© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Vom freien Willen
Desiderius-Erasmus-Stiftung: In der AfD-nahen Einrichtung stimmen die Mitglieder darüber ab, ob einer ihrer Vorstände gehen muß oder nicht
Christian Vollradt

Hektische Betriebsamkeit hinter den Kulissen? Zumindest wird viel telefoniert und geschrieben unter den Mitgliedern der Desiderius-Erasmus-Stiftung (DES). Kaum verwunderlich, denn in der AfD-nahen Stiftung geht es um eine pikante Personalie. Vorstandsmitglied Erik Lehnert soll aus der Führung abberufen werden (JF 20/20). Über einen entsprechenden Antrag, hinter dem die große Mehrheit der übrigen Vorstände steht, muß nun im Laufe der beiden kommenden Wochen die gesamte Mitgliederschaft der DES abstimmen – in einer geheimen schriftlichen Wahl. 

Begründet wurde der Antrag mit der Tätigkeit Lehnerts als Geschäftsführer des Instituts für Staatspolitik (IfS). „Diese führende Funktion im IfS verträgt sich aufgrund der Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz, das IfS wegen extremistischer Tendenzen zu beobachten, nicht mit den Werten und Zielen der DES.“ Bleibe Lehnert, so die Befürchtung, „wird uns darüber hinaus gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung die Gemeinnützigkeit aberkannt werden“. Es drohe ein Verlust von Fördergeldern und des Vertrauens von Unterstützern. Immerhin könnten – optimistisch geschätzt – bei einem abermaligen Einzug der AfD in den Bundestag ihrer parteinahen Stiftung im Jahr 2022 erstmals etwa 6,5 Millionen Euro und ein Jahr darauf schon 13 Millionen zustehen. 

„Wer drin steht, fliegt raus“

Die DES-Vorsitzende Erika Steinbach hatte bereits im vergangenen Jahr ein Gutachten beim Staatsrechtler Dietrich Murswiek (JF 47/19) in Auftrag gegeben. Öffentlich äußern mochte sich Steinbach zu den Ergebnissen nicht; es spricht jedoch vieles dafür, daß sie sich von Murswieks Ausführungen bestärkt sieht. Daß sich eine Erwähnung im Verfassungsschutzbericht toxisch auf die Förderwürdigkeit auswirkt, davor warnte bereits vor Jahren die Linken-nahe Rosa-Luxemburg-Stiftung: „Wer drin steht (im VS-Bericht), fliegt raus!“

Zur Begründung, warum das IfS neuerdings als Verdachtsfall eingestuft wird, teilte der Verfassungsschutz der JUNGEN FREIHEIT mit, das Institut vertrete eine „exkludierende Ideologie“ und berufe sich „auf ein vermeintliches Widerstandsrecht, in dessen Rahmen die Anwendung von Gewalt im äußersten Fall als legitim erachtet wird“. Im Auge haben die Verfassungsschützer dabei beispielsweise Passagen einer Studie des IfS zum politischen Widerstandsrecht („Wir Deutsche sind das Volk“) von Thor von Waldstein. Darin heißt es an einer Stelle: „Gewalt gegen Sachen“ dürfe unter bestimmten Umständen „als gerechtfertigt im Sinne des Grundgesetz-Artikels 20“ erachtet werden. Und als mögliches konkretes Beispiel ist angeführt: „Durch die Unterbrechung der Strom- und Heizungszufuhr verhindert ein Widerstandsleistender die geplante Belegung einer Unterbringungseinrichtung mit Hunderten von Illegalen.“ Eine solche „Widerstandshandlung“ sei „wohl gerechtfertigt“, da nur geringfügiger Sachschaden entstehe und „verhältnismäßig“ angesichts der so abgewendeten Unterbringungskosten. 

In einem Schreiben an die Mitglieder der DES betont Erik Lehnert unterdessen, er stehe auf dem Boden des Grundgesetzes. Zudem drohe eine Aberkennung der Gemeinnützigkeit nur, wenn die betroffene Organisation – also die DES – als ausdrüklich extremistisch erwähnt werde. Im übrigen sei es aufgrund der Blockade der etablierten Parteien ohnehin unwahrschienlich, daß die AfD-nahe Stiftung in den Genuß von Fördermitteln des Bundes komme.

Der Konflikt um einen Einfluß des IfS auf die Stiftung über die Person Lehnert schwelt schon länger (JF 42/19). Das seit 20 Jahren existierende Institut in Schnellroda hat in der „Szene“ einen Namen, ist als Denkfabrik durchaus etabliert und hat – nicht zuletzt dank einer gestiegenen medialen Aufmerksamkeit – Einfluß auf Teile der AfD. Warum, so fragen sich Kritiker, versuche man dann in der Erasmus-Stiftung Tritt zu fassen, deren Ausrichtung („typisch konservatives Schielen nach Anschluß an Mainstream-Figuren und Amtsträger aus der Mitte der Gesellschaft“) Leuten wie IfS-Mitgründer Götz Kubitschek nicht behagte? Geht es dann also doch nur um die sprichwörtlichen Fleischtöpfe Ägyptens? 

Im nicht unwahrscheinlichen Fall, daß eine Mehrheit für die Abberufung Lehnerts votiert, würde man sich, so war im Umfeld des früheren AfD-„Flügels“ zu vernehmen, dafür stark machen, der Desiderius-Erasmus-Stiftung den Status als parteinahe Stiftung abzuerkennen. 2018 hatten sich über 60 Prozent der Delegierten des AfD-Parteitags in Augsburg genau dafür ausgesprochen.