© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Selbsttötung eines weiblichen Fußballfans im Iran
Getarnte Geschlechtsidentität
(dg)

Wolfgang Kraushaar, als linker Ideenhistoriker in vielen Veröffentlichungen ausgewiesen als ungewöhnlich kritischer Begleiter der 68er-Bewegung, hat nach 28 Jahren seine in der Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung erschienene „Protest-Chronik“ eingestellt (Mittelweg 36,  6–2019/1–2020). Ursprünglich auf Ereignisse bundesdeutscher Geschichte beschränkt, die von der Renitenz der „Beherrschten gegenüber den Herrschenden“ zeugten, globalisierte der Chronist sukzessive seine Themen. Konsequent widmet sich daher auch seine letzte Kolumne einem Protest im Iran, der gerade in seinem taz-Milieu, das ängstlich darauf achtet, nicht als „islamophob“ zu gelten, kaum auf Resonanz stieß. Es handelt sich um die Selbstverbrennung der 29jährigen Sahar Khodayari, der im September 2019 eine Gefängnisstrafe dafür drohte, daß sie als Mann verkleidet, also „unter getarnter Geschlechtsidentität“, im Teheraner Eizum-Azadi-Stadion ein Fußballspiel anschaut hatte. Das ist Frauen unter dem Mullah-Regime, das nie das UN-Übereinkommen zur „Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung der Frau“ unterzeichnete, streng verboten. Kraushaar stellt Khodayaris Verzweiflungstat in eine Reihe ähnlich spektakulärer Selbsttötungen, die im 20. Jahrhundert als Krisensymptome politischer Herrschaftssysteme zumeist deren im Verfall befindliche Legitimität angezeigt hätten. 


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