© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 20/20 / 08. Mai 2020

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Kommunikation: In der Corona-Krise beginnen Menschen wieder, sich intensiver zu unterhalten
Tobias Dahlbrügge / Gil Barkei

Die ausgewiesenen Spazierwege und Wiesen in den städtischen Naherholungsgebieten sind voll wie das Oktoberfest: Jogger, Nordic Walker, Gassigeher, Mountainbiker und selbst die Rollator-Fraktion knautschen sich über die Pfade. Auf dem frischen Grün ein biertrinkendes Trio neben dem anderen. Auf den ersten Blick kein Unterschied zu Prä-Kontaktverbot-Zeiten. 

Im alltäglichen und häuslichen Bereich geschieht etwas, das mit „Distancing“ in der Tat recht wenig zu tun hat. Gerade wegen der offiziellen Einschränkungen rücken viele Menschen – nicht unbedingt räumlich – enger zusammen. Die vielen oberflächlichen Kontakte zu Kollegen, Kunden, Bekannten und flüchtigen Freunden von Freunden fallen aus. Kein „Flurfunk“ im Büro, keine Kneipentouren mit anonymer Tresenkumpanei, kein „Party-Hopping“ von Bar zu Club und wieder zurück, keine Smalltalk-Runden in der Einkaufsstraße und im Fitneßstudio. Keine „Alles gut? – Alles super!“-Floskeln.

Die verordnete Entschleunigung und Einschränkung der sozialen Kontakte sorgen für eine Konzentration auf den wesentlichen Umgang. Die Pandemie siebt die letztlich unwichtigen „Nebengeräusche“ des berühmt-berüchtigten Tanz auf allen Hochzeiten aus. Übrig bleiben die wirklich wichtigen, teilweise vielleicht zuvor vernachlässigten Kontakte und Themen. 

Sei es eine junge Frau, die davon berichtet, jede Woche eine Postkarte an die Großeltern zu schicken, weil sie diese „Risikopersonen“ nicht mehr besuchen kann. Oder sei es ein Freund, der mehrmals wöchentlich eine Ewigkeit nach Übersee mit Verwandten videokonferiert. Viele telefonieren angesichts der zahlreichen ruhigen Abende zu Hause wieder häufiger im Familienkreis, und das ausführlich. Stundenlange Festnetztelefonate ersetzen gehetzte Handyanrufe zwischen Tür und Angel. 

Das Vergleichsportal Verivox verzeichnet in der Corona-Krise erstmals seit 13 Jahren wieder einen Anstieg der Festnetztelefonate. Anbieter Vodafone vermeldet Spitzentage mit einem Plus von 45 Prozent. Natürlich spielen die Homeoffice-Regelungen dabei ebenfalls eine Hauptrolle, aber eben nicht nur. Über Ostern „wurde viel und lange telefoniert“, sagt der regionale Telekommunikationsanbieter Marco Bungalski gegenüber dem Weserkurier. Die Anzahl der Gesprächsminuten sei so hoch gewesen wie an einem langen Arbeitstag vor der Krise.

„Wie geht es dir?“  wirklich ernst gemeint

Viele denken dieser Tage an Verwandte oder erinnern sich alter Freunde und Weggefährten und kramen einst notierte Nummern hervor, um sich nach ihrem Befinden zu erkundigen. Die Frage „Wie geht es dir“? ist plötzlich vollkommen ernst gemeint, genauso wie die Bereitschaft, der Antwort auch wirklich zuzuhören. „Ich lerne meinen WG-Mitbewohner nochmal ganz anders kennen“, erzählt eine alte Bekannte. Gespräche werden tiefer und ernsthafter: weniger „LG“- und Smiley-WhatsApp-Nachrichten im Minutentakt oder unverbindliche „Sorry, ich schaff’s heut’ nicht“-Absagen. Manch einer greift sogar wieder zu Stift und Papier und schreibt – wie früher – gar einen echten Brief.

In der „Paarantäne“ kommunizieren auch Ehepartner wieder öfter miteinander und entdecken neben so manchem bisher runtergeschlucktem Streitpotential auch liebenswerte Züge neu, wegen derer man sich einst anziehend fand. 

Wenn die Oberflächlichkeit aus dem täglichen Klingel-Leuchte-Vi­brier-Strom abgeschaltet ist, gewinnt die Kommunikation an Bedeutung. Selbst ein Plausch unter Nachbarn im Treppenhaus oder am Gartenzaun geht dann über das übliche Wetter-Blabla hinaus und berührt persönliche Empfindungen, die sonst kaum preisgegeben würden.

Schafft es die Corona-Krise, das dauernde Social-Media-Gewitter, das ständige Konsumieren von „News“-Häppchen und die infantile Emoji-Hieroglyphensprache wieder zu etwas ernsthafteren und verbindlicheren Unterhaltungen zu machen?