© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Abseits demokratischer Kontrolle
Kritik an dem Einfluß von Bill Gates: Die Stiftung des US-Multimilliardärs beansprucht im globalen Gesundheitssektor die Rolle des Spielmachers
Björn Harms

Seit einigen Wochen gehen in ganz Deutschland Menschen auf die Straßen, denen die Corona-Maßnahmen entschieden zu weit gehen. Menschen, die Fragen stellen. Aber häufig auch meinen, bereits Antworten gefunden zu haben. „Gib Gates keine Chance“ ist auf vielen T-Shirts und Plakaten von Demonstranten zu lesen. Ein fremdgesteuertes Corona-Regime drohe uns auch in Deutschland. Inzwischen kursieren die wildesten Theorien rund um den Gründer des Microsoft-Konzerns Bill Gates, der 1994 gemeinsam mit seiner Frau Melinda die „Bill & Melinda Gates Foundation“ gründete, die größte Privatstiftung der Welt, die vor allem im Gesundheitswesen Milliarden investiert.

„Wir glauben daran, daß jeder Mensch ein gesundes und produktives Leben leben soll“, lautet der Wahlspruch der Stiftung mit Sitz in Seattle (US-Bundesstaat Washington), die 47 Milliarden Dollar Kapital vorweisen kann. Nun will Gates den Impfstoff finden, der gegen das Sars-CoV-2-Virus helfen soll. „Wenn alles perfekt laufen würde, dann würden wir in einem Jahr den Impfstoff produzieren“, sagte der 64jährige kürzlich in einem Interview mit dem Nachrichtensender CNN. „Es gibt über hundert Bemühungen dazu. Was wir tun müssen, ist, die Vielversprechendsten herauszupicken und dann mit voller Geschwindigkeit die Produktion zu beginnen.“

Im Hintergrund läuft der Apparat bereits auf Hochtouren. Gemeinsam mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die seit der Jahrtausendwende knapp 2,3 Milliarden Euro von der Bill & Melinda Gates-Stiftung erhielt und die – vor dem Zahlungsmoratorium der USA – zuletzt 11,4 Prozent ihres jährlichen Etats aus dessen Geldern finanziert, begann die Gates-Stiftung am 24. April die „Global Response“-Initiative zum Kampf gegen das Coronavirus. Unter prominenter Mithilfe: Im Zuge der Ini­tiative organisierte die EU-Kommission eine weltweite Geberkonferenz für freiwillige Spender. Ziel: 7,5 Milliarden Euro.

Vier Millarden Euro sind ­für Impfstoffe vorgesehen

Der Betrag basiert auf einer Bewertung, die im März 2020 vom WHO-Monitoringausschuß für weltweite Krisenprävention (GPMB) durchgeführt wurde. Etwa vier Milliarden Euro sind für mögliche Impfstoffe vorgesehen, zwei Milliarden Euro für Behandlungen und 1,5 Milliarden Euro für Diagnostika. Ziel sei es, sichere Impfstoffe, Tests und therapeutische Produkte in „beispiellosem Tempo und Umfang zu entwickeln“ und diese „überall in der Welt gleichermaßen zugänglich zu machen“.

Vergangene Woche meldete die Kommission Vollzug, 7,4 Milliarden Euro seien garantiert. Während die USA und Rußland außen vor blieben, steuerte Deutschland knapp 525 Millionen Euro zum EU-Projekt bei. Anderthalb Milliarden Euro kommen aus dem EU-Haushalt, 515 Millionen Euro aus Frankreich. Großzügig zeigten sich zudem Japan (762 Millionen Euro), Kanada (552 Millionen Euro), Großbritannien (547 Millionen Euro) und Saudi-Arabien (457 Millionen Euro).

Die Spendensammlung wurde somit zwar von der Europäischen Kommission initiiert. Die Gelder allerdings sollen direkt an bestimmte Institutionen überwiesen werden, jeweils verantwortlich für die Bereiche Impfstoff, Behandlung oder Diagnostika.

Das ist zum einen die „Koalition für Innovation in der Epidemievorsorge“ (CEPI) in Genf, gegründet von der Gates-Stiftung, das Programm „Therapeutika-Beschleuniger“, an dem die Gates-Stiftung beteiligt ist, die Stiftung für Innovative Neue Diagnostik (FIND) in Genf, und – die wohl entscheidendste Institution – die Impfstoff-Allianz GAVI, die mit der Suche nach möglichen Impfstoffen im Zusammenhang mit dem Coronavirus betraut ist.

Die öffentlich-private Partnerschaft GAVI wurde im Jahr 2000 von der Gates-Stiftung initiiert, mit Gründungskapital versorgt und auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos ins Leben gerufen. Hauptfinanzier ist neben Großbritannien, den USA, Norwegen und Deutschland natürlich auch weiterhin Gates selbst. Zuletzt überwies die Stiftung für die Periode 2016–2020 umgerechnet rund 1,4 Milliarden Euro an GAVI. GAVI wiederum ist nach dem Ausstieg der USA der mittlerweile zweitgrößte Spender an die WHO.

Was direkt zur nächsten Frage führt: Wer entscheidet – wenn das Geld einmal bei GAVI liegt – über die geförderten Impfstoff-Projekte und die Verteilung der Mittel? Noch jedenfalls keiner: „Die Frage der ‘Governance’ wird derzeit mit den Organisatoren der Verpflichtung diskutiert“, teilt eine Sprecherin der EU-Kommission der JUNGEN FREIHEIT mit. Die Garantien könnten „von den Geldgebern selbst, durch ihre eigenen Finanzierungsmechanismen vergeben werden“, oder sie könnten andere Organisationen, die über „geeignete Finanzierungsmechanismen verfügen“, damit beauftragen. Und wer diese anderen Institutionen sind, wird schnell klar.

Denn glücklicherweise gibt es „engagierte Organisationen“, die bereit seien, mit ihren „Koordinations-, Finanzierungs- und Zuschußkapazitäten die globale Antwort auf die Pandemie zu unterstützen“, so die EU-Sprecherin gegenüber der JF. Wieder werden CEPI und GAVI genannt; zusätzlich auch der „Global Fund“, eine von der Gates-Stiftung mitbegründete und mitfinanzierte öffentlich-private Institution, die sich zum Ziel gesetzt hat, die drei großen Infektionskrankheiten Aids, Tuberkulose und Malaria zu bekämpfen; die NGO Unitaid, ebenfalls von der Gates-Stiftung mitfinanziert; sowie der Wellcome Trust, nach der Gates-Foundation die weltweit zweitreichste Privatstiftung, die medizinische Forschung fördert.

„Die Industrie nimmt an den Diskussionen über die ‘Governance’-Mechanismen dieser Partnerschaften teil“, faßt die EU-Kommission den Sachverhalt zusammen. Heißt im Klartext: Damit bestimmt die Industrie auch über ein Milliardenpaket aus Steuergeldern. „Lange mußte Gates den Regierungen Geld geben, um die Welt mitregieren zu dürfen. Nun bekommt Gates für die ‘Global Governance’ Geld von den Regierungen“, kommentiert der Wirtschaftsjournalist Norbert Hähring den Vorgang auf seinem Blog.

Doch wozu das alles? Der reine Profit dürfte es nicht sein. Das Volumen des weltweiten Arzneimittelmarkts schätzt eine Studie des IQVIA-Instituts auf mehr als eine Billionen Euro. Die Einnahmen durch Impfstoffe machen davon gerade einmal knapp 45 Milliarden Euro aus. Diese dürften durch einen weltweit einzigartigen Impfstoff gegen Sars-CoV-2 zwar ansteigen, entscheidender könnte für Gates jedoch vielmehr der Machtzuwachs und Einfluß sein, der mit dem Auffinden eines Impfstoffs einherginge. Doch natürlich pocht der Milliardär weiterhin auf sein rein philanthropisches Ansinnen. 

Dennoch wirft die Verwaltung des Stiftungsvermögens Fragen auf. Weshalb hält die Stiftung Coca-Cola-Aktien im Wert von 500 Millionen Dollar? Oder Aktien im Wert von einer Milliarde Dollar an der umstrittenen Supermarktkette Walmart? Hinzu kommen Beteiligungen an Nahrungsmittelkonzernen, Alkoholkonzernen und Pharmakonzernen. „Die Stiftung profitiert von ihren Investitionen in Unternehmen, die weltweit zu sozialer und wirtschaftlicher Ungerechtigkeit beitragen“, hieß es 2016 in einer umfangreichen Studie („Ist die Gates-Foundation immer eine Kraft des Guten?“) des britischen Historikers und Journalisten Mark Curtis. „Diese Investitionen fördern kaum das Hauptanliegen von Gates – die globale Gesundheit.“

2,3 Millionen Euro an den „Spiegel“ gespendet

Generell seien viele Stimmen in Deutschland von Bill Gates gekauft, werfen Kritiker wie der Blogger Ken Jebsen ein, dessen Youtube-Video „Gates kapert Deutschland“ bis zum Redaktionsschluß rund 3,1 Millionen mal angeklickt wurde. Auch der omnipräsente Virologe Christian Drosten und die Charité Berlin stünden auf Gates’ Gehaltszettel. Die knapp 230.000 Euro, die dieses Jahr von der Stiftung zweckgebunden an das Klinikum gingen, bedeuten tatsächlich jedoch – berechnet am Gesamteinkommen von 1,8 Milliarden Euro – einen Anteil von lediglich 0,013 Prozent.

Und wie sieht es bei den Medien aus? Das Magazin Der Spiegel erhielt von der Gates-Stiftung 2018 eine Spende in Höhe von 2.537.294 Dollar. Mit dem Geld wurde das Projektressort „Globale Gesellschaft“ gegründet, für das Reporter aus aller Welt über „Ungerechtigkeiten vor dem Hintergrund der Globalisierung – aber auch von vielversprechenden Ansätzen“ berichten sollen, wie der Spiegel es beschreibt. Die redaktionellen Inhalte entstünden jedoch „ohne Einfluß durch die Stiftung“.

Auch an Die Zeit flossen im vergangenen Jahr 297.124 Dollar. Ebenfalls ein geringer Betrag, betrachtet man den jährlichen Gesamtumsatz von 88 Millionen Euro (Print und Digital). Dabei hatte das Blatt noch im April 2017 einen Artikel veröffentlicht, der vielen Gates-Gegnern gefallen dürfte: „Der heimliche WHO-Chef heißt Bill Gates“, lautete damals die Überschrift – genau der Ton also, der in diesen Tagen auf den Corona-Demonstrationen aufzufinden ist. Die wichtigste Einrichtung der Weltgesundheit sei pleite, hieß es in dem Artikel vor drei Jahren. „Weil ihre Mitglieder nicht genug einzahlen, braucht die WHO immer mehr Geld von privaten Stiftungen und der Industrie – und droht damit ihre Unabhängigkeit zu verlieren.“

Festzuhalten bleibt: Ein fremdgesteuertes „Corona-Regime“ dürfte uns wohl kaum drohen. Doch nicht nur die geschilderten Prozesse rund um die Gates-Stiftung, auch die derzeitigen Rekordgewinne von Konzernen wie Amazon oder die derzeitigen Versuche aus Silicon Valley, „die Krise zu nutzen, um eine Zukunft zu entwickeln, in der jede unserer Bewegungen, jedes unserer Worte, jede unserer Beziehungen nachvollziehbar, rückverfolgbar und durch die beispiellose Zusammenarbeit zwischen Regierung und Technikgiganten datenverfügbar ist“, wie es die US-Journalistin Naomi Klein vergangene Woche bei The Intercept ausdrückte, machen deutlich: Vor aller Augen verdichten sich die globalkapitalistischen Strukturen – mit einem Oligarchen wie Bill Gates als Vorreiter.





Immunitätsausweis: Vorerst abgelehnt

Droht in Deutschland eine Corona-Impflicht? Als vermeintlicher Beleg für die Gefahr geben einige Kritiker einen Gesetzentwurf der CDU/CSU an, der Mitte April publik wurde und tatsächlich einen Immunitätsnachweis festschrieb. Mit ihm sollte Bürgern, die Covid-19 bereits überstanden haben oder geimpft wurden, aufgrund ihrer Immunität mehr Bewegungsfreiheit ermöglicht werden. Aus den anderen Parteien und aus den Reihen des Koalitionspartners SPD regte sich Widerstand. Der Nachweis wurde aus dem Entwurf gestrichen. „Es gibt eine hohe Bereitschaft der Bürger, sich gerade beim Thema Coronavirus impfen zu lassen. Wo die Freiwilligkeit zum Ergebnis führt, da braucht es keine Pflicht“, beschwichtigte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche im ARD-Morgenmagazin. Tatsächlich  gibt es bereits erste NGOs, die sich für eine digitale ID einsetzen. Das Projekt „ID2020“, gegründet 2016 in New York, arbeitet gemäß dem Uno-Ziel für eine nachhaltige Entwicklung bis 2030 daran, allen Menschen eine legale Identität zu geben.

 www.id2020.org