© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Ungebrochen: Westeuropas progressiver Fundamentaltrend
Rechte Alternativen ohne Ziel und Richtung
(dg)

Was die Entwicklung gesellschaftlicher Werte angeht, so gibt es, wie der Schweizer Historiker Caspar Hirschi (Universität St. Gallen) bilanziert, im westlichen Europa seit Jahrzehnten nur noch eine Richtung: „von progressiv zu progressiver“ (Merkur, 5/2020). Für Großbritannien habe eine über dreißig Jahre laufende Längsschnittstudie gezeigt, daß Einstellungen zu Geschlechterrollen, Homosexualität, Ehe, Abtreibung und Sterbehilfe in allen Gesellschaftsschichten und Generationen „liberaler“ geworden sind. Dieser „progressive Fundamentaltrend“ habe sich parallel „zum Aufstieg des Rechtspopulismus“ sogar noch beschleunigt, da sich selbst die Akzeptanz von „Immigranten in einer Zeit rekordhoher Einwanderung markant erhöhte“. Wenn daher die Tories wie die CDU die „Ehe für alle“ einführen konnten, ohne daß sich das eigene Wahlvolk von diesen vermeintlich konservativen Parteien abwendete, lasse dies nur einen Schluß zu: „Dem klassischen Wertekonservatismus, der sich um Ehe, Familie und Kirche drehte, ist die soziale Basis bereits weggebrochen.“ Hirschi leitet aus dieser Schwäche des gesellschaftlichen Rückhalts die programmatische Hilflosigkeit rechter Bewegungen ab. „Ohne Ziel und Richtung“ zeigten sie nicht nur keine Alternativen zum Status quo auf, sondern blieben als „Empörungsvirtuosen“ in ihrer sterilen Anti-Haltung ständig vom politischen Gegner und den „progressiven Konfliktverschärfungen“ seiner medialen und universitären Hilfstruppen abhängig. Derart gebannt im „radikalen Verneinungsgestus“, stoße die „reaktionäre Gegenmoral des Gegenwartspopulismus“ in Westeuropa weitgehend ins Leere. 


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