© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Speziell demokratisch
SPD: Die im Umfragetief verharrende Mitregierungspartei setzt ihren strammen Linkskurs unbeirrt fort / Abgeordnete bangen um Wiederwahl
Jörg Kürschner

Es war zu Gerhard Schröders Sturm-und-Drangzeiten, also in besseren SPD-Jahren, als der spätere (und letzte) sozialdemokratische Bundeskanzler 1995 Wirtschaftsvertreter mit einer rotzigen Bemerkung amüsierte: Er verglich seine Partei mit einem Schafstall. „Wenn man sich nähert, riecht’s ein bißchen. Aber wenn man drinnen ist, ist’s schön warm.“ 

Temperaturwerte aus einer längst vergangenen Zeit, ist doch die Liste derer lang, die durch Intrigen brutal und mitleidlos in den Rücktritt getrieben wurden. Der Parteivorsitzende Kurt Beck wäre zu nennen, auch Martin Schulz und Sigmar Gabriel, im besonderen aber Andrea Nahles, die vor einem Jahr entnervt komplett aus der Politik ausstieg.

„Zeit für einen Regierungswechsel“

Ihr mit einigen Vorschußlorbeeren gestartete Nachfolger in der Fraktionsspitze, Rolf Mützenich, hat jetzt sein Gesellenstück in Sachen sozialdemokratischer Führungskultur abgeliefert. Bei der Besetzung des Wehrbeauftragten (JF 20/20) düpierte er den bisherigen Amtsinhaber Hans-Peter Bartels, trieb den mächtigen Chef des konservativen Seeheimer Kreises, den Haushaltspolitiker Johannes Kahrs, zum Rückzug aus der Politik, setzte dafür seine in Sachen Verteidigungspolitik gänzlich unerfahrene Favoritin Eva Högl durch und beschädigte das Amt und das Ansehen der SPD bei den Soldaten. Das Tiefdruckgebiet hat sich festgesetzt im Willy-Brandt-Haus, der oft beschworene Geist des solidarischen Miteinanders ist entschwunden. Es ist kalt geworden in der Berliner Parteizentrale. Dafür gibt es mehrere Ursachen. Die SPD-Bundesminister mögen noch so viele ur-sozialdemokratische Vorhaben durchsetzen, der Wähler will es einfach nicht honorieren. Eine bittere Erfahrung, die schon Wirtschaftsminister Gabriel während der zweiten Großen Koalition (2013–2017) unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) nicht erspart blieb. Daran hat sich nichts geändert, mögen die SPD-Minister Hubertus Heil, Franziska Giffey und Olaf Scholz in der Corona-Krise auch noch so viele finanzielle und soziale Rettungsschirme aufspannen. 

In den Umfragen dümpelt die SPD trotz medialer Corona-Dauerpräsenz zwischen 15 und 16 Prozent, der Koalitionspartner CDU/CSU dagegen kratzt uneinholbar an der 40-Prozent-Mauer. „Es ist offenbar so, daß immer der größere Partner mehr profitiert“, meinte Co-Parteichef Norbert Walter-Borjans kürzlich resigniert. Mit ihm und Saskia Esken, der anderen Parteichefin, ist freilich ein weiteres Problem beschrieben. Beide haben die Mitgliederbefragung mit einer betont kritischen, fast ablehnenden Haltung zur Großen Koalition für sich entschieden. Gegen Finanzminister und Vizekanzler Scholz. Koalitionsbruch, Minderheitsregierung, Neuwahlen aber sind Metaphern der Vor-Corona-Zeit. 

Das oft skurril wirkende Links-Duo kann neben den pragmatischen SPD-Bundesministern kaum überzeugen, scheint manchen überflüssig. Kein anderer als der Machtmensch Schröder brachte es in seiner unnachahmlichen Art auf den Punkt. Er gab den beiden Parteichefs öffentlich eine „freundliche Empfehlung, nämlich sich hinter den amtierenden SPD-Ministern zu versammeln und ansonsten still zu sein. Man kann auch Falsches erst recht zur falschen Zeit sagen“. Einführung einer Vermögensabgabe, Begrenzung der Vorstandsgehälter ... die Forderungen verpufften. Nur die Linke freute sich. Parteiikone Gregor Gysi: „Mein Gefühl sagt mir. Im nächsten Jahr ist es Zeit für einen Regierungswechsel.“ Auch weil Mützenich in der Verteidigungspolitik an einem Kurswechsel arbeitet. Der bekennende Pazifist strebt Atomwaffenfreiheit und damit auch ein Ende der nuklearen Teilhabe für Deutschland und Europa in der Nato an. Ein Herzensanliegen des Diplom-Politologen, hat er doch 1991 über atomwaffenfreie Zonen promoviert. Den Abzug der amerikanischen Atombomben begründet er mit der unberechenbaren Politik von Präsident Donald Trump, Anlaß bietet ihm die Forderung von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU), anstelle des veralteten Tornados atomwaffentaugliche Bomber des Typs Boeing F-18 anzuschaffen (JF 19/20). Nicht nur die Union warnte vor einer Lockerung der Westbindung Deutschlands, auch in der eigenen Partei wurde der Parteilinke kritisiert, unter anderem von Außenminister Heiko Maas und dem verteidigungspolitischen Sprecher Fritz Felgentreu.

Auf Mützenichs Seite stellten sich demonstrativ die Parteichefs Walter-Borjans und Esken. In der Fraktion sehen ihn viele als Gegenspieler zu Maas, der in der Fraktion auf Bartels und Kahrs zählen konnte. Beide hätten sich einem Linkskurs entgegengestemmt, gerade Kahrs, ein Oberst der Reserve, der 1982 wegen des Kanzlers Helmut Schmidt zur SPD gefunden hatte. Der Streit um den von diesem maßgeblich vorangetriebenen Nato-Doppelbeschluß hatte die Partei damals fast zerrissen zwischen den „Friedenspolitikern“ um Ex-Kanzler Willy Brandt, die auf Massendemonstrationen mehr als eine Million Menschen für ihren Anti-Schmidt-Kurs mobilisieren konnten. Schmidt hatte bald das Vertrauen seiner Partei verloren und 1982 auch das Amt an Helmut Kohl, dem CDU-Dauerkanzler, der Schmidts Politik fortsetzte. Die SPD landete für 16 lange Jahre in der Opposition. 

Eine zerstrittene Partei vor der Bundestagswahl im Herbst 2021 – ein Horrorgedanke in der Fraktion, wo viele Abgeordnete um ihre Wiederwahl bangen.