© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Ein Stern verglüht
Umbenennung: Soldaten und Einwohner wollen den Namen der Marseille-Kaserne behalten, doch der neue Traditionserlaß kennt kein Pardon
Peter Möller

Wenn sich in zwei Jahren der Tod des als „Stern von Afrika“ berühmt gewordenen deutschen Fliegerasses Hans-Joachim Marseille zum achtzigsten Mal jährt, wird keine Kaserne der Bundeswehr mehr mit ihrem Namen an den Träger des Ritterkreuzes mit Eichenlaub, Schwertern und Brillanten erinnern. Denn die Umbenennung der Marseille-Kaserne im schleswig-holsteinischen Appen, in der die Unteroffiziersschule der Luftwaffe untergebracht ist, ist quasi beschlossene Sache. Der auch von den einstigen Gegnern geschätzte Jagdflieger, der bei 388 Einsätzen 158 Luftsiege erringen konnte, bevor er am 30. September 1942 in Ägypten abgeschossen wurde, paßt nicht mehr in das Traditionsverständnis der politischen Führung der Bundeswehr.

Spätestens nachdem die damalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) nach mehreren tatsächlichen beziehungsweise vermeintlichen Skandalen um die Erinnerungspolitik der Truppe anordnete, den von 1982 stammenden Traditionserlaß der Bundeswehr zu überarbeiten, ist die Zeit für den Namen Marseille abgelaufen. Die Bundeswehr müsse „nach innen und außen klar signalisieren, daß sie nicht in der Tradition der Wehrmacht steht“, gab Ursula von der Leyen vor drei Jahren die Richtung vor. „Wir verbannen zu Recht Wehrmachtshelme aus der Stube; doch am Tor der Kaserne stehen nach wie vor Namen wie Hans-Joachim Marseille oder Helmut Lent“, sagte sie damals auch mit Blick auf die nach dem 1944 verunglückten Nachtjäger Lent benannte Kaserne im niedersächsischen Rotenburg an der Wümme, die nun ebenfalls unbenannt werden soll. Beide Namensgeber seien nicht mehr sinnstiftend für die heutige Bundeswehr. „Sie gehören zu einer Zeit, die für uns nicht vorbildgebend sein kann.“

Der Name eines Mannes wie Marseille, dem seine Kritiker unter anderem vorwerfen, er sei von Hitler persönlich geehrt worden, steht nach Auffassung der Verantwortlichen dem heutigen Selbstverständnis der Bundeswehr im Wege. „Wir wollen ja, daß der Soldat sich Gedanken darüber macht, wofür er kämpft. Und das ist bei ihm eben nicht erkennbar gewesen. Und das können wir als Namensgeber und für unsere Traditionspflege der Luftwaffe nicht mehr nutzen“, sagte der Historiker des Kommandos Luftwaffe, Oberstleutnant Thomas Schmitz, dem NDR. Schmitz vertritt die Ansicht, daß bereits die Benennung der Kaserne nach Marseille im Jahr 1975 nicht mit dem damaligen Traditionsverständnis vereinbar gewesen sei und vermutlich mit der Wehrmachtsvergangenheit vieler Luftwaffenoffiziere von damals zusammengehangen habe.

Im Verteidigungsministerium wird indes nicht gerne darüber gesprochen, daß es auch drei Jahre nach dem Machtwort von der Leyens in der Truppe immer noch massiven Unmut über die geplanten Umbenennungen sowohl der Marseille- als auch der Lent-Kaserne gibt. Die Führung der Luftwaffe hatte den Kommandeur der Unteroffiziersschule nach der Vorgabe von der Leyens beauftragt, eine Umfrage zur Namensgebung zu starten. Das Ergebnis: Die Soldaten in Appen lehnten eine Umbenennung ab. Die Luftwaffenführung akzeptierte das Ergebnis. Ähnlich lief es bei einer Befragung in Rotenburg. 

Geraten Flieger des Ersten Weltkrieges ins Visier?

„Für mich als Historiker war das schon befremdlich, weil man von der Bewertung her auch den Traditionserlaß von 1982 schon anders hätte deuten können“, sagte Oberstleutnant Schmitz und kündigte an, daß es nun einen neuen Meinungsbildungsprozeß geben werde, „der aber nicht mehr die Entscheidung hat ‘Ich will oder ich will nicht umbenennen’, sondern der die Entscheidung herbeiführt: Welcher neue Name soll es sein? Die Entscheidung der Aberkennung ist längst getroffen.“

Einen Vorschlag für einen neuen Namen hat der Historiker in Uniform auch bereits parat: den des Kapitäns der legendären Lufthansa-Maschine „Landshut“, Jürgen Schumann, der 1977 bei der Entführung des Flugzeugs von Terroristen erschossen worden war. Vor seiner Karriere bei der Kranich-Airline war Schumann Starfighter-Pilot bei der Luftwaffe und während seiner Ausbildung auch in Appen stationiert.

Vermutlich leisten viele Soldaten in der Luftwaffe hinhaltenden Widerstand gegen die befohlenen Umbenennungen, weil sie ahnen, daß die nächste Welle bereits im Anmarsch ist. Denn wenn erst einmal die Namen der Kampfflieger des Zweiten Weltkrieges getilgt sind, dürften schnell die Namensgeber aus der Zeit des Ersten Weltkrieges, wie die Jagdflieger Manfred von Richthofen, Oswald Boelcke und Max Immelmann, ins Visier geraten. 

Denn trotz ihrer unbestrittenen militärischen Leistungen kann auch ihnen schnell das Diktum von der Leyens, daß die Betroffenen zu einer Zeit gehörten, die für die Bundeswehr nicht vorbildgebend sein könne, zum Verhängnis werden.