© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

CD-Kritik: Anton Bruckner – Gerd Schaller
Intensivtäter
Jens Knorr

Das Projekt heißt „Bruckner 2024“: Bis zum Jahr des 200. Geburtstags seines Komponisten will Dirigent Gerd Schaller alle wesentlichen Werke Bruckners in ihren wichtigsten Fassungen sämtlich mit seiner Philharmonia Festiva aufgeführt und auf CD eingespielt haben. Der Ersten in der Linzer Fassung von 1866, die er aus den Orchesterstimmen der Erstaufführung rekonstruiert und im Juli 2011 in der Abteikirche Ebrach aufgeführt hatte, ließ Schaller letztes Jahr die Wiener Fassung von 1891 folgen, diesmal aus dem Max-Littmann-Saal des Regentenbaus Bad Kissingen – dieselbe als eine andere.

Mit den, so Bruckner, „Verbesserungen“ wirkt die revidierte Symphonie, „a keck’s Beserl“, gar nicht mehr so keck wie einst, nunmehr auf Unwiderlegbarkeit hin überarbeitet, als wolle der Komponist im Vollbesitz instrumentatorischen Könnens sich und allen anderen unter die Ohren reiben, daß er schon vor 25 Jahren recht gehabt habe und nur noch Ideen für seine paßgenauere Einkleidung habe finden müssen.

Doch wo unerbittliche Dirigenten die inneren Widersprüche des symphonischen Baues offenzulegen trachten, da ist Schaller auf Versöhnung aus, der Linzer mit der Wiener Fassung, der Partitur mit ihrer Realisierung, der Aufführenden mit ihren Hörern. Welcher Fassung man den Vorzug geben solle? Immer der, die man gerade hört!

Anton Bruckner 1. Sinfonie. Wiener Fassung 1891 Profil Edition Günter Hänssler, 2019  www.haensslerprofil.de