© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Ländersache: Berlin
Grün statt Grundgesetz?
Paul Leonhard

Sie sehen sich als antikapitalistisch, antifaschistisch und antirassistisch. Sie fordern einen Systemwechsel und – ganz aktuell – die Abschaffung des Verfassungsschutzes als Ganzes oder wenigstens der Berliner Behörde. Denn der hat die etwa 30 Mitglieder umfassende Berliner Gruppe der bundesweiten Protestkampagne „Ende Gelände“ in seinen aktuellen Bericht im linksextremistischen Spektrum verortet und damit „diskrimminiert“. Das beklagen nicht nur Aktivistinnen wie Ronja Weil gegenüber dem Spiegel-Jugendableger Bento, sondern auch die Jugendorganisationen von SPD, Grünen und Linken.

Grund für die linke Aufregung ist, daß die Verfassungschützer die Unterwanderung der Klimaschutzbewegung durch gewaltbereite Linksextremisten öffentlich gemacht haben. Dem Berliner Ableger von „Ende Gelände“, einem von 59 bundesweit, wird vorgeworfen, sich als Klimaschutz-Akteur darzustellen, dabei aber zu verschleiern, daß „die tatsächlichen Ziele weit darüber hinausreichen“. Beispielsweise bezeichne sich die linksextremistische Interventionistische Linke (IL) als „maßgeblicher Bestandteil“ von „Ende Gelände“. Überdies würde bei den Massenaktionen des „zivilen Ungehorsams“ Gewalt – zu denen die Blockaden, die Besetzung von Baggern und auch Angriffe auf Polizisten zählen – mindestens billigend in Kauf genommen.

Bereits 2018 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz festgehalten, daß „Ende Gelände“ linksextremistisch beeinflußt sei, „als Vehikel zur Umsetzung linksextremistischer Ziele“ diene und die IL in ihm „eine strategisch führende Position“ einnehme.

In seiner Eigendarstellung sieht sich das Bündnis dagegen als ein „breiter Zusammenschluß von Menschen aus den Anti-Atom- und Anti-Kohle-Bewegungen, aus den Vorbereitungsgruppen der Klimacamps in Rheinland und Lausitz, von der Waldbesetzung im Hambacher Forst, aus klimapolitischen Graswurzelinitiativen und Bürgerinitiativen ...“ Was die Aktivisten unter „zivilem Ungehorsam verstehen, demonstrierten sie seit 2015 im Rheinischen und im Lausitzer Braunkohlerevier mit jeweils bis zu 5.500 Teilnehmern. „Wir erinnern uns noch gut, als ‘Ende Gelände’-Chaoten im vergangenen Jahr Angst und Schrecken in der Lausitz verbreiteten“, so der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Sebastian Wippel: „Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Gewalt gegen Beamte gehören zu den elementaren Aktionsformen dieser Truppe.“

Der Streit um den Verfassungschutzbericht hat durch die lauten Proteste der linken Jugendorganisationen auch die Berlin regierende rot-rot-grüne Koalition erreicht. Während der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus, Niklas Schrader, ebenfalls die Abschaffung des Verfassungsschutzes fordert und der Landeschef der Berliner Grünen, Werner Graf, betont, Blockaden seien radikale Protestaktionen, aber keine Gefahr für die Verfassung, erklärt Tom Schreiber für die SPD-Fraktion, daß seine Genossen zu 100 Prozent an der Seite des Berliner Verfassungsschutzes stünden. Wenn Linke und Grüne die Abschaffung der Behörde forderten, grenze das „mehr an politisches Mobbing und politischen Karneval als an ernsthafte Diskussionsbeiträge“.