© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Brief statt Befehl
Bundeswehr: Post vom Chef der Elitesoldaten
Christian Vollradt

Daß sich die neue Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl (SPD), mit Verteidigungsfragen im allgemeinen und der Bundeswehr im speziellen zuvor noch nicht politisch befaßt hatte, ist hinlänglich erörtert worden (JF 20/20). Dennoch betrat die sicherheitspolitisch unbeleckte Politikerin am vergangenen Mittwoch vertrautes Terrain – wenn auch nur im örtlichen Sinne. Denn der Verteidigungsausschuß des Parlaments tagte diesmal ausnahmsweise im Fraktionssitzungssaal der SPD. Und so konnte die – zu dem Zeitpunkt noch gar nicht gewählte – „Anwältin der Soldaten“ manchen General und Admiral wie eine Hausherrin an alter Wirkungsstätte begrüßen. 

Ebenfalls bereits vor ihrer offiziellen Ernennung wurde Högl – als jemand im Dienst der Legislative – schon einem Gremium der Exekutive zugeteilt: Denn sie ist Mitglied der von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) ins Leben gerufenen Arbeitsgruppe , die innerhalb eines Monats prüfen solle, wie man das erneut in die Schlagzeilen geratene Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr „extremismusfest“ machen könne. Neben Högl sollen der Insititution auch Generalinspekteur Eberhard Zorn, der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Gerd Hoofe, Heeresinspekteur Alfons Mais, sowie KSK-Kommandeur Markus Kreitmayr angehören.

„Vorgesetzter wird zum    politischen General“

Dieser hatte vergangene Woche mit einem Brief an seine Untergebenen für Aufsehen gesorgt. Darin rief der Brigadegeneral allen Soldaten des KSK, die nicht für die Verfassung einträten oder „mit dem rechten Spektrum sympathisieren, klar, unmißverständlich und entschlossen zu: Sie verdienen unsere Kameradschaft nicht! Sie gehören nicht zu uns! Sie sollten aus eigenem Antrieb unseren Verband und die Bundeswehr verlassen! Tun Sie es nicht, werden Sie feststellen, daß wir Sie finden und entfernen werden!“

Anlaß für das ungewöhnliche Vorgehen eines Kommandeurs ist der Fall eines KSK-Soldaten aus Sachsen, bei dem Mitte Mai Waffen, Munition und Sprengstoff gefunden wurden, die teilweise aus Beständen der Bundeswehr stammen sollen. Der Oberstabsfeldwebel und ausgebildete Heeresbergführer war ins Visier des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) geraten und als Rechtsextremist beziehungsweise „Reichsbürger“ eingestuft worden. Der MAD informierte daraufhin das Landes-kriminalamt Sachsen. Seit der Razzia sitzt der Soldat in Untersuchungshaft.

Bislang wurde bereits gegen ein knappes Dutzend KSK-Angehörige wegen mutmaßlicher extremistischer Umtriebe vorgegangen. Vier Soldaten wurden dabei entlassen, weitere zudem verhaftet, versetzt oder disziplinarisch belangt. Gegenwärtig werden rund 20 Verdachtsfälle verfolgt. Bei sechs Unteroffizieren hatte sich ein Verdacht nicht bestätigt.

Für Kreitmayr sei der aktuelle Fall ein „schockierender Höhepunkt“. Soldaten wie der Beschuldigte hätten durch „ihre Nähe zur Bewegung der Reichsbürger oder ihre rechtsextremistische Gesinnung“ sowohl dem Ansehen des KSK als auch der ganzen Bundeswehr, aber auch jedem einzelnen Soldaten „ganz persönlich massiven Schaden zugefügt“.

Mindestens neunmal seit Ende 2018 war die in Calw stationierte Eliteeinheit Thema in den nichtöffentlichen Sitzungen des Verteidigungsausschusses. Mal ging es um aus dem Ruder gelaufene Abschiedsfeiern, um das Abspielen rechtsextremer Musik, die Zusammenarbeit mit sogenannten „Preppern“ oder vermeintlich existierende „rechtsextreme Netzwerke“ in der Truppe. Nahezu unisono richtet sich das Hauptaugenmerk der Parlamentarier dann auf Gesinnungsfragen – und nicht, wie eigentlich naheliegend auf die Frage, ob es unter den unter besonders hohen psychischen wie physischen Belastungen stehenden Soldaten möglicherweise vereinzelt, aber nicht in Gänze, disziplinarische Probleme gebe; und inwieweit die militärische und die politische Führung verantwortlich dafür sei. Eine schwache Führung, so sind Kritiker überzeugt, verstärke Probleme bei Moral und Disziplin der Truppe und begünstige Einzelfälle wie den des nun inhaftierten Soldaten. 

Während beispielsweise die Grünen das unionsgeführte Ministerium ausdrücklich in Schutz nahmen und die FDP den Brief des KSK-Kommandeurs „bemerkenswert“ nannte, kam harsche Kritik aus der größten Oppositionsfraktion: Das Schreiben giere „nach politisch-moralischer Absolution“, befindet der verteidigungspolitische Sprecher der AfD, Rüdiger Lucassen, gegenüber der JUNGEN FREIHEIT. In Wahrheit komme der Brief „einer Kapitulation gleich“, ist der Oberst a.D. überzeugt. „Kreitmayrs Soldaten haben einen Eid geschworen, an den sie sich zu halten haben.“ Mit dem Aufruf, „Soldaten des rechten Spektrums“ sollten die Bundeswehr verlassen, „stellt der Kommandeur diese Treuepflicht zur Disposition“, empört sich Lucassen. Er verletze „damit seine Pflicht als Vorgesetzter und wird zum politischen General. Diese eklatante Führungsschwäche bis hoch ins Verteidigungsministerium wird auf die betroffenen Soldaten abgewälzt.“

Noch 2017 hatte der MAD in einer Sonderinformation unter dem Titel „Meinungsstark, radikal oder extremistisch?“ mittels einer Graphik klargemacht, daß die Grenze zwischen  verfassungstreu und verfassungsfeindlich jeweils an der Grenze von radikal zu extremistisch verläuft und nicht zwischen der politischen Mitte und „rechts“. Doch diese Differenzierung scheint in der Truppe nicht mehr zu gelten, wie der Brief des KSK-Kommandeurs zeigt. 

„Die gewollte Ungenauigkeit mit dem Begriff ‘rechts’ entlarvt die politische Absicht der Bundesregierung“, kritisiert Verteidigungspolitiker Lucassen. „Mit der unzulässigen Gleichsetzung von ‘rechts’ und ‘rechtsextrem’ wird ein Framing geschaffen, das die AfD von vornherein diskreditiert. Menschen des bürgerlich-rechten Lagers sollte bewußt werden, daß damit auch viele ihrer Überzeugungen auf der Giftmülldeponie der Politischen Korrektheit landen.“

Aus Bundeswehrkreisen war zu hören, daß bei den Kommandosoldaten in Calw der Brief ihres Kommandeurs nicht besonders gut ankam. Ob sie bei möglichen Beschwerden über ihre Führung in der für solche Zwecke geschaffenenen Institution offene Ohren für ihr Anliegen finden, wird sich zeigen. Die neue Wehrbeauftragte machte ihre Prioritäten deutlich: Eva Högl rief noch vor ihrer Vereidigung am Donnerstag vergangener Woche zu einem stärkeren Engagement gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr auf.