Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und kein Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen, Männer und Jugend? Folgender Vergleich ist durchaus aufschlußreich:

Gleichheitsgebot und Diskriminierungsverbot könnte man für das deutsche Grundgesetz so zusammenfassen: „Frauen und Männer werden von Rechts wegen gleichgestellt (nach Art. 3 Abs. 2 GG) und haben somit die gleichen Rechte und Pflichten. Die Diskriminierung von Frauen ist daher nicht zulässig.“ Für die Schweizerische Bundesverfassung würde entsprechend gelten: „Das Verbot der Diskriminierung von Frau und Mann bzw. das Gebot der Gleichstellung von Frau und Mann findet sich speziell geregelt in Art. 8 Abs. 3 BV.“

Weil es männliche Opfer weiblicher Gewalt in erklecklicher Zahl gibt, hat Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern jetzt ein Hilfetelefon eingerichtet, deutschlandweit in dieser Form das einzige Beratungsangebot für gewaltbetroffene Männer. 

Im Gegensatz zur Schweiz gibt es also im deutschen Grundgesetz kein explizites Verbot der Diskriminierung von Männern. Die Grundannahme dabei ist wohl ein Patriarchat, das Frauen unterdrückt. Der renommierte Opferanwalt Shahram Iranbomy schildert die aus der Unwucht des Grundgesetzes resultierende Rechtswirklichkeit:

„Wenn es um die Folgen einer Trennung geht, dann wird eine Verhandlung im Familiengerichtssaal in aller Regel zu einem Frauenkampf mit allen (schauspielerischen) Mitteln gegen vielfach unschuldige Männer. Dabei spielen die Gewalterfahrungen der Männer kaum mehr eine Rolle, wenn es um die Wahrheitsfindung bei falschen Verdächtigungen durch böswillige Frauen geht, die Männer oft schädigen wollen. Mit dem Geld des Staates können Vertreter von feministischen Organisationen ihre Motivation ‘Männerhaß’ meistens im Ermittlungs- und Gewaltschutzverfahren durchsetzen. Deutsche Richter sprechen oft das Unrecht im Namen des Rechts.“

Was also hat Gender Mainstreaming, haben Frauenpolitik, Frauenforschung, Frauenbewegung, Frauenbeauftragte, Frauenberatungsstellen, Frauenabteilungen in den Ministerien, Frauenförderprogramme, Frauengesundheitsberichte, Frauennetzwerke, Frauenpower-Journalismus, Frauenreferate, Frauendezernentinnen, Landfrauenverbände, Frauenarbeitsgemeinschaften, Frauenrechtler, Frauenjustiz usw. nicht schon alles an Selbstverständnis zwischen Mann und Frau eingerissen? Am besten zusammengefaßt in dem Begriff „Gender Mainstreaming“ als totalitäre Steigerung, unser Land flächendeckend durch ein einheitliches Gestaltungsprinzip „auf den rechten Weg“ zu bringen? Zumal die Gegenseite kaum mehr als katholische Männergesangsvereine aufweist.

Ob die Polizei den rechten Weg geht, indem sie männliche Opfer häuslicher Gewalt marginalisiert? Ein Beispiel: Die Polizei Brandenburg, für die über 8.000 Polizisten arbeiten, hat eine eigene Zeitung, welche vom Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg herausgegeben wird. Die Ausgabe 2/2019 von info110 macht mit polizeilichem Opferschutz auf. Zum Titelthema berichten unter anderem Opferschutzbeauftragte von ihrer Arbeit. Die Chefredakteurin wählt als eine Zwischenüberschrift das umfassend im Gewaltschutzgesetz verankerte Leitmotiv staatlicher Intervention: „Wer schlägt, der geht. Das Opfer bleibt!“ Gleich darunter geht der Text weiter mit „Ein Viertel der in Deutschland lebenden Frauen hat bereits Gewalt durch (Ex-)Partner erlebt (...)“. Männer als Gewaltopfer werden im Bericht nicht erwähnt. „Daß in dem besagten Artikel Männer als Opfer von Partnergewalt keine Erwähnung finden, heißt nicht, daß es derartige Fälle nicht gibt“, emailt ein Sprecher des Ministeriums auf Nachfrage vom 7. Februar 2020 zurück.

Eine Auswertung des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2018 hatte ergeben, daß auf dem Gebiet der Partnerschaftsgewalt der Anteil männlicher Opfer mit 18,7 Prozent leicht angestiegen war. Dabei wird man von einer hohen Dunkelziffer ausgehen müssen. Weil es männliche Opfer weiblicher Gewalt eben in erklecklicher Zahl gibt, hat Nordrhein-Westfalen gemeinsam mit Bayern jetzt ein Hilfetelefon eingerichtet sowie unter www.maennerhilfetelefon.de ein zugehöriges Online-Beratungsangebot. „Das Hilfetelefon ist deutschlandweit in dieser Form das einzige und erste Beratungsangebot für gewaltbetroffene Männer“, sagte NRW-Gleichstellungsministerin Ina Scharrenbach (CDU) bei der Vorstellung des Projekts vor zwei Wochen. Gerade in der aktuellen Situation sei es „wichtig, daß auch Männer eine Anlaufstelle haben, an die sie sich wenden können, wenn sie Opfer von Gewalt geworden sind. Das Thema findet in unserer Gesellschaft immer noch wenig Beachtung.“






Claus Folger, Jahrgang 1966, ist Industriekaufmann. Heute arbeitet er unter anderem für die Fachhochschule Frankfurt/M. als Deutsch-als-Fremdsprache-Trainer. Zudem engagiert er sich seit zwei Jahren als Mitglied der Bürger für Frankfurt BFF.

Foto: Getreten, geschlagen, gebissen, fertiggemacht: Aus Scham mögen Männer über das in den eigenen vier Wänden Erlittene zumeist nicht sprechen. Zumal im Bild der Öffentlichkeit fast immer nur der Mann ein Täter ist