© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Thyssen-Krupp und Lufthansa als Bittsteller
Corona-Hilfen: Kurzfristige Staatsbeteiligungen statt Kredite und Zuschüsse zur Krisenfinanzierung?
Dirk Meyer

In der Dreigroschenoper stellte Bertolt Brecht 1928 die provokante Frage: „Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie? Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank?“ Waren es ein Jahr später zunächst die Börsen, die einbrachen, waren es 80 Jahre später in der Finanzmarktkrise wirklich die Banken, die mit den Milliarden der Steuerzahler gerettet wurden. Heute sind es eher große und kleine Unternehmen aus der Gastronomie, Sport- und Modebranche, dem Tourismus, im Kultur- und Veranstaltungsbereich oder der Luftfahrt, die nach staatlichen Hilfen rufen.

Vor zwölf Jahren hießen die Problemfälle Hypo Real Estate (HRE) und Commerzbank, heute heißen sie Adidas, TUI und Lufthansa. Doch die früheren Krisen unterscheiden sich von dem Corona-Shutdown grundlegend: Erstens entstanden die Bankenschieflagen vornehmlich durch Risiken, die teils nicht transparent waren, nicht durchschaut wurden und deren Übernahme aufgrund ungeeigneter Anreize eingegangen wurde – Stichwort Boni bei Top, Absprung mit Abfindung bei Flop. Sie waren größtenteils selbstverschuldet. Die Covid-19-Pandemie trifft die Firmen hingegen unverschuldet.

Schutz kritischer Industrie-und Infrastrukturen?

Zweitens ist der Auslöser für mögliche Konkurse ein anderer. Den Banken schmolz die Vermögensseite der Bilanz durch notwendige Wertberichtigungen nicht mehr werthaltiger Kreditverbriefungen dahin. Lücken im Eigenkapital führten zur Überschuldung. Heute fehlen die Gelder aus Umsätzen bei weiterhin bestehenden Verpflichtungen aus Arbeitsverträgen, Mieten usw. Auch ein völlig gesundes Unternehmen kann heute in Zahlungsnöte kommen – die in letzter Konsequenz den Gang zum Konkursgericht notwendig machen. Schließlich gelten Großbanken aufgrund der finanziellen Verflechtungen als systemrelevant, während dies für Adidas und TUI kaum gilt.

Diese Vorbemerkungen sind wesentlich, um mögliche Staatshilfen abschätzen zu können. Die Mittel des Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) umfassen zur Zeit Kreditgarantien/Bürgschaften (400 Milliarden Euro) sowie Kredite und Eigenkapitalhilfen (je 100 Milliarden Euro). So will die Bundesregierung vor allem einen „Ausverkauf“ verhindern, denn manche Industrieperle könnte in der jetzigen Schwächephase zu Schnäppchenpreisen von ausländischen Konzernen oder Beteiligungsgesellschaften aufgekauft werden.

Seit dem Verkauf der Augsburger Roboterfirma Kuka an einen chinesischen Staatsbetrieb ist diese Gefahr deutschen Politikern bewußt (JF 16/20). Die Novelle des Außenwirtschaftsgesetzes zum Schutz kritischer Infrastrukturen, wie beispielsweise Stromnetze, und weiterer ziviler Sicherheitsbereiche ist ein Reflex dieser Erfahrung. Ordnungs- und wettbewerbspolitisch ist jedoch vor zu intensiven Staatseingriffen zu warnen, sind sie doch schwer wieder aufzulösen.

Zudem zeigt die Erfahrung, daß der Staat ein schlechter Unternehmer ist, wenn es um Anpassungen, neue Ideen und Flexibilität geht. Beispiele staatlicher Beteiligungen anläßlich der Finanzmarktkrise stimmen nachdenklich. Die direkte Beteiligung des Bundes an der Commerzbank 2008/2009 als stimmrechtslose stille Einlage in Höhe von 16,4 Milliarden Euro wurde zwar im Jahr 2013 abgelöst. Die vom Bund derzeit noch gehaltenen 15,6 Prozent Anteile im Wert von etwa 650 Millionen Euro waren damals allerdings etwa fünf Milliarden Euro wert.

Welche Staatshilfe ist verhältnismäßig?

Die Komplettverstaatlichung der HRE dürfte den Steuerzahler etwa 20 Milliarden Euro gekostet haben. Auch die Beteiligungen des amerikanischen Staates an den Autobauern General Motors und Chrysler infolge der Finanzmarktkrise in Höhe von 80 Milliarden Dollar führten bis zum letzten Verkauf 2014 zu Verlusten von zehn Milliarden Dollar. Wie also sollte die Regierung in der jetzigen Krise handeln?

Die Antwort ist einfach und komplex zugleich: Angemessen ist alles, was geeignet, erforderlich und verhältnismäßig ist. Finanzspritzen können das Überleben kurzfristig sichern. Um Steuergelder zu schonen, müssen jedoch die langfristigen Erfolgsaussichten abgeschätzt werden. Drei Beispiele: Thyssen-Krupp hatte bereits vor dem Shutdown strukturelle Probleme. Condor steht hingegen nach dem Untergang des Touristikunternehmens Thomas Cook in einem Schutzschirmverfahren und sucht nach der geplatzten Übernahme durch die polnische Fluggesellschaft LOT nach einem neuen Käufer (JF 18/20).

Lufthansa hat ein schlüssiges Firmenkonzept und weist in der Bilanz 2019 solide Zahlen und einen Konzerngewinn von 1,2 Milliarden Euro aus. Eine begrenzte Liquidität ist auch jetzt vorhanden. Die Anleihen haben (noch) Investmentgrade, doch könnte der Kapitalmarktzugang über kurz oder lang schwierig werden. Eine Beteiligung kommt im Fall Thyssen-Krupp wegen des hohen Risikos und notwendiger Strukturentscheidungen nicht in Frage. Bei Condor geht es um eine hoffentlich kurzfristige Überbrückung, der Ferienflieger bekommt deshalb 550 Millionen Euro Kredit.

Beim Poker um Lufthansa spielen mehrere Faktoren hinein. Als gesundes Unternehmen besteht aktueller Zahlungsmittelbedarf für die Gehälter und laufenden Kosten. Zwar sind 86 Prozent der Flugzeuge im Eigentum, so daß keine Leasingzahlungen anfallen. Jedoch werden mittelfristig erhebliche Wertberichtigungen belasten – sowohl bei der geplanten Verkleinerung der Flotte als auch bei den gehaltenen Flugzeugen und den Treibstoffabsicherungen über jetzt verlustreiche Termingeschäfte. Diese Verluste zehren am vorhandenen Eigenkapital. Deshalb könnte hier ein Wiedereinstieg des Staates erforderlich werden, nachdem die Privatisierung 1997 recht erfolgreich gelang.

Doch was ist verhältnismäßig? Die Antwort hängt von der Bewertung alternativer Szenarien ab – ist Lufthansa mit dem Linienangebot systemrelevant, was passiert mit den Beschäftigten? In jedem Fall sollten die Alt-Aktionäre und Beschäftigten mangels Alternativen für die Hilfen mit zahlen: Dividendenverbot, hochverzinste stille Einlage, Aktien zum Nennwert von 2,56 Euro (ein Drittel des jetzigen Kurses), Vorzugsaktien mit Dividendenanspruch und die Rücknahme von tariflichen Sondervergütungen. Auf eine Mitsprache im Unternehmen sollte der Staat besser verzichten. Politiker taugen im Regelfall nicht als marktnahe Unternehmer, zumal wenn es sich um gut dotierte „Entsorgungspositionen“ handelt.






Prof. Dr. Dirk Meyer lehrt Ökonomie an der Helmut-Schmidt-Universität Hamburg.

Sein neues Buch „Europäische Union und Währungsunion in der Dauerkrise“ (Springer Verlag 2020) liefert Analysen und zeigt Konzepte für einen Neuanfang auf.





Staatshilfen für Fluggesellschaften

Die mit 31,3 Milliarden Dollar Umsatz und 81.500 Beschäftigten nach der Lufthansa Group zweitgrößte europäische Fluggesellschaft Air France-KLM erhält wegen des Corona-Shutdowns Staatshilfen von elf Milliarden. Frankreich, das 14,3 Prozent der Aktien besitzt, gewährt drei Milliarden Euro als Aktionärsdarlehen und Staatsgarantien für vier Milliarden Euro an Bankdarlehen. Die Niederlande, die 14 Prozent der Anteile halten, wollen KLM mit vier Milliarden Euro stützen. Der mit 28,8 Milliarden Dollar Umsatz und 63.500 Beschäftigten drittgrößte europäische Linienflugkonzern IAG diskutiert noch über Stützmaßnahmen. Britisch Airways-Chef Alex Cruz will „diese Krise selbst überwinden“ und dafür 12.000 von 45.000 Angestellten entlassen. Die beiden spanischen IAG-Fluglinien Iberia und Vueling haben hingegen schon staatlich garantierte Kredite von 750 Millionen bzw. 260 Millionen beantragt. Die Lufthansa-Töchter Swiss und Edelweiss erhalten von der Schweiz Garantien für 1,3 Milliarden Franken. Austrian Airlines hat in Österreich Hilfen in Höhe von 767 Millionen Euro beantragt. (fis)