© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Die Erzählung vom unterdrückten Schwarzen
Proteste in den USA: Nach dem gewaltsamen Tod eines Afroamerikaners überschatten Plünderungen und Gewalttaten die Demonstrationen
Lukas Mihr / Björn Harms

Die Vereinigten Staaten stehen in Flammen, in zahlreichen Bundesstaaten gilt der Ausnahmezustand. Der Tod des Afroamerikaners George Floyd gibt seit Tagen Anlaß zu Demonstrationen, schweren Ausschreitungen und Plünderungen. Mittlerweile haben zahlreiche US-Staaten die Nationalgarde mobilisiert, um die grassierende Gewalt einzudämmen. 

Wie konnte es dazu kommen? Am 25. Mai war George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota festgenommen worden, da ein Angestellter eines Geschäfts ihn beschuldigt hatte, gefälschte Einkaufsgutscheine verwendet zu haben. Der herbeigerufene Beamte stieß ihn zu Boden und drückte ihm das Knie für mehrere Minuten von hinten auf den Hals. Floyd, der – wie Videoaufnahmen belegen – mehrfach beklagte, nicht mehr atmen zu können, wurde daraufhin ohnmächtig. Doch der Beamte kniete weitere drei Minuten auf dem Hals des Unterlegenen – sogar noch, als seine Kollegen keinen Puls mehr feststellen konnten. Floyd verstarb kurze Zeit später im Krankenhaus.

Am Montag sprachen zwei unterschiedliche Autopsien – eine behördliche und eine von Floyds Angehörigen initiierte Untersuchung – von einem Tötungsdelikt („Homicide“), führten dieses aber auf unterschiedliche Ursachen zurück. Die inoffizielle Autopsie besagt, daß Floyd an „Erstickung durch anhaltenden Druck“ starb, als sein Hals und Rücken während seiner Verhaftung zusammengedrückt wurden. Der Druck habe den Blutfluß zu seinem Gehirn unterbrochen.

Die offizielle Untersuchung bestätigt hingegen einen Herz-Kreislauf-Stillstand infolge von „Druck auf den Nacken“. Floyd sei herzkrank gewesen und habe an Bluthochdruck gelitten. Außerdem seien bei ihm eine „Fentanylvergiftung“ sowie die vor kurzer Zeit erfolgte Einnahme von Methamphetaminen festgestellt worden. Beide Autopsieberichte betonen jedoch, keine rechtliche Einordnung zu geben. Dies sei Sache der Justiz.

Mehrere Polizisten wurden angeschossen

Der verantwortliche weiße Polizeibeamte Derek Chauvin, dem unverhältnismäßige Gewalt vorgeworfen wird, wurde später zusammen mit drei Kollegen, die vor Ort waren, vom Dienst suspendiert. Mittlerweile wurde er wegen Totschlags angeklagt. Dies konnte die Wut in weiten Teilen der schwarzen US-Bevölkerung jedoch kaum abmildern. Der Vorwurf: Immer wieder komme es zu rassistischer Polizeigewalt von weißen Beamten, dies sei nur der vorläufige Höhepunkt. 

In Minneapolis plünderten Schwarze zahlreiche Geschäfte und steckten Dutzende Gebäude in Brand, darunter auch mehrere Polizeiwachen. Der Bürgermeister der Stadt, Jacob Frey (Demokrat), griff zunächst nicht ein, sondern zeigte Verständnis: Die Proteste seien das Ergebnis „der aufgestauten Wut und Traurigkeit, die in unserer schwarzen Gemeinschaft nicht nur wegen fünf Minuten des Schreckens, sondern seit 400 Jahren tief verwurzelt ist“. Minnesotas Gouverneur Tim Walz rief schließlich den Notstand aus. Die Polizei setzte Tränengas ein, um nach Tagen der unkontrollierten Gewalt die Situation unter Kontrolle zu bekommen. Mittlerweile patroullieren 500 Nationalgardisten in der Stadt.

Doch damit nicht genug. Die Proteste griffen wie ein Flächenbrand auf alle Bundesstaaten über. Von Minneapolis bis an die Ostküste, von Texas bis zur amerikanischen Westküste – in mehr als 75 Städten brannten Gebäude. In Los Angeles errichteten Schwarze eine Straßensperre und schlugen die Scheiben der herbeigerufenen Polizeiwagen ein. In New York fuhren zwei Polizeiwagen durch eine Demonstrantengruppe. Ob dabei Personen verletzt wuden, ist unklar. In Portland, Oregon, und auch in der Hauptstadt Washington protestieren Tausende. Nahe Chicago kamen zwei Personen ums Leben, in St. Louis im US-Bundesstaat Missouri wurden bei Protesten nach Polizeiangaben vier Beamte von Schüssen getroffen. Auch in Las Vegas schoß ein Unbekannter einem Polizisten von hinten in den Kopf. Dieser schwebe nun in Lebensgefahr. In Richmond, Virginia, mußten zwei weitere Polizisten mit Schußverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert werden.

Immer wieder zeigen Videoaufnahmen wie Geschäfte restlos geplündert werden. Auch zahlreiche Linksextremisten sollen sich unter die mehrheitlich schwarzen Plünderer gemischt haben. Prügel bezogen laut den aufgetauchten Videos nicht nur Polizisten, sondern vereinzelt am Rande der Proteste stehende, unbeteiligte weiße US-Bürger. Gleichzeitig tauchten auch Bilder auf, die zeigen, wie eine Gruppe Afroamerikaner vereinzelte weiße Polizisten vor der Wut eines Mobs schützt.

Im ganzen Land heißt es, daß Schwarze unter dem ständigen Risiko leben würden, bei einem Polizeieinsatz getötet zu werden. Die Black-Lives-Matter-Bewegung („Schwarze Leben zählen“), die die landesweiten Protestmärsche verantwortet, wirft der Polizei seit 2013 vor, rassistische Morde zu verüben. Der frühere NFL-Quarterback Colin Kaepernick, eine Gallionsfigur der Bewegung, twitterte: „Wenn Höflichkeit zum Tod führt, ist Revolte die einzige logische Reaktion. Die Schreie nach Frieden werden auf taube Ohren stoßen, weil eure Gewalt diesen Widerstand hervorgebracht hat. Wir haben das Recht, uns zu wehren! Ruhe in ‘Power’ George Floyd.“ Auch weitere schwarze Prominente wie die Musiker Beyoncé und P. Diddy oder das Model Naomi Campbell äußerten ihre Wut, wenngleich weniger martialisch.

UN-Kommissarin: Tief verwurzelte Diskriminierung

Selbst die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet, vormals Präsidentin Chiles, schaltete sich in die Debatte ein. Sie sprach von einer „festverwurzelten und verbreiteten Diskriminierung“. Es müßten „ernsthafte Maßnahmen ergriffen werden, um solche Morde zu stoppen und Gerechtigkeit sicherzustellen, wenn sie geschehen“. 

Ohne Zweifel war der Polizeieinsatz gegen Floyd völlig unverhältnismäßig hart – das ist auf den Videoaufnahmen klar zu erkennen. Und doch geht die Anklage fehl, wenn sie US-Behörden strukturelllen Rassismus vorwirft. Denn das läßt sich kaum belegen.

Laut einer Zählung der Washington Post wurden seit Anfang 2015 insgesamt 2.412 Weiße und 1.262 Schwarze bei Polizeieinsätzen erschossen. Die meisten Todesopfer trugen eine Schußwaffe bei sich, gefolgt von Messern oder Schlagwaffen. Zwar wurden auch unbewaffnete Personen erschossen, doch mehrere von ihnen hatten die Beamten mit bloßen Händen angegriffen. Fast alle Toten waren kriminell oder durch den Einfluß von Drogen beziehungsweise durch psychische Krankheiten auffällig geworden. Unverdächtige Personen wurden nur in Einzelfällen durch die Polizei erschossen.

Verschiedene Studien widersprechen ebenfalls dem Narrativ einer übermäßigen rassistischen Gewalt von Polizisten gegen Schwarze. „Bei der extremsten Anwendung von Gewalt – Schießereien mit Beteiligung von Polizisten – finden wir keine rassischen Unterschiede, weder in den Rohdaten noch bei der Berücksichtigung kontextabhängiger Akteure“, heißt es in einer Studie der Harvard Universität und des National Bureau of Economic Research aus dem Jahr 2019.

Eine zweite Studie bezieht mit ein, daß Schwarze öfter Verbrechen begehen und kommt zum gleichen Schluß: „Wenn wir auch die Kriminalität berücksichtigen, finden wir keine systematischen Beweise für eine Anti-Schwarze-Ungleichheit bei tödlichen Schüssen oder tödlichen Schüssen auf unbewaffnete Bürger“, lautet das Ergebnis einer 2018 veröffentlichten Studie der Universitäten Michigan State und Maryland, die der Frage nachging: „Gibt es Beweise für rassische Unterschiede bei der Anwendung tödlicher Gewalt durch die Polizei?“

Medien konzentrieren sich jedoch auf die wenigen Fälle, in denen unbewaffnete Schwarze durch weiße Polizisten getötet wurden. Fälle mit weißen Todesopfern oder an denen ein schwarzer Polizist beteiligt war, finden keinen Weg in die Berichterstattung. Oft wird auch das Vorstrafenregister des Erschossenen verschwiegen. 2015 starb der Weiße Joseph Hutcheson, da ein Polizeibeamter ihm das Knie auf den Hals gedrückt hatte. 

Demokraten zeigen Verständniß

US-Präsident Trump verurteilte die Proteste scharf: „Diese Schurken entehren das Gedenken an George Floyd“, twitterte er unmittelbar nach Ausbruch der Gewalt im ganzen Land. Sollten die Bürgermeister und Gouverneure an den betroffenen Orten nicht für Sicherheit sorgen, werde er das Militär einsetzen. „When the looting start‘s, the shooting start‘s.“ (Wenn die Plünderungen beginnen, beginnt auch das Schießen.) Wenig später kündigte der Präsident an, die Antifa als Terrororganisation zu verbieten. Öffentlichkeitswirksam posierte er dazu am Montag mit einer Bibel in seiner Hand vor der St.-Johns-Kirche in Washington, die tags zuvor in Flammen aufgegangen war.

Der Gouverneur von Minnesota, Tim Walz (Demokrat) unterstrich unterdesen, er könne die Wut vieler Schwarzer verstehen, forderte sie aber zum Gewaltverzicht auf. Bezogen auf die Randalierer, erklärte er, etwa 80 Prozent von ihnen stammten aus anderen Bundesstaaten. Minneapolis’ Bürgermeister Frey sprach hingegen von „White Supremacists“, also weißen Rassisten, die für die Randale verantwortlich seien, belegte die Behauptung aber nicht weiter. 

Auch deshalb kritisierte Fox-News-Moderator Tucker Carlson am Montag die Ablenkungsmanöver von Medien und Politik. „Die Nation ging an diesem Wochenende in Flammen auf. Aber keiner der Verantwortlichen stand auf, um Amerika zu retten. Unsere Führer zauderten und  kauerten, und sie stellten sich offen auf die Seite der Zerstörer.“ 

Gerade Politiker der Demokraten hätten übermäßig Verständnis für die Proteste gezeigt, „in vielen Fällen haben sie sie angestachelt“, fügte Carlson hinzu. Die Polizei sei zur Zurückhaltung verdammt worden. „Später werden sie leugnen, all dies getan zu haben, und sie leugnen es jetzt. So brechen Nationen zusammen, wenn niemand im Staat für Ordnung sorgt.“