© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Der Klaus kriegt den Karl
Nationalistische Ränke um ungarische Volksgruppe in Rumänien: Daß Präsident Klaus Johannis Karlspreisträger werden soll, gefällt einigen Ungarn nicht
Marc Zoellner

Noch darf Klaus Johannis den Karls­preis nicht in den Händen halten: Ursprünglich für den 21. Mai geplant, hatten die Veranstalter die Ende Dezember 2019 beschlossene Verleihung der wohl wichtigsten politischen Auszeichnung auf europäischem Boden an den rumänischen Präsidenten kurzfristig auf unbestimmte Zeit verlegen müssen. Als Begründung nannte die „Gesellschaft für die Verleihung des Internationalen Karlspreises der Stadt Aachen“ die Corona-Krise, welche ein geplantes öffentliches Rahmenprogramm verhindere.

Immerhin hätte gerade diese Auszeichnung die bislang makellose politische Biographie des Siebenbürger Sachsen als I-Tüpfelchen prämiert. Doch mittlerweile wachsen Zweifel – sowohl unter den Ungarn als auch in der deutschen Medienlandschaft, ob Johannis tatsächlich des Preises würdig sei.

Gezielt lancierte Anklage gegen Johannis

Die kontroverse Debatte entspann sich inmitten des Wütens des Coronavirus: „Während die rumänischen Behörden gegen die Pandemie kämpfen, kämpft die PSD in Geheimbüros des Parlaments um die Übergabe von Siebenbürgen an die Ungarn“, hatte Johannis vergangenen Monat in einem Fernsehinterview über die oppositionelle Partidul Social Democrat (PSD), eine Fortläuferorganisation der früheren kommunistischen Partei Rumäniens, behauptet, die trotz des Scheiterns ihrer von Korruptionsskandalen begleiteten Regierung im November 2019 noch immer als größte Fraktion im Parlament in Bukarest vertreten ist. Mit ihrem Schweigen im Abgeordnetenhaus habe die PSD einen Gesetzentwurf gefördert, welcher weitreichende Autonomierechte für das Szeklerland, das Siedlungsgebiet der 1,2 Millionen Menschen zählenden ungarischen Minderheit im Osten Siebenbürgens, vorsah. Den Vorsitzenden der Sozialdemokraten, Marcel Ciolacu, adressierte Präsident Johannis in dieser Rede gar persönlich mit der Frage: „Was hat Ihnen der Führer aus Budapest, Viktor Orbán, dafür versprochen?“

Allein Ungarns Regierungschef Orbán, der lediglich erklärte, er werde sich „nach dem hingeworfenen Fehdehandschuh nicht bücken“, nahm den Affront gelassen. Gleichwohl sei es „traurig zu sehen, daß der rumänische Präsident, während Ungarn Hilfe an Ungarn in Rumänien sendet, ethnische Spannungen auslöst“.

Abgeordnete aus dem Umfeld der nationalistischen Jobbik-Partei hingegen, die im Budapester Nationalparlament nach der regierenden Fidesz-Partei die zweitstärkste Fraktion mit über 19 Prozent bildet, nutzten den neuerlichen Vorfall hingegen augenblicklich, um ihn zum Eklat zu erklären: Die jüngsten Äußerungen Johannis’ seien nur die Spitze des Eisberges, warf der ostungarische Parlamentarier János Bencsik dem rumänischen Präsidenten in einem vierseitigen Schreiben vor – und listete in seiner Anklage ein weiteres halbes Dutzend Episoden auf, die Johannis’ Antipathien der ungarischen Minderheit in Rumänien gegenüber bestätigen sollten:

Der rumänische Präsident habe sich bei einem Besuch im Szeklerland geweigert, die von einem Bürgermeister überreichte Flagge der ungarischen Minderheit anzunehmen; er habe die Wiedereröffnung ungarischer Schulen untergraben, etwa eines katholischen Gymnasiums im siebenbürgischen Neumarkt am Mieresch; er habe dem prominenten anti­kommunistischen Dissidenten und Pastor László T?kés aufgrund seiner ethnischen Herkunft die 2009 verliehene Auszeichnung des „Sterns von Rumänien“ 2016 wieder entzogen; seine Regierung betrachte die Ungarn in Rumänien noch immer als „nationales Sicherheitsrisiko“.

Doch T?kés fiel in Ungnade, weil er sich für ein ungarisches Protektorat auf rumänischem Boden ausgesprochen hatte und bei der EU-Wahl 2014 für den ungarischen Fidesz kandidierte. Die ungarische Minderheit in Rumänien gilt als hervorragend integriert – immerhin ist auch der derzeitige Ministerpräsident und Parteikollege Johannis’, Ludovic Orban, ein Ungar – und die Szeklerflagge wurde, wie lokale Medien schrieben, vom Staatsoberhaupt bei dessen Besuch tatsächlich höflich angenommen.

Der Interview-Eklat des vergangenen Monats, der Johannis auch mit Hilfe deutscher Leitmedien beinahe um den 62. Karlspreis gebracht hätte, war keineswegs die Spitze des Eisbergs an ungarnfeindlichen Ressentiments der rumänischen Regierung – sondern einzig eine Spitze Johannis’ gegen die nun oppositionelle linksnationalistische PSD, deren eigene korrupte Regierung im Herbst 2019 erst unter Mithilfe des liberalkonservativen Siebenbürger Sachsen Johannis gestürzt werden konnte.