© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Wo sind all die Steuern hin?
Fünf Jahre grenzenlose Einwanderung: Über eine Million „Flüchtlinge“, 17 Haushalte und 200 Milliarden Euro
Mathias Pellack

Bald fünf Jahre nach der großen Einwanderungswelle von 2015 hat sich wenig geändert daran, daß niemand die Kosten abschätzen kann. Noch immer ist nicht für ein Jahr oder nur für einen Monat bestimmt, wieviel Geld Bund, Länder und Kommunen für Asyl und Integration, für die Beherbergung und Verpflegung, für Sprachunterricht, zusätzliche Polizisten oder neu errichtete Unterkünfte ausgegeben haben. Und das hat System.

Fragt etwa die AfD im Bundestag nach den „fiskalischen Lasten der Zuwanderung“ (Drs. 19/18352), antwortet die Bundesregierung mit einer außerordentlichen Gleichgültigkeit, obwohl es sich um fortlaufende Milliardenausgaben handelt: „Für die Beantwortung einzelner Fragebestandteile der Großen Anfrage ist die Erhebung von Daten, die über die bereits in Datenbanken des Bundes geführten Informationen hinausgehen, für die Bundesregierung unzumutbar.“ Andernfalls sei die „Funktionsfähigkeit der Bundesregierung“ beeinträchtigt.

Auch die Länder zeigen wenig Interesse an Kosten

Der Bundestagsabgeordnete Kay Gottschalk, der die Anfrage mit initiert hat, erklärt dazu: „Die Bundesregierung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich zu einer vollständigen Antwort verpflichtet.“ Sie müsse zudem in „angemessener“ Zeit antworten. Dazu hatte die Bundesregierung rund neun Monate. Zweimal wurde die Frist verlängert. „Auf die Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Bundesregierung wurde somit ausreichend Rücksicht genommen.“ Die Regierung habe letztlich „nicht schlüssig dargelegt, daß sie alle ihr zur Verfügung stehenden Möglichkeiten der Informationsbeschaffung ausgeschöpft hat“. Die Antwort lasse auch darauf schließen, daß es „politisch nicht gewollt ist“, gegenüber der Öffentlichkeit Kostentransparenz zu schaffen.

Weniger problematisch ist dabei, daß die Bundesregierung die Zahlen nicht herbeizaubern kann, sondern vielmehr, daß sie fünf Jahre nach Beginn der Krise immer noch nicht die Instrumente geschaffen hat, um sie zu erheben. Abgeordneter Gottschalk findet: Sie hätte „die Maßnahmen nicht nur ergreifen können, sondern müssen. Bei jährlichen Kosten für Deutschland in einer hohen zweistelligen Milliardenhöhe“ sei es für den Steuerzahler schlichtweg „unzumutbar, in Unkenntnis gelassen zu werden“.

Das Parlament war unterdessen nicht untätig. Es hat die Bundesregierung bereits im November 2015 aufgefordert, wenigstens über die Verwendung der Gelder zu berichten, die jährlich vom Bund verteilt werden. Zusätzlich hat die JUNGE FREIHEIT Asylkosten- und Haushaltsberichte des Bundestages und verschiedener Landesparlamente durchgesehen und mit drei AfD-Anfragen an die Länder Sachsen-Anhalt, Berlin und Hamburg abgeglichen, um die tatsächlich bisher angefallenen Kosten der Asylkrise möglichst genau zu beziffern. 200 Milliarden Euro lassen sich mehr oder weniger gut an Ausgaben von Bund und Ländern zwischen 2015 und 2020 belegen. (Bundesausgaben 2015 insgesamt: 307 Milliarden Euro)  Doch viele Kosten – vor allem die der Länder und Kommunen – bleiben im dunkeln.

Gut bekannt ist, daß der Bund seit 2016 jährlich zwischen 20 und 23 Milliarden Euro für „Flüchtlinge“ ausgibt. Ein Drittel davon geht direkt über das Entwicklungsministerium ins Ausland zur sogenannten „Fluchtursachenbekämpfung“. Bleiben zwei Drittel übrig, die direkt und indirekt an die Länder, Kommunen oder andere öffentliche Einrichtungen wie das Arbeitsamt (Bundesagentur für Arbeit) fließen. Doch hier werden die Zahlen unschärfer. Teilweise sind Gelder zweckgebunden, teilweise nicht, teilweise gehen die Mittel an die Länder, teilweise an die Kommunen. Eine klare Zuordnung wird dadurch erheblich erschwert. Für die Erstunterbringung etwa bezahlt der Bund teilweise direkt die Kommunen, teilweise zahlt er den Ländern das Geld, die dann weiterreichen oder Migranten selbst beherbergen. Würde man Geldflüsse absichtlich verschleiern wollen, könnte man es kaum besser anstellen.

Bund zahlt den Ländern weniger als vereinbart

Klar benannt werden in den Berichten des Bundestages die enthaltenen Kostenpunkte wie „Beteiligung an den Ausgaben für Asylsuchende“, die „Integrationspauschale“, die „Kosten für die Unterkünfte“, „Kosten für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“ und „Unterstützungen bei der Kinderbetreuung“ sowie „Kompensationsmittel zur sozialen Wohnraumförderung“ und weitere Punkte mit Beträgen kleiner als 300 Millionen Euro. Die Summe dieser Punkte beläuft sich auf jährliche sieben bis acht Milliarden Euro – ein weiteres Drittel der Bundesausgaben.

Nicht genannt werden hier – dafür aber in der Antwort auf die oben genannte AfD-Anfrage – „Zahlungsansprüche für erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Kontext Fluchtmigration“ – Einwanderer also, die arbeiten können und dürfen. Diese Kosten pendeln jährlich um 4,5 Milliarden Euro, seitdem sie seit 2016 erhoben werden. So weit, so klar. Doch was ist mit den Bundesländern? Bund und Länder hatten sich geeinigt, die Kosten hälftig aufzuteilen. Die Berichte an die Bundesregierung nutzen einige Länder, um ihren Unmut zu äußern: effektiv sei die Beteiligung des Bundes weit geringer. Baden-Württemberg moniert, die Entlastungspauschale des Bundes für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge spielte 2018 nur 46,2 Millionen Euro ein. Insgesamt habe das Land jedoch 334 Millionen Euro dafür ausgegeben – das Siebenfache also.

Bremen klagt, es erhalte  nur ein Fünftel zurück

Brandenburg schreibt schlicht: „Die asylbedingten Ausgaben 2018 betrugen insgesamt 407,4 Millionen Euro. Dem gegenüber stehen die erhaltenen Bundeserstattungen in Höhe von 146 Millionen Euro.“ Brandenburg ist neben Sachsen, Bayern und Mecklenburg-Vorpommern eines von vier Ländern, die recht vollständige Zahlen zu den Kosten der Zuwanderung seit 2015 liefern. Enthalten sind nicht nur die vom Bund abgefragten Gelder, sondern teils auch Personalkosten für Gerichte und Polizei, Kindergärten oder zusätzliche Investitionen für Unterkünfte. Der Anteil des Bundes an deren Gesamtausgaben beträgt hier etwa ein Drittel.

Schlechter steht Bremen da. Der kleine Stadtstaat verweist in jedem der drei bisher erschienenen Berichte (2016 bis 2018) auf eine Gesamtbeteiligung des Bundes von höchstens „22,7 Prozent der flüchtlingsbedingten Ausgaben“. Nordrhein-Westfalen, das nach dem Königsteiner Schlüssel die meisten Flüchtlinge vom Bund zugewiesen bekommt, klagt: „Bezogen auf die Einnahmen aus der Beteiligung des Bundes haben die (Landes-)Zuweisungen an die Kommunen insgesamt rund das 2,1fache in 2017 betragen.“ Für 2018 sei es immer noch das 1,5fache. 

Etwas besser macht es Bayern. Der Freistaat hat die allen Ländern im Grundgesetz garantierte Freiheit, seinen Haushalt so zu gliedern, wie er möchte, dazu genutzt, einen „Zuwanderungs- und Integrationsfonds“ zu bilden. Hier werden sämtliche Ausgaben für Flüchtlinge, Asyl und Integration zusammengefaßt, egal in welchem Ressort sie anfallen und wofür sie konkret verwendet werden.

Allerdings soll die Zahlen wohl niemand erfahren. Auf JF-Nachfrage vom 4. März 2020  antwortet die zuständige Behörde Bayerns: Die Staatsregierung bereite derzeit die Beantwortung einer „umfangreichen und ressortübergreifenden“ Anfrage der AfD-Fraktion zu den „fiskalischen Lasten der ungesteuerten Zuwanderung in Bayern“ vom 10. Januar vor. Es sei „angestrebt“, die Frage „bis Sommer 2020“ zu beantworten. Daher müsse die JF warten. Auch die Frage nach den vier bekannten Zahlen der jährlichen Gesamtkosten (2016 bis 2019) zu beantworten sei nicht möglich. Zum Vergleich sei hier angemerkt: Der Stadtstaat Hamburg hat die vollkommen gleichlautende Anfrage in weniger als vier Wochen vollständig beantwortet. Und das ohne einen derartigen Topf, in dem alle flüchtlingsbezogenen Einnahmen und Ausgaben schon gebündelt vorliegen.

Indes war es möglich, die Angaben auf der Netzseite des bayerischen Finanzministeriums innerhalb einer halben Stunde zusammenzutragen. 2016 hat das Land demnach 3,31 Milliarden an Gesamtausgaben für Flüchtlinge geschultert. Mit 1,46 Milliarden Euro wurde es dabei vom Bund unterstützt. Damit bleiben bei Bayern fast 400 Millionen Euro, an denen sich der Bund nicht beteiligte.

Ist das alles? Leider nein. Denn auch die Kommunen müssen noch in die eigene Tasche greifen. Auf die Frage einer bayerischen Grünen-Abgeordneten nach den „ungedeckten Kosten“, auf denen die Kommunen sitzenbleiben, antwortet der Freistaat ausweichend: „Die Ausgaben der Kommunen sind durch eigene Einnahmen (!) oder vom Freistaat beziehungsweise Bund zur Verfügung gestellte Mittel gedeckt“ (Drs 17/22328). Kurz: Durch die unglückliche Formulierung der Frage nach den Gesamtkosten sieht sich Bayern berechtigt, die konkreten Zahlen zu verschweigen.

Allen Widrigkeiten zum Trotz lassen sich 65 Milliarden Euro Ausgaben seitens der Länder nachweisen. Darin sind die jährlichen Ausgleichszahlungen des Bundes enthalten. Anhand der AfD-Abfragen und der genauen Buchführung Bayerns, Brandenburgs und Sachsens ist erkennbar, daß die Kosten in allen anderen Ländern unvollständig sind und mindestens um den Faktor 1,3 höher ausgefallen sein müssen. Da für 2015, 2019 und 2020 kein Asylkostenbericht der Länder an den Bund vorliegt, schätzen wir die Ausgaben anhand der Kostenentwicklung in den Ländern, die ihre Gelder dokumentiert haben, auf insgesamt 93 Milliarden Euro. Hinzu kommen die 85 Milliarden Euro ,die der Bund für fünf Jahre Asylkrise ausgegeben hat.

(Grafiken siehe PDF)