© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

GegenAufklärung
Kolumne
Karlheinz Weißmann

Abgesehen davon, daß ich die uncharmanten Feststellungen über das Äußere von Lisa Eckhart mißbillige, bleibt nur festzustellen, daß Henryk M. Broder alles Nötige zur Verteidigung dieser „Linkskonservativen“ (Eckhart über Eckhart) gesagt hat.

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Wenn man sich den Verlauf der Corona-Krise in den einzelnen Staaten ansieht, kann man einige interessante Bestätigungen traditioneller Einschätzungen von Nationalcharakter und Staatsform machen: Schlecht lief es für diejenigen, die von jeher eine Tendenz zum Chaotischen (Brasilien) oder Anarchischen (Italien) oder Libertären (Großbritannien, USA) haben, aber auch für diejenigen, die zur Despotie neigen (Rußland, China) oder zwischen dem einen und dem anderen Extrem hin und her schwanken (Spanien, Frankreich). Am besten davongekommen sind bisher die, die sich um einen Ausgleich zwischen Freiheit und Ordnung bemühen (wir und unsere Nachbarn).

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Der französische Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon weiß immer, wer an den Mißhelligkeiten – Frankreichs, der EU, wahrscheinlich der Welt – schuld ist: die Deutschen. In einem seiner zu Recht vergessenen Traktate – „Le hareng de Bismarck – Le poison allemand“ (Der Bismarckhering – Das deutsche Gift) – hat er schon 2014 in aller Breite seine fixe Idee dargelegt, daß Berlin seit eh und je, aber spätestens seit der Niederlage Napoleons nichts als die Unterjochung des Kontinents und vor allem seines westlichen Nachbarn im Sinne hat. Dabei ist Mélenchon nie bange, was die historischen Parallelen angeht. Folgt man einem Interview, das er unlängst gegeben hat, dann befinden wir uns heute wieder da, wo wir im Jahr 1940 schon einmal waren: Wieder haben die Liberalen versagt, ist die Republik am Ende und die Wehrmacht paradiert über die Champs-Elysées. Und wenn nicht, dann haben sich doch längst die Kollaborateure in den französischen Institutionen gefunden, die wie einst „fasziniert vom konservativen deutschen Modell“ zur „Anbetung“ dessen neigen, was die Kanzlerin macht. Während man gleichzeitig eine „primitive Mißachtung gegenüber Süd-europa zeigt“, mit dem es sich nun zusammenzuschließen gelte. Denn Deutschland ist in Wirklichkeit „kein Modell“, es hat ein gigantisches Armutsproblem, nicht genügend Kitas und nicht genügend Frauen in Lohn und Brot. Zudem sitzen die „wahren Gauner … in den Regierungen“ des Nordens, die „aufrichtigen Europäer sind im Süden“. Sie müßten sich nur mit Frankreich zusammentun, den Deutschen die Erträge aus den Handelsüberschüssen wegnehmen, einen Schuldenerlaß durchsetzen und die Währungspolitik vom Fetisch der Geldwertstabilität lösen. Was Mélenchon vorträgt, ist an sich nicht überraschend, vergegenwärtigt man sich die Impulse, die der jakobinische Nationalismus immer mit dem Haß auf die Deutschen verknüpft hat. Das galt schon während der Revolution, als man den Elsässern die „Sprache der Konterrevolution“ austrieb, das galt in bezug auf die permanente Kriegshetze nach Waterloo und für den Revanchismus nach Sedan und die Entschlossenheit zur Zerstörung der deutschen Einheit nach 1919 wie nach 1945. Zuletzt haben sich diese Tendenzen nicht mehr durchsetzen können, obwohl der PCF, aus dessen Trümmern Mélenchon seine Bewegung La France insoumise (Das unbeugsame Frankreich) ganz wesentlich rekrutiert, bekannt für seine antideutsche Linie war, die von der offenen Ablehnung des Generalvertrags bis zur offenen Ablehnung der Wiedervereinigung reichte und dabei jedes Klischee bediente, das traditionell in Frankreich gegen die „boches“ gepflegt wird. Bei Gelegenheit hat ein Drittel der befragten Franzosen den Positionen Mélenchons zugestimmt, bei der letzten Präsidentschaftswahl brachte er es immerhin auf 19,7 Prozent der abgegebenen Stimmen. Daß es offenbar niemand für nötig hält, sich kritisch mit der von ihm betriebenen Volksverhetzung und gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu beschäftigen, hat sicher mit einem Harmlosigkeitsbonus zu tun, den man Mélenchon als Linkem selbstverständlich zubilligt, aber auch damit, daß es gegen die Deutschen geht.

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Was den Kollateralnutzen der Krise angeht, hoffe ich auf den dauerhaften Rückgang von Zwangsumarmung und Bisous. Bedauerlicherweise haben die Hygienevorschriften wohl keinen Einfluß auf die Duzerei und die Neigung von Algorithmen, Anredeformen vorzuschlagen, die sich ungebeten des Vornamens bedienen (oder dessen, was die Maschine dafür hält).

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Bildungsbericht in loser Folge CXXVII: Der OECD-Bildungsdirektor hat für die nächste Pisa-Studie ein Modul „Soziale Kompetenz“ angekündigt. Die etwas Älteren erinnern sich wahrscheinlich noch, mit welcher Häme die progressive Pädagogik den „Gesinnungsunterricht“ der Kaiser-, NS- und Adenauerzeit gegeißtelt hat. Aber natürlich ging es dabei nie um sachlich begründete Zweifel an der Zurichtung des Nachwuchses, immer nur darum, alte Inhalte gegen neue auszutauschen und gleichzeitig ein weiteres Mittel in die Hand zu bekommen, mit dem tatsächliche Leistung geleugnet und tatsächliches Versagen kaschiert werden konnte.

Die nächste „Gegenaufklärung“ des Historikers Karlheinz Weißmann erscheint am 5. Juni in der JF-Ausgabe 24/20.