© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Kalbale oder Liebe?
Streit in der AfD: Der Entschluß, Andreas Kalbitz die Mitgliedschaft zu entziehen, sorgt weiter für Unruhe / Parteispitze ist gespalten / Widersprüchliche juristische Bewertungen
Jörg Kürschner / Christian Vollradt

Rasen in der AfD-Führung zwei Züge nicht nur politisch, sondern auch rechtlich aufeinander zu? „Das ist erst mal kein Machtkampf, sondern eine juristische Frage“, versuchte der Ehrenvorsitzende der Partei, Alexander Gauland, den handfesten politischen Richtungsstreit herunterzuspielen. Fest steht, daß das Parteischiedsgericht und möglicherweise staatliche Gerichte einschließlich des Bundesverfassungsgerichts mit dem „Fall Kalbitz“ eine juristisch harte Nuß zu knacken haben. 

Nach dem Beschluß des Vorstands, die Mitgliedschaft des brandenburgischen AfD-Landeschefs Andreas Kalbitz zu widerrufen (JF 22/20), vertreten AfD-Spitzenpolitiker und Parteienrechtler zwei schlüssige Rechtspositionen, die allerdings zu diametral entgegengesetzten Ergebnissen führen. Steht der Vorstandsbeschluß und damit dessen Initiator Co-Parteichef Jörg Meuthen auf der Kippe? 

Von einigem Gewicht ist in der AfD die Argumentation von Albrecht Glaser, der – wie Kalbitz – der AfD im März 2013, einen Monat nach der Partei-gründung, beigetreten ist. Er kann das Aufnahmeverfahren auch anhand seiner eigenen Unterlagen genau rekonstruieren. Auf dem Aufnahmeantrag jener Zeit (siehe Ausriß oben) stehe „ganz oben gut sichtbar der Hinweis, daß frühere Zugehörigkeiten insbesondere zu extremistischen Parteien und Organisationen angegeben werden müssen und ein Unterlassen zum Widerruf der Parteimitgliedschaft führt“, betonte er im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT. Seit langem hat sich der Bundestagsabgeordnete aus Frankfurt am Main den Ruf eines Experten erworben, da er auf nahezu jedem Parteitag vor den Delegierten einen Ausflug in die komplizierte AfD-Satzungswelt unternimmt. 

Für den Juristen steht fest, daß Kalbitz den AfD-Vorstand seinerzeit arglistig getäuscht hat, da er seine Mitgliedschaften in der seit 2009 verbotenen Organisation „Heimattreue Deutsche Jugend“ (HDJ) und der Partei „Die Republikaner“ verschwiegen habe. Diese Täuschungshandlung habe im AfD-Vorstand den Irrtum erregt, gegen die Aufnahme von Kalbitz bestünden keine Bedenken. Der Vorstand könne deshalb die damalige Willenserklärung anfechten mit der Folge, daß der Aufnahmevertrag nichtig ist. Glasers Fazit: „Kalbitz ist im Falle einer Anfechtung durch die Partei 2013 nicht rechtswirksam in die AfD aufgenommen worden.“ 

„Verliert Kalbitz, dann ist das so“

Daß der Aufnahmeantrag nicht auffindbar ist, hält der Jurist für unerheblich. „Es gibt die Excel-Tabelle, in der zu dieser Zeit alle Aufnahmeanträge eingetragen worden sind. Bei Kalbitz sind in der Rubrik ‘frühere Mitgliedschaften’ nur CSU/Junge Union vermerkt worden.“ Dies reiche als Beweis aus. Daß die Tabelle bewußt manipuliert worden sei, hält der AfD-Mann der ersten Stunde für ausgeschlossen. Zwei Zeugen wollen offenbar bestätigen, daß Kalbitz damals keine Angaben über seine Kontakte zur HDJ und zu den Republikanern gemacht habe. Kalbitz selbst gab an, er könne sich an den Vorgang vor sieben Jahren nicht mehr erinnern. Distanziert von seinen HDJ-Kontakten hat er sich nicht.

Auch für Julian Flak, Vorsitzender des AfD-Satzungsausschusses, steht fest: „Das allgemeine Zivilrecht und insbesondere die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Willenserklärungen gelten selbstverständlich auch in Parteien soweit nicht durch spezielle Regelungen anderes gilt.“ 

Eine solche findet sich aber im Parteiengesetz. „Ein Mitglied kann nur dann ausgeschlossen werden, wenn es vorsätzlich gegen die Satzung oder erheblich gegen Grundsätze oder Ordnung der Partei verstößt und ihr damit schweren Schaden zufügt“, heißt es in Paragraph 10 IV. Daraus leiten mehrere Parteienrechtler wie Martin Morlok und Sophie Schönberger die Unwirksamkeit des Parteiausschlusses ab. „Da versucht man, die strengen Regeln eines Parteiausschlußverfahrens zu umgehen“. Auch der Berliner Parteienforscher Oskar Niedermayer argumentiert: „Parteienrechtlich können Mitglieder nicht vom Parteivorstand aus der Partei geworfen werden, das ist Aufgabe eines Schiedsgerichts.“ Diese Regelung könne auch nicht umgangen werden, indem der Vorstand, statt den Parteiausschluß zu erklären, den Parteieintritt rückwirkend für unwirksam erklärt, so Morlok.  

Doch eindeutig ist die juristische Gefechtslage nicht. Der Jenaer Verfassungsrechtler Michael Brenner hält dagegen, stützt die Argumentation Flaks und Glasers. „Wenn jemand in eine Partei eintritt und dabei Entscheidungsrelevantes verschweigt, also Dinge, die dem Parteiwillen widersprechen, dann ist das durchaus ein Grund, parteischädigendes Verhalten anzunehmen und den Betreffenden aus der Partei auszuschließen.“ 

Kalbitz hat angekündigt, alle Rechtsmittel gegen seinen Rauswurf auszuschöpfen. Auf das AfD-Parteischiedsgericht wartet eine juristisch knifflige Aufgabe. Es kann sich den Vorstandsbeschluß inhaltlich zu eigen machen und den Parteieintritt von Kalbitz für nichtig erklären. Und es kann den Beschluß für nichtig erklären. In jedem Fall müssen die Richter ihr Urteil hieb- und stichfest begründen. 

Denn in der nächsten Instanz sind die Zivilgerichte zuständig. Auszuschließen ist es nicht, daß sie die Satzung unter Hinweis auf die Unvereinbarkeitsklausel teilweise für nichtig erklären. In Paragraph 2 VII wird das Verschweigen der Mitgliedschaft in einer als extremistisch eingestuften Organisation als „schwerer Schaden für das Ansehen der Partei“ gebrandmarkt. Nach dem Parteiengesetz obliegt diese Feststellung dem Schiedsgericht, gegen dessen Urteil Berufung möglich ist. Vielleicht wollten die AfD-Gründer um Bernd Lucke und Konrad Adam in guter Absicht ein langwieriges Ausschlußverfahren von extremistisch eingestellten Mitgliedern vermeiden und ihnen mit Hilfe der Satzung rasch den Stuhl vor die Tür setzen. 

Der Fall Kalbitz könnte sich noch monate- oder jahrelang hinziehen und sich damit als Bumerang zu den Zielvorstellungen der Parteigründer

erweisen. Abkürzen könnte eine solche Hängepartie ausgerechnet Kalbitz. Er könnte versuchen, den Vorstandsbeschluß per Einstweiliger Verfügung vor einem ordentlichen Gericht zu kippen. Was nicht ohne politisches Risiko ist. Er wäre im Erfolgsfall wieder AfD-Mitglied, vorläufig. Würde Kalbitz’ Antrag hingegen abgeschmettert – der mediale Effekt wäre verheerend. Denn die Entscheidung der Richter im einstweiligen Rechtsschutz weist oft darauf hin, wie der Streit in der Hauptsache ausgeht.

Andreas Kalbitz wollte Fragen der JF unter anderem zu seinem weiteren konkreten Vorgehen sowie zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen derzeit nicht beantworten. Für Alexander Gauland steht fest: „Entscheidend ist jetzt, wie es juristisch ausgeht“, sagte der Chef der AfD-Bundestagsfraktion der jungen freiheit. „Verliert Kalbitz, dann ist das so. Wenn er allerdings gewinnt, dann müssen sich einige warm anziehen in der Partei.“ Seine Co-Vorsitzende Alice Weidel ergänzte: „Die wichtigste Herausforderung ist es für uns, den Konflikt in der Partei aus der Bundestagsfraktion herauszuhalten.“ Was nicht leicht sein dürfte, denn am Rande der Zusammenkunft der AfD-Abgeordneten am Dienstag im Reichstag ging es natürlich auch um diese Personalie der Partei – erwartbar kontrovers.

Man könne „ei­ne sol­che Ent­schei­dung nicht tref­fen, oh­ne daß man sich auch Geg­ner schafft“, meinte Parteichef Meuthen in der FAS. Die Zu­stim­mung zum Vorgehen der Mehrheit des Bundesvorstands „über­wiegt in der Par­tei bei wei­tem“, ist sich Meuthen trotz der Empörung einiger sicher. Laut einer Forsa-Umfrage finden 51 Prozent der AfD-Anhänger den Kalbitz-Rauswurf richtig, 40 Prozent der Befragten halten ihn für falsch, neun Prozent sind unschlüssig. In den neuen Bundesländern seien indes 49 Prozent der AfD-Anhänger gegen und 42 Prozent für den Ausschluß. Im Westen dagegen goutiere eine deutliche Mehrheit von 56 Prozent den Schritt, während ihn 35 Prozent ablehnten. 

Informelles Treffen         der Länderchefs

Während allem Anschein nach die Idee eines Sonderparteitags vom Tisch ist, soll im Juni in Düsseldorf ein informelles Treffen stattfinden, an dem ausschließlich die hauptamtlichen Landeschefs zusammenkommen sollen. Nach Informationen der JF hatten die Ost-Landesverbände bei Gauland auf ein Treffen ohne Beteiligung des Bundesvorstands gedrungen. Der Ehrenvorsitzende bat dann den nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Rüdiger Lucassen darum, ein solches Treffen zu organisieren. Lucassen soll sich bereit erklärt haben; unter der Bedingung, nicht als westdeutsches „Feigenblatt“ zu fungieren, sondern alle Landesverbände einzuladen – als „Gleicher unter Gleichen“. Ziel sei es, den mit dem Kalbitz-Rauswurf verbundenen Dissens „zwangsfrei und ergebnisoffen“ zu diskutieren.