© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

Differenzierung ist notwendig
Ralf Küttelwesch hat die Edelweißpiraten erforscht
Bernhard Knapstein

Edelweißpiraten – der Name hat Klang. Gesorgt hat dafür der 2015 verstorbene Soziologe Arno Klönne mit seiner Forschungsarbeit zu „Jugend im Dritten Reich“. Er stieß auf die „Edelweißpiraten“ als Jugendgruppen, die von der Gestapo verfolgt wurden – und sortierte sie kurzerhand als bündische Widerstandsnester gegen den Nationalsozialismus, als jugendbewegte Opposition ein. Doch stimmt das Bild?

Mit beachtlicher Akribie ist Volkskundler Ralf Küttelwesch der Frage nachgegangen und hat seine Forschungen jetzt unter dem Titel „Bündische Jugend und Edelweißpiraten im Dritten Reich an Rhein und Ruhr“ vorgelegt und dabei nicht auf einen umfangreichen Fußnotenapparat sowie ein mehrseitiges Literatur- und Quellenverzeichnis verzichtet.

Küttelwesch verzichtet damit bewußt nicht auf wissenschaftliche Überprüfbarkeit seiner Gegenthese zur bisherigen indifferenten Glorifizierung aller Jugendgruppen, die von der Gestapo als Edelweißpiraten einsortiert waren. Der Autor hat ergänzende Zeitzeugeninterviews geführt und in Gestapoakten zwischen 1939 und 1945 im Düsseldorfer Hauptstaatsarchiv recherchieren können.

Der Autor differenziert deutlich zwischen Bündischen einerseits, die sich Konflikte mit der HJ leisteten, und Jugendhorden ohne bündischen Bezug, die schlichtweg den Dienst in der Hitlerjugend ablehnten und teils einfache kriminelle Jugendbanden waren. Das gelingt ihm, weil er das Wesen des Bündischen über die reine Symbolik hinaus verständlich macht und sich nicht damit begnügt, die Jugendgruppen jenseits der HJ pauschal als Gegner der Staatsjugend zu definieren. Er liefert zahlreiche Bilder und Dokumente, mit denen er die Unterscheidbarkeit zwischen HJ, Bündischen und illegalen, teils schlicht kriminellen Jugendgruppen stützt. 

Das Verdienst des Autors liegt somit in der sauberen Differenzierung zwischen bündischer Jugendkultur jenseits der HJ und anderen subkulturellen, bislang oft indifferent glorifizierten Erscheinungsformen von Jugendzusammenschlüssen nach dem Verbot der Jugendbünde 1936 durch Baldur von Schirach zugunsten einer Gleichschaltung der Jugendlichen in der HJ als Staatsjugend.

Ralf Küttelwesch: Bündische Jugend und Edelweißpiraten  Kleidung, Kennzeichen, Kultur, im Dritten Reich an Rhein und Ruhr. Verlag Factum-Coloniae, Mittenwald 2020, 114 Seiten, Abbildungen, 14,90 Euro