© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 22/20 / 22. Mai 2020

Nie wieder erreicht
Demokratiebildung zur Weimarer Zeit
Dirk Glaser

Beim historischen Vergleich der Schul-, Bildungs- und Kulturpolitik, und nicht nur dort,  schneidet das angeblich „beste Deutschland, das es je gab“, wie das Führungspersonal der Berliner Republik sich gern selbst lobt, gegenüber seinen Vorläufern zwischen 1871 und 1933 ausgesprochen mies ab. So kann selbst ein junger Professor für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften an der Universität Trier, Matthias Busch, heute einem 1955 über die Schulpolitik der Weimarer Republik gefällten Urteil voll zustimmen: „‚Die deutsche Lehrerschaft der zwanziger Jahre trug eine pädagogische Bewegung, wie sie in diesem Umfang die deutsche Schule weder vorher noch nachher gekannt hat.“ 

Dieses Resümee haben auch ungezählte verfehlte „Reformen“ im Ungeist der 68er-Bewegung nicht erschüttern können. Es war damals schon von dem Erziehungswissenschaftler Herbert Chiout gezogen worden, um die „unerreichte Reformfreudigkeit“ der Weimarer Zeit gegen die negativen Klischees zu verteidigen, die man auf beiden Seiten des „Eisernen Vorhangs“ vor allem von der angeblich undemokratischen und didaktisch fehlkonstruierten staatsbürgerlichen Bildung vor 1933 pflegte. 

Busch, der 2016 eine gründliche Studie über die „Staatsbürgerkunde in der Weimarer Republik“ vorgelegt hat, bestätigt Chiouts Befund nun abermals in einer Kurzfassung dieser Arbeit (Aus Politik und Zeitgeschichte, 14–15/2020). Vorläufer des „Demokratielernens“ habe es bereits im Kaiserreich gegeben. 1909 gründete sich die Vereinigung für staatsbürgerliche Erziehung des deutschen Volkes. Als Schulfach nach der Novemberrevolution eingeführt, genoß die Staatsbürgerkunde seit 1919 in Artikel 148 der Weimarer Reichsverfassung sogar Verfassungsrang. Was den hochgespannten Erwartungen Rechnung trug, die die Politik in einer heillos zerrissenen Gesellschaft an die Schule richtete. Wie jeder Staat, so pochte auch die erste deutsche Demokratie auf ihr Recht, nicht nur von ihren Beamten eine Erziehung zur Republik zu fordern. Ziel schulisch vermittelter politischer Bildung sei vielmehr die breitenwirksame Erziehung zu „selbständig denkenden Staatsbürgern“ und zu „opferbereitem Gemeinsinn“ gewesen, um die Akzeptanz der Republik in der jungen Generation zu festigen. Dank einer „kontradiktorischen Didaktik“ sei der Unterricht in der Endphase Weimars sogar noch gegen parteipolitische Einflüsse abgeschottet worden, bevor 1933 diese Demokratiebildung jäh endete.