© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Es grünt so grün
Staatsrecht: Die Personalien des Bundesverfassungsgerichts stellen neue Weichen
Ulrich Vosgerau

Kürzlich wurde in Mecklenburg-Vorpommern Barbara Borchardt zur Verfassungsrichterin gewählt – trotz ihrer Migliedschaft in der vom Verfassungsschutz beobachteten „Antikapitalistischen Linken“ hatte offenbar auch die CDU keinerlei Einwände. Erste aufkommende Kritik wischte Borchardt wie folgt beiseite: Sie sei nicht notwendig verfassungsfeindlich eingestellt, weil das Grundgesetz eine kapitalistische Produktionsweise nicht notwendig vorschreibe, sondern den mit demokratischen Mitteln bewirkten Übergang zum Sozialismus erlauben würde, argumentierte die 64jährige. 

Das ist durchaus richtig und spielt auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Mitbestimmung (1978) an. Allerdings erleben wesentliche Grundsatzurteile derzeit offenbar eine sehr unterschiedliche Konjunktur. In anderen Grundsatzentscheidungen – zum Beispiel Teso (1987) oder Grundlagenvertrag (1973) – stellte das Bundesverfassungsgericht fest, das Grundgesetz selber gehe von der vorgegebenen Existenz eines deutschen Volkes im Sinne einer Abstammungsgemeinschaft aus. 

Diese gehe der Verfassung als verfassungsgebende Gewalt sogar vor, weil sie Träger des völkerrechtlichen Selbstbestimmungsrechts sei und daher selbst dem verfassungsändernden Gesetzgeber nicht zur Disposition stehe, sondern von diesem zu erhalten, zu bewahren und zu schützen sei.

Bekenntnisse in diese Richtung werden neuerdings vom Verfassungsschutz als Indiz für „Verfassungsfeindlichkeit“ bewertet, weil sie angeblich die Menschenwürde aller Nichtdeutschen in Frage stellen. Dies zu tun, würde dem neuen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Stephan Harbarth natürlich nie einfallen, tat er sich doch im Bundestag als besonders engagierter Verteidiger des „Global Compact for Migration“ hervor. Wer als ausgebildeter Völkerrechtler seine Ausführungen im Bundestag hörte, staunte: War dieser Unternehmeranwalt wirklich völkerrechtlich dermaßen unkundig, daß er seine eigenen Worte glaubte, oder bog er sich, auch noch im Ton einer Vorlesung, die Wahrheit bewußt zurecht? 

Wohl eher letzteres, folgte man der FAZ (16. Mai): „Für seine Wahl brauchte der Vater dreier Kinder auch die Grünen. Hier spielte seine Haltung zum UN-Migrationspakt eine Rolle, den Harbarth trotz Kritik von eher konservativer Seite befürwortete.“ 

Das Bundesverfassungsgerichtsgesetz sieht eigentlich aus guten Gründen vor, daß Richter wie Präsidenten des Gerichts „ohne Aussprache“ gewählt werden; ein Schaulaufen mit liebedienerischen Bewerbungsreden der Kandidaten würde den Nimbus des Amtes sofort zerstören. Dieser Prozeß scheint jetzt angelaufen zu sein. Harbarth wird als Präsident allerdings weiter dem Ersten Senat angehören, der vorwiegend mit Grundrechtsfragen zu tun hat. Die Richterstelle des bisherigen Präsidenten Voßkuhle im staatsorganisationsrechtlichen Zweiten Senat wird Astrid Wallrabenstein, Professorin für Sozialrecht an der Goethe-Universität, übernehmen. Auch an dieser, von den Grünen vorgeschlagenen Personalie, regt sich Kritik.

Frau Wallrabenstein ist Schülerin des ersten „grünen“ Verfassungsrichters Brun-Otto Bryde. Sie bemühte sich bereits in ihrer Dissertationsschrift, dessen ständige Kritik an dem Umstand, daß das Grundgesetz das Wahlrecht auf Deutsche beschränkt, zu vertiefen. Ziel ist stets eine „Demokratie ohne demos“. Das Prinzip der Abstammungsgemeinschaft soll aufgegeben, das Wahlrecht möglichst auf alle in Deutschland lebenden Menschen ausgeweitet werden. Schon in sich waren diese Konzepte niemals auch nur logisch. 

So könnte das Wahlrecht, wenn es wirklich auf die Menschenwürde zurückgeführt würde statt auf die Volkszugehörigkeit, niemals auf alle legal in Deutschland lebenden Menschen beschränkt werden, denn der Menschenwürde sind auch Illegale, abgelehnte Asylbewerber und Terroristen jederzeit teilhaftig. Schon Brun-Otto Bryde fand stets alles „demokratisch“, was von der EU kam, obwohl es dort keine demokratischen Legitimationsketten gibt; alles, was auf nationaler Ebene beschlossen wurde, fand er „undemokratisch“, weil die in Deutschland lebenden Ausländer nicht mitwirken konnten. Daß aber auch auf EU-Ebene immer nur die Bürger der EU-Mitgliedsstaaten mitwirken dürfen, nicht aber etwa Türken, störte ihn nicht. 

Aber: Würde man zur Förderung der Neutralität des Bundesverfassungsgerichts beispielsweise festlegen, daß ein Drittel der Richter (statt von Bundestag und Bundesrat) unmittelbar aus der Mitte der Staatsrechtslehrervereinigung gewählt wird, so hätte zwar Harbarth in diesem Kontingent keine Chance – weil ihn dort niemand kennt. Astrid Wallrabenstein hingegen wäre auch bei Wahl nur durch habilitierte Staatsrechtslehrer eine hohe Favoritin gewesen. Denn nichts ist dort derzeit beliebter und ein stärkerer Karriere-Booster als die Forderung nach der Ausweitung des Wahlrechts auch auf Ausländer.

Dies zeigte schon vor Jahren der Verlauf der Kieler Staatsrechtslehrertagung 2012, auf der der Münchner Völkerrechtler Christian Walter für die entsprechende Forde-rung stürmisch gefeiert wurde. Astrid Wallrabenstein gehörte damals zu denen, die – gewiß nicht ganz ohne vorherige Absprache – den Applaus orchestrierten; Kritik daran, auch im Hinblick auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker als eigentliche idée directrice des internationalen Rechts, wie etwa von Christian Hillgruber formuliert, kam nicht gut an. So bestätigt sich auch im Hinblick auf die einst als konservativ geltende Staatsrechtslehrervereinigung der Satz: wo man heute auch hingeht, man ist immer bei den Grünen.






Dr. habil. Ulrich Vosgerau lehrte Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an mehreren Universitäten.