© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

„Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“
Geldpolitik: Die vor 30 Jahren vereinbarte deutsch-deutsche Währungsunion unterscheidet sich fundamental von der Europäischen Währungsunion
Joachim Starbatty

Vor 30 Jahren, am 18. Mai 1990 unterzeichneten Bundesfinanzminister Theodor Waigel (CSU) und sein Ostberliner Amtskollege Walter Romberg (SPD) den Staatsvertrag über eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Am 23. April – nur fünf Wochen nach der ersten freien Volkskammerwahl – war die Währungsunion der damaligen DDR-Regierung von Bonn angeboten worden. Es lagen allerdings keine Konzepte für eine Transformation der DDR-Wirtschaft vor. Die Bundespolitik hatte zuvor Institute, die sie hätten erarbeiten können und wollen, wissen lassen, daß solche „revanchistischen“ Überlegungen nicht erwünscht seien.

Kurt Biedenkopf, von Oktober 1990 bis 2002 CDU-Ministerpräsident des Freistaates Sachsen, sagte im Bundestag, die Währungsunion sei der Versuch, auf eine revolutionäre Situation eine revolutionäre Antwort zu finden. Solche Antworten finde man nicht in den Lehrbüchern. Realistische Alternativen für die deutsch-deutsche Währungsunion und die nachfolgende Wiedervereinigung gab es nicht. Die konkurrierenden Modelle (Sachverständigenrat, Kronberger Kreis, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung) hätten den Realitätstest nicht bestanden, weil sie den Transformationsprozeß über einen längeren Zeitraum strecken wollten – doch diese Zeit gab es nicht.

Nach der Maueröffnung am 9. November 1989 war eine Lawine losgetreten worden, die über Institutionen, Vorurteile und Konzepte hinwegrollte. Die DDR drohte personell auszubluten: „Kommt die D-Mark nicht zu uns, gehen wir zu ihr“, bekundeten die Bürger, die nicht länger Menschen zweiter Klasse sein und von den begehrten Waren ausgeschlossen werden wollten. Wie wenig die Mark der DDR wert war, konnten sie im 1985 eröffneten „Interhotel Bellevue“ in Dresden sehen: Die Meißner Porzellan-Figuren und die Juwelierarbeiten konnten „nur gegen Devisen“ vom „Klassenfeind“ gekauft werden.

Die zentrale Frage der Währungsunion war die nach dem ökonomisch richtigen und sozial akzeptablen Wechselkurs. Ein zu hoher Kurs hätte die DDR-Wirtschaft ruiniert, ein zu niedriger hätte die Einkommen unter Sozialhilfeniveau gedrückt. Die Politiker und die sie beratenden Experten stützten sich auf Produktivitätsschätzungen, ohne freilich die Qualität und Wettbewerbsfähigkeit der Produkte einzukalkulieren. Die DDR-Löhne betrugen in etwa ein Drittel der westdeutschen Pendants. Die Bundesregierung glaubte daher, einen Umtauschkurs von einer D-Mark gegen eine Mark der DDR vertreten zu können.

Trotz aller Probleme im Sinne der Bürger

Die Sparguthaben wurden – bis auf einen altersbedingten Grundbetrag von 2.000 bis 6.000 Mark – halbiert, die DDR-Löhne wurden hingegen ab 1. Juli in voller Höhe in D-Mark ausbezahlt. Dieser für die DDR-Wirtschaft überhöhte Wechselkurs hätte mit der Zeit marktgerecht werden können, wenn Produktivitätsfortschritte nicht als Lohnsteigerungen ausgeschüttet, sondern zur Senkung der Lohnstückkosten verwandt worden wären. Doch wollten weder Arbeitgeberverbände noch Gewerkschaften außerhalb ihres Lohnkartells Außenseiter dulden: In einer Nation könne es nicht zwei verschiedene Lohnniveaus geben. Sie waren taub für das Argument, daß der Versuch, die Einkommensunterschiede durch hohe Lohnforderungen wettmachen zu wollen, den Anpassungsprozeß verlängere, weil die Ex-DDR-Wirtschaft ihres Vorteils beraubt würde, über niedrigere Löhne Investitionskapital ins Land zu holen. Erst heute scheint sich das Blatt zu wenden, weil die Lebensqualität dort gerade jüngere Leute anzieht.

Inzwischen zeigt sich auch der Unterschied zwischen deutsch-deutscher und Europäischer Währungsunion (EWU). Im Zuge der Wiedervereinigung erweiterte die Bundesbank ihr Hoheitsgebiet, während sie im Euro-Raum ihre Eigenständigkeit verloren hat. Sie hat im entscheidenden Beschlußgremium der EZB, dem Zentralbankrat, nur eine Stimme und wird bei entscheidenden Abstimmungen überstimmt. Die EZB sieht es inzwischen als ihre vorrangige Aufgabe an, die Eurozone durch Nullzinspolitik und Staatsanleihenkäufe (JF 20/20) zusammenzuhalten, ohne auf die Interessen der Bürger in den stabilitätsorientierten Mitgliedstaaten zu achten.

Die EZB wird dort auch nicht geschätzt. Demgegenüber hatte die Bundesbank einen starken Rückhalt im Volk; das war ihr Trumpf gegenüber politischer Begehrlichkeit. Die EWU ist dagegen ein politisches Kunstprojekt, das Schwach- und Starkwährungsländer unter einen Hut zu bringen versucht. Dessen Überleben erfordert immer mehr Zentralisierung, Transfers und die Abgabe nationaler Haushaltsrechte. Während die deutsch-deutsche Währungsunion dem Willen der Bürger entsprach, wäre eine Auflösung der EWU und die Rückgewinnung nationaler Handlungsfähigkeit für alle Euro-Mitgliedstaaten ein Gewinn.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist emeritierter VWL-Professor an der Universität Tübingen. Er war bis 2014 Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und bis 2019 Abgeordneter des EU-Parlaments.