© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Flucht aus dem Rückzugsort
Jemen: Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und die Emirate befeuern lokale Rivalitäten
Marc Zoellner

Für Abed Mansur Hadi fand sich vergangenen Freitag, zum Ende des moslemischen Fastenmonats Ramadan, kein Grund zum Feiern: Hatte der jemenitische Präsident ursprünglich noch zum 30. Jahrestag der 1990 friedlich verlaufenen Wiedervereinigung, des seit 1967 geteilten arabischen Landes, zum großen Staatsempfang einladen wollen, blieb es stattdessen bei einer schlichten Fernsehansprache. Nach al-Mukallah, einer Hafenstadt im äußersten Osten des Jemen, mußte Hadi nur Tage vorher flüchten.

Anschließend fand er sich ausgesperrt. Nicht nur aus der jemenitischen Hauptstadt, der im Hochland gelegenen Millionenmetropole Sana‘a, die sich seit 2014 unter Kontrolle rebellierender Huthi-Milizen befindet – Ende April putschten auch eigentlich mit Hadi verbündete Kämpfer in der Hafenstadt Aden, der ehemaligen Hauptstadt der sozialistischen „Demokratischen Volksrepublik Jemen“, gegen das Staatsoberhaupt, um erneut ihren eigenen Staat zu proklamieren.

Mit Aden verlor der zur Flucht gezwungene Hadi über Nacht nicht nur seinen strategisch wichtigsten Überseehafen; seit dem Ausbruch des Bürgerkriegs von 2014 war die einstige britische Vorzeigekolonialstadt ebenso Sitz des jemenitischen Parlaments sowie der Regierung.

„Wir werden jegliche Anstrengung unternehmen, um den Staat wiederherzustellen und den Putsch und die Rebellion im Norden und Süden des Landes zu beenden“, drohte Hadi aus seinem Exil. Eine erste Offensive hatte das Staatsoberhaupt bereits anderthalb Wochen vorher gestartet. Seit dem 11. Mai rollen erneut Panzer; doch diesmal nicht in Richtung der Huthi-Gebiete, sondern zur Hafenstadt Aden.

Im angrenzenden Gouvernement Abyan versandete der Vorstoß bereits nach sechs Tagen. „Den Regierungstruppen gelang es nicht, nach Zindschibar vorzustoßen“, erklärte ein Sprecher des separatistischen „Southern Transitional Council“ (STC) im Interview mit der Nachrichtenagentur AFP. Die Hauptstadt Abyans dürften die Truppen Hadis „nur über unsere toten Körper betreten“.

Insgesamt hatten Hadis loyale Truppen in den wenigen Tagen der gescheiterten Offensive über zehn Gefallene sowie vierzig Überläufer zu beklagen. Im Vorfeld der Feierlichkeiten sah sich der Präsident zum zweiten Mal öffentlich gedemütigt: Denn während seine Truppen von Saudi-Arabien logistisch wie militärisch unterstützt werden, erfährt das STC die Rückendeckung der Vereinigten Arabischen Emirate. Beide Staaten wiederum sind jedoch Verbündete im Kampf gegen die vom Iran unterstützten Huthi-Aufständischen. Im Süden des Jemen fechten Riad und Dubai nun auf dem Rücken der jemenitischen Bürgerkriegsparteien neben ihrem Stellvertreterkrieg gegen den Iran ebenso einen um die Kontrolle der Hafenstadt Aden – sowie letztlich um die gesamte Republik Jemen. Und dies nicht zum ersten Mal, wie die Besetzung der jemenitischen Insel Sokotra durch Luftlandetruppen der VAE bereits im März 2018 verdeutlicht hatte (JF 33/19).

Beide Staaten setzen dabei auch auf die Unterstützung durch lateinamerikanische Söldner sowie örtliche Terrormilizen: Für Hadi kämpfen Hunderte Anhänger von „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AQAP) gegen die Huthi; diese wiederum werden von den Dschihadisten des „Islamischen Staats“ (IS) unterstützt.

Die Leidtragenden in diesem Konflikt bleiben die Zivilisten. Seit 2014 kamen über 25.000 Personen in Kampfhandlungen um, eine Viertelmillion wurde vertrieben. Über achtzig Prozent der gut 30 Millionen Jemeniten weisen Mangelerscheinungen bis hin zu akuter Unterernährung auf. Seit seiner Intervention von 2015 hat Saudi-Arabien ein totales Handelsembargo über den Jemen verhängt. Hinzu kommt jetzt der Ausbruch des Coronavirus.

Allein in Aden, so berichten vor Ort ansässige Hilfsorganisationen, seien in den letzten zwei Wochen knapp 70 Menschen an Covid-19 verstorben. Im bettelarmen Staat fehle es vom Mundschutz über Beatmungsgeräte an sämtlichen medizinischen Eindämmungsmöglichkeiten. „Die Situation ist extrem alarmierend“, mahnte Jens Laerke, der Sprecher des „Amts der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten“.