© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Zweifelnde Richter
Paritätsgesetz: Die Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichtshofs könnte Grundsatzwirkung haben
Björn Harms

Auch in den nächsten Monaten dürften die Diskussionen um parlamentarische Paritätsgesetze wohl kaum abreißen. Familienministerin Franziska Giffey hatte zuletzt Mitte März im Bundestag erklärt, daß ihr das Ganze, „ehrlich gesagt, ein bißchen zu lange“ dauere. Es müsse „Bewegung in die Sache kommen“. Am vergangenen Donnerstag legte ihre Parteikollegin Leni Breymaier nach: Der Frauenanteil im Bundestag sei so niedrig wie seit 20 Jahren nicht mehr. Deshalb forderte sie mit Blick auf das Wahljahr 2021 ein „Wahlrecht mit Parität“. Auf Landesebene sind die Debatten unterdessen schon fortgeschrittener. Aktuell verhandelt das Thüringer Landesverfassungsgericht in Weimar über ein solches Gesetz.

Dieses war Mitte 2019 von der damals noch vorhandenen Landtagsmehrheit aus Linken, SPD und Grünen beschlossen worden und trat Anfang 2020 in Kraft. „Die Landesliste ist abwechselnd mit Männern und Frauen zu besetzen“, heißt es darin. Personen, die als „divers“ registriert seien, könnten unabhängig davon auf den Listenplätzen kandidieren. Einzig CDU und AfD stimmten dagegen. Letztere reichte anschließend vor dem Verfassungsgerichtshof in Weimar eine Normenkontrollklage gegen das Paritätsgesetz ein, unter anderem weil die Partei nicht genug weibliche Mitglieder für eine solche Landesliste habe. Am vergangenen Mittwoch erfolgte die erste mündliche Verhandlung – und die vorläufigen Ergebnisse stimmen die AfD zuversichtlich.

„Die vielen kritischen Fragen des Gerichts an die das Gesetz verteidigende Landesregierung lassen uns hoffen, daß das Paritätsgesetz kassiert wird“, erklärte AfD-Landessprecher Stefan Möller einen Tag nach der Verhandlung im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Die rechtliche Erörterung habe „eine Fülle verfassungsrechtlicher Schwachpunkte der Neuregelung offengelegt, die von der Gegenseite nicht ausgeräumt werden konnten“.

Und tatsächlich: Die Richter gingen nicht zimperlich mit der Juristin Silke Ruth Laskowski um, der Rechtsvertretung der Landesregierung. Wie die Thüringer Regionalzeitung Freies Wort berichtet, ließen die Nachfragen deutliche Zweifel an den Argumenten von Rot-Rot-Grün erkennen. Die Hauptthese Laskowskis vor Gericht: Die Gesellschaft in Deutschland bestehe in etwa zu gleichen Teilen aus Männern und Frauen. Dies müsse sich auch in den Parlamenten widerspiegeln. Nur so könne die Perspektive der Frauen auch in die Gesetzgebung einfließen.

Doch diese Spiegeltheorie wollte Verfassungsrichter Klaus von der Weiden nicht stehenlassen. Warum sollten die Menschen in Deutschland anhand ihres Merkmals „Geschlecht“ repräsentativ in den Parlamenten vertreten sein – und nicht etwa anhand ihrer Herkunft oder ihres Berufs, fragte er. Seine Kollegin Elke Heßelmann argumentierte ähnlich. Wenn es darum gehe, die Perspektive der Frauen einfließen zu lassen, um frauenfreundliche Positionen in die Politik einzubringen, könne man zwar hoffen, daß Frauen solche Positionen vertreten würden. Es gebe aber keine Garantie. Somit lasse sich nicht feststellen, wie die Gesetzgebung dadurch in Zukunft beeinflußt würde.

Merkwürdig mutete in diesem Zusammenhang das Argument Laskowskis an, mit dem Gesetz keinen inhaltlichen Einfluß nehmen zu wollen. Denn zu Beginn der mündlichen Verhandlung hatte sie das genau so dargestellt: Wegen der unterschiedlichen Sozialisation von Männern und Frauen würden diese auch unterschiedliche Sichtweisen in die Politik einbringen, erklärte sie. „Angesichts vieler anderer kritisch diskutierter Detailfragen zu dem Gesetz sieht es deshalb für den Fortbestand des Paritätsgesetz nicht gut aus“, urteilte das Freie Wort.

„Das Paritätsgesetz ist undemokratisch“

Für den Staatsrechtler Dietrich Murswiek, Verfahrensbevollmächtigter der Thüringer AfD, steht jedenfalls fest: „Das Paritätsgesetz ist undemokratisch.“ Es verstoße gegen das Prinzip der Volkssouveränität, schließlich gehe „die Staatsgewalt vom Volke aus, nicht von separaten Gruppen“, wie der 71jährige der JF mitteilt. Zudem verletze das Gesetz die Freiheit und Gleichheit der Wahl und die Chancengleichheit der Parteien. „Denn Parteien mit relativ wenigen weiblichen Mitgliedern haben große Schwierigkeiten, die Liste paritätisch zu besetzen“, meint Murswiek. „Mit der Gleichstellung der Frauen läßt sich das nicht rechtfertigen, denn eine Benachteiligung der Frauen gibt es im geltenden Wahlrecht nicht.“

Was aber wenn das Gericht doch anders entscheidet? Seine Partei sei vorbereitet, versichert AfD-Politiker Möller: Es gebe erste Vorüberlegungen, „die derzeit noch in den Gremien der Landespartei beraten werden und daher nicht öffentlich erörtert werden können“. Möller geht davon aus, „daß im Fall einer Niederlage zunächst eine politische Debatte über eine bereits vorhandene Initiative der FDP zur Beseitigung der Zwangsquote geführt wird. Sich dabei ergebende Gelegenheiten, die Neuregelung ganz oder teilweise zu beseitigen, würden wir sicherlich unterstützen.“

So oder so: Mit dem Urteil, das am 15. Juli verkündet werden soll, wird eine Grundsatzentscheidung fallen, bei dem die Gerichte anderer Bundesländer genau hinschauen werden. Auch in Brandenburg will das Verfassungsgericht noch dieses Jahr über das landesspezifische Paritätsgesetz verhandeln. Gegen das Ende Januar 2019 beschlossene Gesetz hatten die AfD, die Piratenpartei und die NPD Organstreitverfahren vor dem höchsten Gericht des Bundeslandes auf den Weg gebracht.