© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Mal ins Blaue gefragt
Meinungsforschung: Welche Richtung soll die AfD einschlagen? Ein Dauer-Streitthema, auf das es keine einfachen Antworten gibt
Christian Vollradt

Die AfD habe „die Aussicht, erwachsen zu werden“, rief am letzten Novembertag des vergangenen Jahres der damalige Noch- und jetzige Ehrenvorsitzende Alexander Gauland beim Braunschweiger Bundesparteitag in den Jubel der Delegierten und Gäste hinein. Wie anstrengend und manchmal geradezu unausstehlich für andere jedoch das Erwachsenwerden sein kann, wissen nicht nur entnervte Eltern pubertierender Kinder, sondern das er- und durchlebt auch die Mitglieder- und Wählerschaft der AfD nun hautnah. Gefühlsausbrüche. Stimmungsschwankungen. Mit Vernunft nicht immer erklärbare Verhaltensweisen. Selbstzweifel und -überschätzung. Ärger über Pickel – und der Trotz, wenn die Alten wieder mal ablehnend reagieren: „So wie die will ich ja eh nie werden ...“ Aber erfolgreich schon.

Tendenz eher in Richtung Mitte

Wie sehr sich die „AfD-Welt“ vom sonstigen politischen Universum dieses unseres Landes unterscheidet, läßt sich in einer aktuellen Umfrage der Meinnungsforscher von Insa im Auftrag der JUNGEN FREIHEIT ablesen. Beispielsweise  beim – allgegenwärtigen – Thema Corona: Nur jeden zehnten Befragten hat die AfD während der Pandemie mit ihren Positionen überzeugt, 61 Prozent lehnen diese dagegen ab. Bei ihren aktuellen Wählern jedoch kam die AfD damit auf Zustimmungswerte von immerhin fast 70 Prozent. Der Applaus der eigenen und die Buh-Rufe der anderen – sie verhalten sich wie kommunizierende Röhren und rangieren nahezu auf demselben Niveau. Differenzierter dagegen die potentiellen Wähler: Bei ihnen halten sich Zustimmung und Ablehnung zur Corona-Politik der AfD nahezu die Waage. 35 Prozent stimmen zu, 36 Prozent stimmen nicht zu. 

Was die künftige Positionierung der Partei im politischen Spektrum angeht, sind die aktuellen AfD-Wähler in ihren Präferenzen nahezu dreigeteilt: 30 Prozent sehen keinerlei Änderungsbedarf am Ist-Zustand. Ein Drittel (33 Prozent) meint, die AfD sollte sich eher in der Mitte verorten. Eher weiter rechts stehend wünschen sich 22 Prozent der aktuellen Wähler die Partei, elf Prozent hätten sie sogar lieber deutlich weiter rechts. Ein Ruck nach eher oder sogar deutlich weiter links kommt weniger gut an (ein beziehungsweise null Prozent). 

Bei den potentiellen Wählern, also  immerhin jenen aktuell sechs Prozent, die die Partei derzeit nicht, künftig aber vielleicht schon wählen würden, ergibt sich ein abweichendes Bild. Dort sieht zwar auch ein knappes Viertel (24 Prozent) keinen Änderungsbedarf in Sachen Positionierung. Bei der Option, die AfD „eher in der Mitte“ zu verorten, übertreffen indes die potentiellen Wähler die tatsächlichen um zehn Prozentpunkte: 43 von Hundert würden in dem Fall die AfD eher wählen. Bemerkenswert, daß immerhin 23 Prozent der potentiellen Wähler sich die Partei eher weiter rechts stehend wünschen. Eine Positionierung deutlich weiter rechts würde nur ein Prozent der möglichen AfD-Wähler bevorzugen.

Plakativ heruntergebrochen auf die zwei innerparteilichen Antipoden, zeigen sich große Unterschiede – je nach Nähe oder Ferne der Befragten zum blauen Kosmos. 21 Prozent aller Befragten stimmen der Aussage zu, daß es gut wäre, wenn sich der Parteiflügel um Jörg Meuthen gegenüber dem um Björn Höcke durchsetzen würde. 12 Prozent stimmen der These nicht zu. Eine große Mehrheit von 43 Prozent verhält sich zu der Frage indifferent („Weiß nicht“), immerhin 24 Prozent machen keine Angabe. Bei den aktuellen AfD-Wählern ist die Stimmung – fast – pari pari. Unter ihnen befürworten 29 Prozent, wenn sich das Meuthen-Lager gegen Höcke durchsetzen könnte; etwas mehr, nämlich 30 Prozent stimmen der Aussage nicht zu. Aber auch hier ist ein Drittel unentschieden. 

Auch bei den potentiellen Wählern sind 31 Prozent weder für die eine noch für die andere Seite. Aber hier lägen im innerparteilichen Kräftemessen Meuthen und seine Anhänger mit 39 Prozent vor dem Flügel um Höcke (20 Prozent). 

Daß der parteiinterne Richtungsstreit der AfD schadet, sehen 40 Prozent der Befragten so, nur elf Prozent stimmen dieser Aussage nicht zu. Bei den aktuellen Wählern sind 66 Prozent von den schädlichen Auswirkungen der internen Auseinandersetzungen überzeugt, 19 Prozent stimmen dem nicht zu. Besonders kritisch betrachten die potentiellen Wähler den internen Zoff. 73 Prozent von ihnen stimmen der These zu, daß der Richtungsstreit schädlich ist. Lediglich zehn Prozent stimmen dem nicht zu. 

Doch damit ist keineswegs gesagt, es komme lediglich darauf an, die Einigkeit in den eigenen Reihen zu beschwören. Vielmehr erwarten die Wähler offenbar Klarheit in der Richtungsfrage. „Dies enthält eine zweifache Botschaft: Erstens wünscht sich die Mehrheit der potentiellen AfD-Wähler erkennbar eine gemäßigtere Positionierung der AfD. Zweitens wünschen sie sich insofern eine Klärung des Kurses und dann ein Ende der innerparteilichen Polarisierung und Zerstrittenheit“, resümiert Insa-Chef Hermann Binkert aus den Daten seiner Umfrage. 

Seine Partei werde nicht wegen Personen, sondern wegen der drei Buchstaben A, f und D gewählt, meinte Senior Alexander Gauland einmal vor Jahren etwas zugespitzt. Für die Stammwähler trifft dies im Kern zu, ihnen kommt es nicht so sehr darauf an, wer das Menü serviert, sondern mehr, was es für Zutaten enthält. 56 Prozent der aktuellen Wähler sind die handelnden Personen unwichtig, 31 Prozent halten sie für wichtig. Anders bei den noch schwankenden: Für 51 Prozent der potentiellen Wähler sind die handelnden Personen wichtig, 41 Prozent halten sie für unwichtig. Die aktuellen Werte der AfD sind also weniger abhängig von Personen. Wenn die AfD ihr Potential aber ausnutzen möchte, muß sie – auch –  mit ihren Personen überzeugen. 

Inwieweit motivieren die derzeitigen AfD-Führungskräfte die Leute zum Kreuzchen bei der Partei oder halten sie – im Gegenteil – von der Wahl der AfD eher ab? Je nachdem. Auch hier unterscheidet sich die Geamtheit der Befragten stark von den aktuellen und den potentiellen Wählern der AfD. Mit acht Prozent erhält Parteichef Meuthen unter allen Befragten die meiste Zustimmung, die beiden Fraktionsvorsitzenden im Bundestag, Alice Weidel und Gauland, landen beide knapp dahinter mit jeweils sieben Prozent. Meuthens Co-Parteichef Tino Chrupalla kommt auf drei Prozent. Er ist allerdings auch der allgemein unbekannteste (33 Prozent kennen ihn nicht). Bei den AfD-Wählern motiviert Alice Weidel mit 56 Prozent am meisten, gefolgt von Gauland (52 Prozent). Meuthen kommt bei ihnen auf 41 Prozent, gleichauf mit Vize Beatrix von Storch. Auch bei den potentiellen Wählern hat Weidel die Nase vorn (39 Prozent), gefolgt von Gauland (37 Prozent) und Meuthen (36 Prozent). 

Und die Protagonisten der Parteirechten? Drei Prozent aller Befragten würde Björn Höcke zur Wahl der AfD motivieren, zwei Prozent Andreas Kalbitz. Dagegen bewirkt Höcke bei 32 Prozent das Gegenteil, ein Viertel lassen sich von Kalbitz abhalten, das Kreuz bei der AfD zu machen. 28 Prozent der aktuellen und 14 Prozent der potentiellen Wähler würden wegen Höcke AfD wählen. 18 Prozent der aktuellen und sogar 34 Prozent der potentiellen Wähler beeinflußt der Thüringer negativ. 

Leichte Verbesserung bei negativer Sonntagsfrage

In der schlagzeilenträchtigen Personalie Kalbitz differieren die Meinungen stark. Der Aussage „Ich befürworte, daß der AfD-Bundesvorstand die AfD-Mitgliedschaft von Andreas Kalbitz, rückwirkend für ungültig erklärt hat, weil er Mitgliedschaften in rechtsextremen Organisationen verschwiegen hat“ stimmen unter allen Befragten 42 Prozent zu. 14 Prozent lehnen die These ab. Ganz anders sehen das die derzeitigen AfD-Wähler. Hier stimmen 31 Prozent der Aussage zu, eine relative Mehrheit von 45 Prozent stimmt nicht zu. Von denen, die sich grundsätzlich die Wahl der AfD vorstellen könnten, befürworten 38 Prozent den Kalbitz-Rauswurf durch den Bundesvorstand. Ein knappes Viertel (24 Prozent) stimmt dem nicht zu, 34 Prozent antworten mit „weiß nicht“. 

In der aktuellen Sonntagsfrage geht es für die AfD etwas nach oben. Sie kommt bei Insa auf 10 Prozent und ist damit wieder zweistellig. Und auch in der sogenannten negativen Sonntagsfrage („Welche Partei können Sie sich grundsätzlich gar nicht vorstellen, zu wählen?“) hat sich die AfD leicht verbessert. Statt wie zuletzt 75 Prozent schließen aktuell  „nur“ noch 73 Prozent die Wahl der AfD grundsätzlich aus. Anfang Mai lag dieser Wert für die Partei bei 72 Prozent – bei seinerzeit 11 Prozent Zustimmung. Im August 2018 erreichte die AfD den zuletzt niedrigsten Wert von „nur“ 63 Prozent der Befragten, die sich grundsätzlich gar nicht vorstellen können, sie zu wählen. Seit dieser Zeit geht der Wert im Trend nach oben.

Ein halbes Jahr, nachdem Parteisenior Gauland der AfD einen weiteren Schritt zur Reife attesttierte, ist die Stimmung von jauchzend in betrübt gekippt: Zoff an der Parteispitze, Unruhe nach Flügel-Stillegung und Kalbitz-Rauswurf, das Damokles-Schwert einer möglichen Beobachtung durch den Verfassungsschutz … Alles Gründe, sich um die Einheit der Partei Sorgen zu machen. Die Ergebnisse der Umfrage für die JUNGE FREIHEIT zeigen, daß es „einfache Lösungen“ nicht gibt, daß es um den Ausgleich zwischen verschiedenen, auch einander widersprechenden Interessen von Zielgruppen geht. In der Pubertät ist eben ein feines Händchen gefragt. Herumkommandieren funktioniert nicht. Laufenlassen wäre fatal. 

(Grafiken siehe PDF)