© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Siegesfeier als Flächenbrand
Nach der Kapitulation gehen in Sachsen reihenweise Städte durch die siegreichen Sowjets in Flammen auf / Geschichtsklitterungen bei Wikipedia
Paul Leonhard

Über den Erzgebirgskamm ziehen sich in den ersten Maitagen 1945 die Reste der um Dresden stehenden Wehrmachtseinheiten in geschlossenen Formationen zurück. Darunter auch die zur Verteidigung der sächsischen Landeshauptstadt vorgesehenen Regimenter. Festungskommandant General der Infanterie Werner Freiherr von und zu Gilsa hat die Truppen freigegeben. Sie sollen die um Prag stehende Masse der Heeresgruppe Mitte unter Ferdinand von Schörner verstärken. Der Generalfeldmarschall hofft, mit der Verteidigung Böhmens durch die Reste seiner Heeresgruppe Mitte der Dönitz-Regierung in Flensburg ein wichtiges Faustpfand bei ihren Waffenstillstandsverhandlungen mit den Alliierten zu sichern. Die meisten deutschen Soldaten hoffen dagegen, mit ihrer rechtzeitigen Flucht in amerikanische Kriegsgefangenschaft zu geraten.

Am 9. Mai ist dann alles vorbei. Das Großdeutsche Reich hat kapituliert. Auch in der bis dahin – abgesehen von einigen von Tieffliegern getroffenen Gebäuden wie der Stadtkirche St. Nikolaus aus dem frühen 16. Jahrhundert – unzerstörten Erzgebirgsstadt Altenberg zieht die Rote Armee ein. 24 Stunden später gleicht der Ort einer Ruinenlandschaft. Die später von der SED und auch der derzeitigen Berliner Regierung als Befreier Deutschlands gefeierten Soldaten von Väterchen Stalin haben in Landsknechtsmanier die Stadt geplündert und angezündet.

Das vom Zinnerz-Bergbau geprägte Altenberg ist nicht die einzige Stadt, die dieses Schicksal erlitten hat. Bereits zuvor waren vor allem in Ostpreußen zahlreiche von den Sowjets kampflos und unzerstört eingenommene Ortschaften eingeäschert worden. Beispiele sind Osterode, Angerburg, Arys, Lauenburg und das „Schlesische Rom“, die Barockperle Neiße. Aber auch nach Kriegsende verloren Städte durch sowjetische Brandschatzung ihr historisches Stadtzentrum wie beispielsweise das ostsächsische Herrenhut, eine Gründung der gleichnamigen Brüdergemeine. Die Einwohner des nahen Mittelherwigsdorf mußten ihren Ort räumen, der für eine Woche zur Plünderung freigegeben wurde.

Heute werden Deutsche der Brandschatzung bezichtigt

Im Fall von Altenberg waren an der Brandschatzung nicht nur sowjetische Soldaten beteiligt, sondern offenbar auch befreite Kriegsgefangene. Einer der Männer wurde sogar erkannt und später namentlich von Kurt Aulhorn angezeigt. Der Altenberger Tischler hatte die Courage, im Juli 1945 in einer eidesstattlichen Erklärung den russischen Kriegsgefangenen Nikolai T. zu beschuldigen, mit einem weiteren Zivilisten mit Hilfe von Brandsätzen Wohnhäuser angezündet zu haben. Die von den Siegern eingesetzten deutschen Behörden hefteten das Dokument ab, unternahmen aber nichts. Erst nach dem Ende der SED-Diktatur wurde es entdeckt. 

Offiziell wurden während der DDR-Zeit für den in der Nacht zum 10. Mai ausgebrochenen Stadtbrand, bei dem Altenberg 120 seiner Häuser verliert, was drei Viertel seiner Bebauung entspricht, weder sowjetische Soldaten noch Kriegsgefangene und auch nicht – wie heute im Online-Lexikon Wikipedia zu lesen – Attacken von Werwolf-Einheiten verantwortlich gemacht. Angesichts vieler Zeitzeugen einigten sich die Genossen der für die Ortsgeschichte zuständigen SED-Kreisleitung Dippoldiswalde auf die Formulierung „unbekannte Ursache“.

Hatten die Einheitssozialisten im konkreten Fall noch ein schlechtes Gewissen, so biegen sich heutige Historiker die Wahrheit ohne Rücksicht auf Quellen zurecht: Zwar wird die SED-Formulierung der „nicht restlosen Aufklärung“ übernommen, aber anschließend von Gefechten in der Stadt mit den sich zurückziehenden deutschen Truppen schwadroniert, von Plünderungen der „teilweise verlassenen Häuser“ durch deutsche Soldaten und von einem  „Gefecht zwischen den sowjetischen Truppen und einer im April 1945 in Altenberg gegründeten Werwolfgruppe“, bei denen sogar ein russischer Major getötet worden sei. Daran kann sich jedoch keiner der zu diesem Zeitpunkt in der Stadt lebenden Altenberger erinnern.