© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Kräftig auf die eigene Schulter klopfen
Helmut Hammerichs Geschichte des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) gerät zu einer Hagiographie
Konrad Faber

Helmut H. Hammerich, Oberstleutnant und promovierter Militärhistoriker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften (früher MGFA) in Potsdam, wo er viele Jahe tätig war, und derzeitiger Dozent für Militärgeschichte am Zentrum für Innere Führung der Bundeswehr in Koblenz hat eine dickleibige, in offiziellem Auftrag vorgelegte Geschichte des MAD verfaßt. Kritische Töne, welche ansonsten von zivilen Historikern bei der Abfassung von Darstellungen zur Geschichte des Bundesnachrichtendienstes (BND) oder Bundesamtes für verfassungsschutz (BfV) nicht fehlen dürfen, zeichnen das Buch von Hammerich nicht unbedingt aus. Für ihn ist die Geschichte des MAD weitestgehend eine Erfolgsgeschichte. Immerhin unterschied sich der MAD gemäß den Erkenntnissen von Hammerich dadurch von BND und Verfassungsschutz, daß er im Gegensatz zu diesen nicht grundsätzlich auf Öffentlichkeitsarbeit inklusive Imagepflege verzichtete. Bis 1976 erschien der MAD deshalb in der wohlmeinenden Presse als „Geheimdienst ohne Skandale“, wenngleich es danach auch für den MAD knüppelhart kam.

Ein MAD-Chef arbeitete zwanzig Jahre für die Stasi

In einer längeren historischen Einführung geht Hammerich zuerst auf die Vorgänger des MAD in hundert Jahren deutscher Militärgeschichte ein. Nach 1945 entspann sich in der entstehenden Bundesrepublik ein politisches, doch auch persönlich geprägtes Ränkespiel um den künftigen Abwehrdienst der Bundeswehr, welcher aus historischen Gründen nicht mehr „Abwehr“ heißen durfte. Laut Hammerich wurde kein bundesdeutscher Geheimdienst personell so gesiebt wie der MAD, um die Verwendung von Personal auszuschließen, welches sich im Dritten Reich belastet hatte. Nach seiner Gründung war der MAD zuerst mit den massenhaften Sicherheitsüberprüfungen Hunderttausender Bundeswehrangehöriger beschäftigt, welche sowohl als künftige Geheimnisträger wie in Hinsicht auf politischen Extremismus von links und rechts überprüft werden mußten. 

Ebenso groß waren in den Jahren des „Kalten Krieges“ die Anstrengungen des MAD, die Bundeswehr vor Sabotage und Zersetzung zu schützen, welche sehr kreativ von entsprechenden Einrichtungen aus der DDR betrieben wurden. So tauchten Tausende gefälschte Einladungen für eine angeblich beim Generalinspekteur der Bundeswehr stattfindende Festveranstaltung auf, welche Chaos und Verärgerung beim Eintreffen der Eingeladenen hervorrufen sollten, oder aber Angehörige von Bundeswehrsoldaten erhielten schriftliche Mitteilungen, ihr derzeit im Manöver befindlicher Familienangehöriger sei dabei tödlich verunglückt. Gleichfalls gingen den Ehefrauen vieler Bundeswehrangehöriger vorgeblich fehlgeleitete Briefe zu, die von der angeblichen Geliebten des Ehemannes stammten. Spionagefälle – es sei nur an den herausragenden Fall des Ehepaares Lutze im Bundesministerium für Verteidigung erinnert, machten um die Bundeswehr keinen Bogen, wenngleich die vom MAD aufgedeckten Fälle nur die Spitze eines Eisberges darstellten. 

Für das Ost-Berliner Ministerium für Staatssicherheit stellte der MAD keinen sonderlich ernstzunehmenden Gegner dar. Hinzu kam, daß das MfS in den letzten zwei Jahrzehnten seiner Existenz davon profitieren konnte, den stellvertretenden MAD-Chef, Oberst Joachim Krase, auf seiner Informantenliste zu führen. Hammerich hat dem Fall des 1988 verstorbenen MAD-Spionageabwehrexperten Krase, dessen Spionagetätigkeit erst postum aufgedeckt wurde, eine eingehende Fallstudie gewidmet. Demzufolge gelang es Krase, der sich aus persönlicher Verärgerung dem MfS als Informant selbst anboten hatte, die Abwehrarbeit des MAD für 15 Jahre nahezu zu paralysieren. 

Ebenso große Beachtung widmet Hammerich jener Affäre, die dem Image des MAD am meisten schadete und fast zum Sturz von Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner führte. Die im Fall der unterstellten Homosexualität des Generals Günter Kießling oberflächlich geführten Ermittlungen hatten zuerst dessen Entlassung und anschließend die Pro-forma-Wiederanstellung zur Wiederherstellung der dienstlichen Ehre zur Folge. Allerdings ließ sich gerade im Fall Kießling nicht der Nachweis führen, daß hier über Oberst Krase das MfS die Regie führte. 

Ansonsten äußerten dienstintern MAD-Offiziere ab 1984 heftige Kritik an den Zuständen im MAD: „Die in der Bundeswehr übliche Verwendungsbreite hat im MAD dazu geführt, daß einige schon alles gemacht haben, nichts perfekt beherrschen und sich dann wiederum nur mit Formalien beschäftigen.“ Auch gehörten politische Pressionen zunehmend zum MAD-Alltag. So die bereits 1977 nachweisbare, in vorauseilendem Gehorsam auf Druck aus dem Verteidigungsministerium erfolgte Nötigung, die Bekämpfung des Rechtsextremismus wegen der durch die RAF real bestehenden Gefahr des Einsickerns von Linksextremisten in die Truppe ja nicht zu vernachlässigen. Wenn sich heute der MAD lauthals seiner Erfolge bei der Aussonderung rechtsextremer und islamistischer Bewerber für die Bundeswehr rühmt, aber anscheinend keinerlei Ermittlungserfolge bei den häufigen Brandstiftungen durch Linksextremisten in Bundeswehranlagen verzeichnen kann, ist das genau jener Geisteshaltung im Bundesministerium der Verteidigung geschuldet. Aber so etwas wagt Hammerich natürlich nicht zu schreiben, denn als loyaler Bundeswehroffizier hatte er schließlich die offiziöse Geschichte des MAD zu verfassen.

Helmut Hammerich: „Stets am Feind!“ Der Militärische Abschirmdienst (MAD) 1956–1990. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, gebunden, 520 Seiten, Abb., 40 Euro