© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Entlastungsangriff
Euro-Krise: Eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft behauptet, das EZB-Anleihekaufprogramm habe deutschen Sparern nicht geschadet
Joachim Starbatty

Das von 110 Wirtschafts- und Arbeitgeberverbänden sowie Unternehmen finanzierte Institut der deutschen Wirtschaft (IW) hat in jüngster Zeit mit ungewöhnlichen Ideen für Aufmerksamkeit gesorgt. So verlangten die Kölner Ökonomen im vergangenen Jahr einen 450 Milliarden Euro schweren „Investitionsfonds für Deutschland“. Sprich: Über ein Sondervermögen, in das die kreditfinanzierten Investitionen von Bund, Ländern und Kommunen ausgelagert werden, sollte die verfassungsrechtliche Schuldenbremse „elegant“ umgangen werden (JF 45/19).

Nun hat das IW mit seiner Studie zur „Entwicklung des Geldvermögens der privaten Haushalte in Zeiten niedriger Zinsen“ (IW-Trends 2/20) einen Entlastungsangriff für die EZB gestartet. Die hat mit ihrem Anleihekaufprogramm PSPP die Zinsen teilweise unter Null gedrückt, um überschuldeten Euro-Staaten den Zugang zum billigen Geld freizumachen. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai (2 BvR 859/15-Rn. 1-237) sind die PSPP-Beschlüsse teilweise kompetenzwidrig. Der EZB ist deshalb aufgegeben, innerhalb von drei Monaten die Verhältnismäßigkeit ihrer Ankäufe nachzuweisen (JF 20/20).

Dabei war für Karlsruhe die Enteignung der Sparer ein zentraler Punkt. In einem Memorandum warfen frühere Zentralbank-Repräsentanten – darunter Helmut Schlesinger, Otmar Issing oder Jürgen Stark – der EZB vor, daß gerade jungen Generationen die Möglichkeit genommen werde, über sichere und zinstragende Investitionen für ihr Alter vorzusorgen. Weiter erzeugten die Umverteilungseffekte zugunsten von Eigentümern realer Aktiva (Immobilien und Aktien) und die systematische Ausbeutung von Gläubigern tiefgreifende gesellschaftliche Spannungen.

Die IW-Studie will dagegen nachweisen, daß das EZB-Programm Sparer nicht an der Vermögensbildung gehindert habe – im Gegenteil: Der private Haushaltssektor sei als Ganzes nicht geschädigt worden, da er sein Vermögen nicht über Zinsen, sondern über Arbeitseinkommen aufbaue. Für die Vermögensbildung sei eine gesunde Konjunktur wichtiger als der Zinssatz. Mario Draghi, bis 2019 EZB-Präsident, hat bei seinen Auftritten vor dem EU-Parlament die negativen Folgen für die Sparer nicht geleugnet, sondern als Preis für die Ankurbelung von Investitionen und Konjunktur genannt; der Anstieg der Beschäftigung und des Einkommens überwiege die Verluste für die Sparer.

Ist für die Vermögensbildung die Konjunktur wichtiger?

Dabei fällt unter den Tisch, daß die EZB-Anleihekäufe die Margen der Banken dermaßen gedrückt haben, daß sie gezwungen waren, Kredite auch an Firmen auszureichen, die bei betrieblichen Schwierigkeiten notleidend werden mußten. Um sie nicht als Totalverluste abzuschreiben, müssen sie weiter mitgeschleppt werden. So zieht man sich Zombie-Unternehmen und schließlich auch Zombie-Banken heran. Der FDP-Abgeordnete Frank Schäffler hat daher vorige Woche der EZB im Bundestag vorgeworfen, daß ihre Politik den Zins als Auslesekriterium ausschalte und damit letztlich auch die marktwirtschaftliche Ordnung zerstöre.

Wenn Preise, Zinsen oder Wechselkurse nicht mehr für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage sorgen können, kommt es zu schwerwiegenden volkswirtschaftlichen Fehlentwicklungen, zu Boom-Bust-Phasen, zu Blasen und krachenden Zusammenbrüchen. Auch hat die Nullzinspolitik den überschuldeten Euro-Staaten die Sanierung ihrer Staatshaushalte erspart. Warum sich mit Aufräumarbeiten bei Wählern oder der eigenen Klientel unbeliebt machen, wenn Geld für nahezu nichts zu erhalten ist? Diese Unterlassungen fallen ihnen in der Corona-Krise auf die Füße.

Bemerkenswert in der IW-Studie ist auch der Hinweis, daß sich die Vermögensbildung in Deutschland während der Staatsanleihekäufe besser entwickelt habe als in anderen Ländergruppen der Eurozone. Der Grund dafür ist das verstopfte Wechselkursventil. Der Kurs des Euro ist für Deutschland zu niedrig, daher wird unser Export begünstigt, und wir holen uns so Beschäftigung ins Land. Für die Länder in der südlichen Euro-Peripherie ist der Kurs zu hoch, der Export wird erschwert und die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Wenn deswegen die Einkommen stagnieren, gibt es auch keine Vermögensbildung.

Hier finden wir den Grund für den IW-Entlastungsangriff: Die Anleihekäufe der EZB sollen den überschuldeten Mitgliedstaaten den Zugang zum billigen Geld weiterhin freimachen und so die Eurozone zusammenhalten. Damit bliebe das Wechselkursventil verstopft, die deutschen Exportbetriebe profitierten auch in Zukunft von dem zu niedrigen Wechselkurs und damit auch die Bezüge der Vorstände. Aber mit seiner wissenschaftlichen Arbeit vertritt das Kölner IW laut Eigenwerbung schließlich nicht die Sparer, sondern explizit die „Interessen der unternehmerischen Wirtschaft in Deutschland“.






Prof. Dr. Joachim Starbatty ist emeritierter VWL-Professor der Uni Tübingen. Er war Chef der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und bis 2019 Abgeordneter des EU-Parlaments.

Studie „Entwicklung des Geldvermögens der privaten Haushalte in Zeiten niedriger Zinsen“, in IW-Trends 2/20: www.iwkoeln.de