© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 21/20 / 15. Mai 2020

Es werden keine Barrikaden gestürmt
Markus Krall fordert eine bürgerliche Revolution: Libertäre Agenda und Abwehr des Kulturmarxismus
Michael Dienstbier

Seit gut zwei Jahren warnen uns die üblichen über die Staatsmedien verbreiteten Stimmen vor einer neuen Gefahr: „Crash-Propheten“ seien die Plage der Neuzeit, Panikmacher, politische Destabilisatoren, welche die von ihnen herbeigeschriebene Krise sehnlichst erwarteten, um das Land in autoritärem Sinne umzugestalten. Neben Marc Friedrich und Max Otte hat sich vor allem der Volkswirt und Unternehmensberater Markus Krall, dessen Bücher „Der Draghi-Crash“ (2017) und „Wenn schwarze Schwäne Junge kriegen“ (2018) sich hunderttausendfach verkauften, diesen Beinamen verdient. In ihnen sagte Krall den großen Kollaps für das dritte oder vierte Quartal des Jahres 2020 voraus, ausgelöst vor allem durch die Nullzinspolitik der EZB.

Nun ist der Crash da, und daß die Rezession kommt, bestreitet keiner mehr, nur über deren Ausmaße – Einbruch der Wirtschaftsleistung in diesem Jahr um fünf oder doch gar um zehn Prozent? – und Dauer wird eifrig gestritten. Kralls neues Buch „Die Bürgerliche Revolution“ erschien erst vor wenigen Wochen und doch in einem anderen Zeitalter. Abgeschlossen kurz vor Ausbruch der Corona-Pandemie, gewinnen Kralls Darlegungen angesichts der bisher getroffenen Krisen-Maßnahmen noch an Gewicht und verdeutlichen die Gefahr einer dauerhaften Umgestaltung bestehender Verhältnisse in Richtung eines planwirtschaftlichen Zentralismus auf Kosten unserer Freiheitsrechte.

Konzentrierte sich Krall im „Draghi-Crash“ auf die geldpolitischen Maßnahmen der EZB zur Rettung des Euro-Systems nach der Finanzkrise 2007/08 und dem Griechenland-Offenbarungseid 2010, zieht er nun kulturelle Entwicklungen in seine Analyse mit ein, um zu einer besorgniserregenden Schlußfolgerung zu kommen: Der Geldsozialismus der EZB und der von unserer polit-medialen Elite forcierte Kulturmarxismus seien bereits in einem Maße institutionalisiert, daß nur eine von bürgerlichen Kräften getragene sanfte Revolution nach dem Vorbild von 1989/90 ökonomische und persönliche Freiheitsrechte wiederherzustellen in der Lage sei. 

In zwei der zehn Kapitel rekapituliert Krall seine in den Vorgänger-Büchern gewonnenen Erkenntnisse, wonach der von der EZB nach unten manipulierte Zins als Subvention für nicht überlebensfähige Unternehmen und Staaten diene, was zu einer „Zombifizierung“ der Unternehmenslandschaft und somit zu einem Produktivitätsrückgang führe. Eine Zins-erhöhung auf natürliches Niveau würde sowohl die Zombieunternehmen als auch die Südländer in die Pleite treiben, weshalb die EZB diese Maßnahme nie treffen, sondern die Konkursverschleppung bis zum unvermeidbaren Crash weiterbetreiben werde. Dieser werde sich als Deflation mit anschließender Hyperinflation manifestieren.

Den zweiten Angriff auf die Grundlagen einer freiheitlichen Gesellschaft verortet Krall im Kulturmarxismus, der seit der Kulturrevolution von 1968 eine traditionelle Institution nach der anderen geschleift habe. Zu diesen Institutionen gehören Ehe und Familie, Eigentum, Individualität, Religion und Kunst, Kultur, Musik. 

Entweder Stimmrecht oder Transferleistungsbezug

Wenn Eigentumsrechte zunehmend beschnitten werden, die Ehe als Gemeinschaft zwischen Mann und Frau als Keimzelle der Gesellschaft für alle geöffnet wird, so daß sie ihre Bedeutung verliert, Abtreibung als Grundrecht betrachtet wird und der Konsum als letztverbleibender Kitt einer Gesellschaft ohne Willen zur Transzendenz dient, führe dies zu einem Werteverlust, welcher in einer Gesellschaft frei flottierender Egoisten resultiere, die zur Bildung einer identitäts- und kulturstiftenden Gemeinschaft nicht mehr willens und in der Lage seien.

Bürgerliche Revolutionäre, so Krall, müßten zuerst die Meinungsführerschaft mittels schlagkräftiger politischer Denkfabriken erobern, die unter anderem durch Organisation einer medialen Gegenmacht und Aktionen des zivilen Ungehorsams den Kampf um die Köpfe führen. Man sieht, bei Krall werden keine Barrikaden gestürmt – es ist vielmehr metapolitische Kärrnerarbeit, die die Wende vorbereiten soll. Um so radikaler liest sich sein 100-Tage-Programm zur Neugestaltung unseres Gemeinwesens: Privatisierung der Rentenkasse, Abschaffung aller Subventionen, Privatisierung aller Nicht-Kernaufgaben des Staates – Kralls Vorstellung eines libertären Utopia. Um die Negativauswahl des politischen Personals zu beenden, sollen Abgeordnete eine berufliche Qualifikation und mindestens fünf Jahre Berufserfahrung vorweisen, eine sinnvolle Forderung, mit der Krall ganz der Traditionslinie der bürgerlichen Revolution von 1848 entspricht, deren liberale Träger ökonomische „Unabhängigkeit“ als zentrales Kriterium zur Teilnahme am politischen Prozeß bestimmten. Heftig kritisiert wird sein Vorschlag zur Reform des Wahlrechts: Um die Möglichkeit des Stimmenkaufs zu verhindern, muß sich jeder Bürger für die je anstehende Legislatur zwischen seinem Stimmrecht und dem Empfang staatlicher Transferleistungen entscheiden.

Fundierte Analyse der globalisierten Finanz- und Kultureliten mit grundlegenden Reformvorschlägen. Als wertkonservativer Libertärer glaubt Krall an die selbstregulierenden Kräfte des Marktes mit gemeinschaftsfähigen Individuen als Fundament einer Nation. Auch wenn man des Autors Begeisterung für den „schlanken, effizienten Staat“ und „die heilsamen Kräfte des Marktes“ nicht uneingeschränkt teilen möchte, treffen seine Darlegungen und Analysen zukünftiger Entwicklungen den Nagel auf den Kopf. Der seit Jahren verunglimpfte „Crash-Prophet“ hat sich als hellsichtige Kassandra erwiesen!

Markus Krall: Die Bürgerliche Revolution. Verlag Langen-Müller, Stuttgart 2020, gebunden, 272 Seiten, 22 Euro