© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

„Sonst könnte das Ende nahen“
Wie geht es weiter mit der AfD? Droht die Partei nun zu zerbrechen? – Der ehemalige Emnid-Chef Klaus-Peter Schöppner widerspricht: Nur die Spaltung könne sie retten, wollen die Alternativen noch erfolgreich sein. Wie kommt der Meinungsforscher zu seiner These?
Moritz Schwarz

Herr Schöppner, kann nur die Spaltung die AfD noch retten?

Klaus-Peter Schöppner: Wenn es für die Flügel einer Partei keinen gemeinsamen Mittelweg mehr gibt, bleibt in der Tat nur noch die Trennung.

Oder würde gerade eine Spaltung die Partei zerstören?

Schöppner: Spaltungen bergen natürlich ein hohes Risiko. Aber offenbar werden die Flügel der AfD nicht mehr zueinanderfinden. Löst die Partei diese Situation nicht auf, liegt darin eine noch weit größere Gefahr, nämlich die, überflüssig zu werden: Jede Partei braucht schließlich einen Markenkern. Den kann sie aber nicht entwickeln, solange durch widerstreitende Kräfte nicht geklärt ist, wofür sie nun eigentlich steht. Erst wenn sie von diesem Konflikt entlastet ist, kann sie neu starten.  

Die Spaltung könnte jedoch zu zwei Kleinparteien führen, die – jede für sich – politisch sich nicht zu behaupten vermögen.

Schöppner: Ich sagte doch eben, Spaltung birgt immer auch Gefahr. Doch immer noch besser, als einen Konflikt weiter schwelen zu lassen. Denn wie sonst der Konflikt gelöst werden sollte, ist derzeit nicht vorstellbar.

Allerdings kennen alle Parteien Flügelkämpfe – erinnert sei etwa in der CDU an Jakob Kaiser, Alfred Dregger, Heiner Geißler, heute die Werteunion, an die Kanalarbeiter in der SPD, National- und Sozialliberale in der FDP oder die Fundis der Grünen. Alle haben sie diese aber ohne Spaltung (nur geringe Absplitterungen) gelöst. Warum sollte das der AfD nicht möglich sein?

Schöppner: Grundsätzlich ist es das auch. Doch offenbar haben die AfD-Flügel weder gemeinsame Inhalte noch von allen akzeptiertes Personal. Wenn erst der Eindruck entsteht, daß die Durchsetzung ideologischer Überzeugungen, persönlicher Interessen und die Befriedigung, es dem innerparteilichen Gegner am Ende gezeigt zu haben, oberstes Ziel ist, dann ist das eine unerträgliche Gemengelage. In allen von Ihnen eben genannten Beispielen wußte sich schließlich ein Flügel unterzuordnen, um eine Spaltung zu verhindern. Dazu aber scheinen die AfD-Protagonisten nicht willens und in der Lage. 

Unabhängig davon, ob diese nötig oder nicht, hilfreich oder verhängnisvoll ist: Kommt denn die Spaltung?

Schöppner: Das weiß niemand. Es hängt auch davon ab, ob den AfD-Mitgliedern der Ernst der Lage bewußt ist. Zudem müßten die Flügel definieren, wofür genau sie eigentlich stehen, wo sie politisch hinwollen. Das ist aber vor allem beim rechtsnationalen, sogenannten „völkischen“ Flügel kaum ersichtlich, der vor allem davon lebt, im Osten Protest gegen die Berliner Regierung zu artikulieren. Was gerade besonders schwer ist, da Bund und Land in der Corona-Krise offenbar wieder deutlich mehr Bürger davon überzeugen, in schwieriger Zeit handlungsfähig zu sein. So kann zum Beispiel Markus Söder,  den plötzlich viele Bürger als vertrauenswürdigen Krisenmanager wahrnehmen,  Teile der konservativen Klientel derzeit wieder an sich binden. 

Was, wenn die Spaltung nicht kommt? 

Schöppner: Dann könnte das Ende nahen: Grundsätzlich ist das Schlimmste, was einer Partei passieren kann, in einem Dauerzwist festzustecken.

Der AfD wird vorgeworfen, undemokratisch zu sein. Ist nicht das Gegenteil der Fall und das Problem: Die ausgeprägte Basisdemokratie ist doch ein Hauptgrund für das ständige Kreuz und Quer in der Partei. Ist sie also vielleicht zu demokratisch und fehlt ihr ein Herbert Wehner, Helmut Kohl oder Joschka Fischer, sprich ein „starker Mann“, der sie auf Linie bringt?

Schöppner: Daß eine starke Integrationsfigur fehlt, ist sicher eines ihrer Probleme. Gerade jetzt, wo die Kluft zwischen ihren Flügeln so stark wie nie ausgeprägt ist. Ihr rechtskonservativer Flügel will Politik gestalten und strebt langfristig ein Bündnis mit der CDU an. Ihr rechtsnationaler Flügel dagegen kann nicht wirklich politisch inhaltlich wirken, weil er wegen seines Auftretens, seiner Inhalte und der Historie seiner Protagonisten keinen Bündnispartner finden wird – und vielleicht auch nicht finden will. Damit aber wird sich der rechtskonservative Flügel nicht abfinden, schließlich will der politisch etwas bewirken. Im Grunde sind AfD-West und AfD-Ost zwei verschiedene Parteien. Mit so vielen Sollbruchstellen, daß die Konflikte kaum noch anders als durch Spaltung zu lösen sein werden.  

Würden dann zwei kleine Parteien entstehen, die sich die Wählerstimmen teilen und die sich beide über der Fünf-Prozent-Hürde halten? Oder würde eine schließlich verschwinden und die andere das Gros der Wähler übernehmen?

Schöppner: Schwer vorauszusagen. Ein möglicher Erfolg einer eher demokratischen Meuthen-AfD wäre auch abhängig von der zukünftigen Positionierung der Union: Käme dort zum Beispiel ein starker Politiker wie etwa Markus Söder als Kanzlerkandidat an die Spitze, der auch „konservativ“ kann, hätte sie es natürlich sehr viel schwerer, sich zu behaupten. Eine deutschnationale AfD wäre dagegen ohne jegliche Machtoption. Nur Protestpartei – dazu noch für die allermeisten Wähler völkisch undurchsichtig und ständig auf Konfrontation aus – wird von den wenigsten Wählern gutgeheißen. Die möchten schließlich nicht auf ewig nur Protest ausdrücken, sondern wollen, daß sich irgendwann auch mal etwas an den Zuständen ändert, gegen die sie protestieren. Mittelfristig hätte also die AfD-Ost klar die schlechteren Aussichten, zu einer festen Größe zu werden.

Ist es denn so sicher, daß die mitteldeutsche AfD wirklich nur Protestpartei ohne Perspektive ist? Ist das nicht vielleicht nur unsere voreilige „West-Sicht“? Könnte sie nicht tatsächlich schon eine Art Volkspartei sein? Wenn ja, wäre es dann nicht möglich, daß es irgendwann zumindest zu lokalen Bündnissen mit einer notorisch schwächelnden CDU in Sachsen oder Thüringen kommt – wenn auch unter Zeter und Mordio des Konrad-Adenauer-Hauses?

Schöppner: Das glaube ich nicht, denn fragen wir Meinungsforscher die Bürger im Osten nach den politischen Inhalten und Zielen der dortigen AfD-Landesverbände, sind die Ergebnisse mager: Nur selten werden da konstruktive Vorschläge genannt. Wähler wählen eine Partei aus drei Gründen: Erstens weil sie ihr inhaltlich zustimmen. Zweitens weil sie ihr zumindest eher als den anderen nahestehen – sozusagen als das kleinere Übel. Oder drittens aus Protest, um ihre Unzufriedenheit zu verdeutlichen. Im Vergleich zum Westen ist der Protestwähleranteil im Osten deutlich größer, dort sind Wahlen also „Abwahlen“. Das geht aber nur eine Zeitlang gut, dann benötigt der Protest einen Erfolg, der nur per Regierungsbeteiligung zu erreichen ist. Daran sind DVU, NPD, Piraten etc. allesamt gescheitert. Protestwähler betrachten irgendwann ihre Protestwahl als verlorene Stimme. Also ist sehr zu vermuten, daß sich der völkische Teil der AfD nach einer Spaltung marginalisiert.  

Aber selbst wenn eine West-AfD Erfolg hätte und koalierte – würde sie als halbierte Partei mit sieben oder acht Prozent von der Union nicht an die Wand gedrückt?

Schöppner: Da wäre ich mir nicht so sicher. Das hängt sehr von der herrschenden politischen Großwetterlage ab. Ein kleiner Partner kann zwar als Mehrheitsbeschaffer mißbraucht werden. Er kann aber auch einflußreiches Korrektiv sein, wie es FDP und Grünen etwa in ihrer Geschichte immer wieder gelungen ist. Sollte die Union einmal vor der Notwendigkeit stehen, mit einer koalitionsfähig-demokratischen AfD kooperieren zu müssen, könnte diese in eine Art Wächterfunktion des Rechtskonservatismus innerhalb dieser Koalition gelangen und überproportional viel – gemessen an ihren vielleicht sechs oder sieben Prozent – Einfluß nehmen. Was nützen einer Partei zehn bis 15 Prozent ohne Gestaltungsmöglichkeit? Selbst mit nur der Hälfte kann sie weit mehr bewegen, gelingt es ihr, im demokratischen Spektrum den Markenkern „rechtskonservativ“ für sich zu beanspruchen.

Hängt ein Erfolg eventueller AfD-Spaltprodukte nicht von etwas ganz anderem ab: nämlich davon, wer den Namen, das Logo und damit die Bekanntheit – also  die „Marke“ behält? Gilt also: Wer sich abspaltet, der verliert? Und spaltet sich deshalb vielleicht doch niemand ab?

Schöppner: Es stimmt, daß es bei Spaltungen bislang meist so war. Das heißt aber nicht, daß es auch in Zukunft so sein muß. Schließlich ist der Begriff „AfD“ bei der ganz überwiegenden Anzahl der Wähler nicht konstruktiv besetzt. Ein neuer Parteiename wäre daher kein Nachteil. Eine Klärung muß her, denn der Überdruß weiter Wählerschichten ist kaum noch zu überbieten, wie die Meinungsumfragen belegen. 

Aber brauchen nicht beide Flügel einander? Da jede Partei doch zweier Flügel bedarf! Nehmen Sie SPD und CDU, die beide ihren rechten Flügel verloren und sich damit das gleiche Problem eingehandelt haben: Beiden wird heute attestiert, ihres Markenkerns verlustig gegangen zu sein. Die CDU, so schreiben selbst linke Zeitungen, sei heute „sozialdemokratisiert“. Und die SPD, kritisieren sogar Genossen, habe sich in linker Elfenbeinturmpolitik wie Klima oder Gender verloren, statt sich um ihre klassische Klientel, den an linker Ideologie uninteressierten „kleinen Mann“ und seine Nöte, zu kümmern.

Schöppner: Nur: „Flügel“ wird mit „Kampf“ assoziiert. Und Kampf wiederum mit Ungewißheit, Streit, Eigenwohl. Das alles will der Wähler nicht. Das Problem von SPD und CDU ist ja, sich durch ihren unklaren Markenkern nicht eindeutig mit relevanten Inhalten von anderen abgrenzen zu können.             Das potenziert sich bei der AfD: Wofür bitte steht der rechtsnationale AfD-Flügel? Und wie sollte er sich bitte mit seiner rechtspopulistischen Haltung in unserem demokratischen System gewinnbringend einbringen können?

Ohne den bürgerlichen Flügel würde die AfD ins Sektiererisch-Extremistische kippen und ohne den rechtsnationalen Flügel ins Etabliert-Saturierte.

Schöppner: Mit den Rechtsnationalen würde die AfD jene „verlieren“, die konstruktive politische Arbeit und Willen zur politischen Gestaltung verhindern. 

Einerseits – aber andererseits würde Anpassung drohen: Denken Sie etwa an die erste ÖVP/FPÖ-Koalition, die 2005 schließlich im BZÖ-Abspaltungsdesaster einiger „angekommener“ FPÖ-Minister beziehungsweise -Funktionäre endete.

Schöppner: Die AfD ist doch 2013 angetreten, um ein konservatives Gegengewicht zur CDU zu bilden. Diesen Anspruch kann die Partei bis heute in keiner Weise erfüllen, weil die antidemokratischen Krawalleskapaden des rechtsnationalen Flügels sie daran hindern, auch nur in theoretische Reichweite eines Bündnisses mit der Union zu kommen.

Ist denn der rechtsnationale Flügel überhaupt antidemokratisch? Und ist Andreas Kalbitz, an dessen Ausschluß sich die gegenwärtige Krise ja entzündet hat, wirklich ein Rechtsextremist? Schließlich haben Politiker aller Parteien extremistische Vergangenheiten, von Herbert Wehner über Kurt Georg Kiesinger, Karl Carstens und Walter Scheel, bis zu Joschka Fischer oder Winfried Kretschmann. Ist diese Frage wirklich geklärt oder behaupten das „antidemokratisch“ nicht nur etablierte Medien und Politik aus durchsichtigen Gründen?  

Schöppner: Ihre Frage unterschätzt, daß die Wähler heute deutlich sensibler geworden sind. Heute ist das einwandfreie demokratische Bekenntnis entscheidender denn je. Und noch etwas ist wichtig: der Wille, am Ende doch konstruktiv zusammenarbeiten. Sind der Partei Sachfragen wichtiger als Machtfragen? Geht es um den Zusammenhalt oder um die Spaltung der Nation? Wer als Politiker so auftritt, daß eine Zusammenarbeit mit ihm unmöglich erscheint, hat, wie man aus der Meinungsforschung weiß, in unserem auf Konsens ausgerichteten demokratischen System einfach keinen Platz.






Klaus-Peter Schöppner, war von 1991 bis 2013 Geschäftsführer des Emnid-Instituts für Meinungsforschung – heute leitet er das Meinungsforschungs- und Beratungsinstitut Mentefactum in Bielefeld. Er beriet das Bundespräsidialamt, diverse Landesregierungen, Parteien und große Unternehmen. Zudem hatte er Lehraufträge an verschiedenen Hochschulen, war ständiger Korrespondent mehrerer Tageszeitungen und veröffentlichte zahlreiche Gastbeiträge in Zeitschriften und Fachzeitschriften. Er kommentierte immer wieder im Fernsehen und Rundfunk sowie im Spiegel, Focus oder der Wirtschaftswoche. Ab 1995 moderierte er wöchentlich die Sendung „Emnid“ auf n-tv, 2005 wechselte er zum Nachrichtensender N24. Begonnen hatte der 1949 geborene Münsteraner 1975 bei Emnid, nachdem er Psychologie, Publizistik und Betriebswirtschaftslehre studiert und unter Schirmherrschaft der bekannten Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann als „Qualifizierter Marktforscher“ abgeschlossen hatte.

Foto: Riß im Gefüge der AfD: „Der rechtsnationale Flügel kann nicht wirklich politisch inhaltlich wirken, weil er wegen seines Auftretens, seiner Inhalte und der Historie seiner Protagonisten keine Bündnispartner finden wird – und vielleicht auch keine finden will. Damit aber wird sich der rechtskonservative Flügel nicht abfinden, schließlich will der politisch etwas bewirken“

 

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