© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 23/20 / 29. Mai 2020

Falsche Sicherheit
Schlesischer Bergbau: Polnische Kohlearbeiter bangen um ihre Anstellung und um ihre Gesundheit
Paul Leonhard

Schlesien ist aktuell mit mehr als 6.000 Corona-Fällen (Stand 21. Mai), davon rund 1.000 Bergleute, die von der Pandemie meistbetroffene Woiwodschaft Polens. Die oberschlesischen Bergleute haben büßen müssen, daß die Regierung glaubte, das Coronavirus breite sich nicht unter Tage aus. Dort drohe keine Gefahr, da es zu warm sei, hieß es noch Ende März aus dem zuständigen Ministerium. Während ganz Polen strenge Sicherheitsvorkehrungen traf, durften die 90.000 Bergleute weiterhin in die Enge der Stollen. Lange Zeit wurden sie nicht getestet. Die Verantwortlichen der staatlichen Holding „Polska Grupa Górnicza“ (Kohlengesellschaft AG) stellten zur Verringerung des Infektionsrisikos bloß die Schichtpläne um.

Um die Schließung der Gruben zu verhindern, verschlossen die Gewerkschaften die Augen. Erst als nach verdächtigen Erkrankungen doch getestet wurde, kam das böse Erwachen: Schlesien hat inzwischen mehr Infizierte als Warschau. Hektisch testeten die Behörden Tausende Bergleute. Fünf der 30 Gruben wurden geschlossen, in anderen eine Vier-Tage-Woche ohne Lohnausgleich eingeführt. 

Die Stimmung im oberschlesischen Kohlerevier ist seitdem gereizt. Verschwörungstheorien machen die Runde: Etwa daß die gesamte Region gesperrt werden solle – was Gesundheitsminister ?ukasz Szumowski dementierte: „Niemand plant, Städte abzuriegeln, niemand plant, die Bewegungsfreiheit einzuschränken.“ Gemunkelt wurde, daß die Regierung die Pandemie nutze, um Gruben zu schließen. Schließlich ist die polnische Kohle teurer als die importierte. Aber die Energierversorgung des Landes beruht zu 80 Prozent auf Kohle. 2019 nutzte das Land 61,6 Millionen Tonnen Steinkohle und importiere nochmal 16,7 Millionen Tonnen.

Es geht um Zehntausende Arbeitsplätze. Kurz vor Ausbruch der Pandemie demonstrierten die Bergleute ihren Willen zum Widerstand, indem sie Gleise zu einem Güterterminal in Oberschlesien besetzten. Sie forderten eine Lohnerhöhung von zwölf Prozent und einen Importstopp für Kohle.

Aktuell werfen die Ende Juni anstehenden Präsidentschaftswahlen ihre Schatten voraus. Amtsinhaber Andrzej Duda, der um seine Wiederwahl bangen muß, twitterte: „In diesen Tagen sind wir alle aus Schlesien.“ Epidemiologisch sei diese Lage „sehr ernst“, konstatiert Gesundheitsminister Szumowski. Allerdings würden 95 Prozent der Infizierten keinerlei Krankheitssymptome entwickeln. Eine ähnliche Erfahrung wurde jenseits der Grenze gemacht. In einem tschechischen Untertagebau im mährisch-schlesischen Bad Darkau, einen Steinwurf von der Grenze entfernt, ergaben Tests, daß mindestens zehn Prozent der 860 Bergleute infiziert sind. Der Zustand der Betroffenen aus der Grube Darkov wird als symptomfrei oder sehr milde beschrieben.