© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

„Größte Herausforderung der Geschichte“
Luftfahrt-Krise: Airlines, Dienstleister, Flughäfen, Flugzeughersteller und Zulieferer bangen um ihre Zukunft
Fabian Schmidt-Ahmad

Zu Beginn der Sommerferien nervten voriges Jahr Stuttgarter Jugendliche die Urlauber auf dem Manfred-Rommel-Flughafen: „30 Euro, Stuttgart – Berlin – wo bleibt die Steuer auf Kerosin?“ oder „Attacke, Attacke – Fliegen ist kacke!“ brüllten die „Fridays for Future“-Anhänger und warfen Papierflieger auf die Reisenden im Terminal 1. Doch ihr „Ferienstreik fürs Klima“ war vergebens – mit 226,9 Millionen Passagieren erlebte die Luftfahrt in Deutschland 2019 ein Allzeithoch. Zehn Jahre zuvor waren es nur 158,9 Millionen Fluggäste gewesen.

Doch inzwischen sind die grünen Träume Realität – aber ganz anders als gedacht. Luisa Neubauer twittert nun mit schwarzer Corona-Maske und agitiert gegen eine „#Abwrackprämie“ zur Wiederbelebung der heimischen Autoindustrie. Und „Massendemonstrationen gegen Corona-Beschränkungen sind wie Kohle baggern gegen Klimawandel“, warnt die „Fridays for Future“-Ikone. Die Flugbranche wurde durch Sars-CoV-2 pulverisiert. Am Flughafen Stuttgart gab es vorigen Freitag, abgesehen von Frachtflügen, nur noch fünf Starts: nach Palma de Mallorca, Amsterdam, Priština, Berlin und Hamburg.

In Frankfurt, dem größten deutschen Drehkreuz, brachen im April die Passagierzahlen um 96,9 Prozent ein. Das Frachtaufkommen sank laut Fraport um 20,7 Prozent auf 141.337 Tonnen. Mehr als 18.000 der 22.000 Beschäftigten sind in Kurzarbeit. Es fanden aber mit 218 Starts und Landungen pro Tag noch mit Abstand die meisten Flugbewegungen von allen europäischen Flughäfen statt. Die Branche stehe vor „der größten Herausforderung ihrer Geschichte“, mahnt der Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Ungeachtet dessen trat am 1. April die auf bis zu 58,82 Euro erhöhte Ticketsteuer in Kraft – keine rot-grüne, sondern ursprünglich eine schwarz-gelbe Erfindung von 2011.

Dabei geht es um 850.000 Arbeitsplätze in Deutschland – vom Airbus-Ingenieur, über den Flugkapitän und die Stewardeß bis hin zu den Servicemitarbeitern am Flughafen. Nicht mitgezählt sind jene Branchen, die ihre Wertschöpfung einem funktionierenden Passagier- und Frachtflugverkehr verdanken, wie beispielsweise die Touristik. Ausgaben, aber kaum Umsatz – Airlines und Flughäfen hat die Corona-Krise voll erwischt. Die 1997 privatisierte Lufthansa – mit 137.000 Beschäftigten und siebenhundert Maschinen europäischer Champion – soll immerhin mit Steuer-Milliarden gerettet werden (JF 21/20).

Trennwände oder versetzte Sitze als Schutz?

Kleine Firmen stehen dagegen mit dem Rücken zur Wand. Als fatal könnte sich dabei das gutgemeinte „Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Corona-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht“ vom März erweisen. Zuvor mußte ein Unternehmen in Deutschland unverzüglich Insolvenz anmelden, stand es vor der Zahlungsunfähigkeit. Nun droht die Gefahr, daß Pleitefirmen weiterhin am Markt agieren und Verbindlichkeiten anhäufen. Diese „Zombies“ könnten dadurch, wenn sie doch pleite gehen, andere mit in den Abgrund ziehen, wenn Lieferungen und Dienstleistungen nicht bezahlt werden.

Das schnelle Geld hilft Lufthansa, Air France-KLM & Co. über den Corona-Shutdown hinweg, die Hersteller von Passagierflugzeugen sind hingegen längerfristig bedroht. Die Airlines werden unausgelastete Flugzeuge abstoßen und Neuanschaffungen zurückfahren. Und wie soll der Covid-19-Ansteckungsgefahr begegnet werden? Im Biergarten, am Strand oder in den Alpen weht der Wind Corona-Aerosole weg, in einem Airbus 321 sitzen 220 Passagiere dicht gedrängt stundenlang zusammen. Den jeweils mittleren Platz bei einer 3+3-Bestuhlung freizulassen bringt wenig – außer einem Drittel höhere Kosten.

Zwar tüfteln Ingenieure an Lösungen wie Trennwänden oder versetzten Sitzen. Doch das dürfte an den Sicherheitsanforderungen im Flugzeugbau scheitern, die unter anderem eine rasche Evakuierung der Flugzeugkabine vorsehen. Marktführer Airbus blickt pessimistisch in die Zukunft. „Wir haben über Nacht mehr als ein Drittel unseres Geschäfts verloren“, klagte Airbus-Chef Guillaume Faury. „Die Luftfahrtindustrie wird schwächer und verletzlicher in der neuen Welt ankommen.“

Tausende Stellen in Deutschland, Frankreich und Großbritannien stehen jetzt auf dem Spiel. Das klingt wenig, doch allein in Deutschland arbeitet Airbus mit 10.000 externen großen wie kleinen Zulieferern zusammen. Hamburg ist der weltweit drittgrößte Standort der zivilen Luftfahrtindustrie – nach Seattle und Toulouse. Wenn neue Passagierflieger nicht benötigt werden, braucht es auch niemand, um dieses weiterzuentwickeln und herzustellen.

Über eine ausgebaute Rüstungssparte mit breitem Portfolio, wo europäische Staaten nachfragestützend eingreifen könnten, verfügt Airbus nicht. Im Vergleich zu den US-Branchengrößen ist der Konzern hierbei ein kleines Licht. Nun rächt sich die 2012 gescheiterte Fusion mit BAE Systems. Eine Hoffnung ist Delta: Die größte US-Airline will ihre älteren Boeing 777 durch A330 und A350 ersetzen – wenn Delta-Chef Ed Bastian nicht doch noch vor dem „America first“-Wahlkämpfer Donald Trump einknickt.

 bdl.aero