© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Barocker Supermann
Sachsen und der starke August: Eine bis November gezeigte Sonderausstellung im Jagdschloß Moritzburg nahe Dresden spürt einem Mythos nach
Paul Leonhard

Der erneute Ausbruch der Pocken 1694 erweist sich für den Fürstensohn Friedrich August (1670–1733) als ein Glücksfall. Denn dieser hat vier Jahre zuvor dank seiner kräftigen Konstitution die meist tödlich endende Infektionskrankheit als 20jähriger überlebt, sein älterer Bruder, Sachsens regierender Kurfürst Georg IV., steckt sich dagegen am Sterbebett seiner Geliebten mit den Blattern an und stirbt. Damit steigt völlig unverhofft der Zweitgeborene vom Titularherzog zum regierenden Kurfürsten von Sachsen auf.

Es ist der Beginn des von 1694 bis 1763 andauernden Augusteischen Zeitalters. Benannt nach einer der schillerndsten Figuren barocker Prachtentfaltung und seinem Sohn. Für das Kurfürstentum, damals wirtschaftlich und kulturell hochentwickelt und der viertgrößte Territorialstaat im Heiligen Römischen Reich, und dessen Bewohner, vor allem aber für deren Nachkommen, sollte sich dieser überraschende Wechsel im Herrscherhaus als Glücksfall erweisen. 

Noch heute schwärmen traditionsbewußte Sachsen von ihrem Herkules, dessen vergoldetes Reiterstandbild auf dem Neustädter Markt in Dresden in der Sonne glänzt. Erzählen Großmütter ihren Enkeln und Touristenführer im breitesten Dialekt den Fremden, von schier unglaublichen Heldentaten und Eskapaden.

Hufeisen soll er mit seinen Pranken zerbrochen – was er sich per Zertifikat bestätigen ließ –, auf dem Eisengeländer der Brühlschen Terrasse in Dresden seinen Daumenabdruck hinterlassen und 365 Kinder gezeugt haben. Und was heute in Elbflorenz als Barock bewundert werden kann, ist nach seinen Träumen gebaut. Denn nur der höfische, aber kaum etwas vom bürgerlichen Barock, ist – abgesehen von Bährs Frauenkirche – nach den Terrorangriffen der Anglo-Amerikaner 1945 wieder aufgebaut worden. Die SED wollte keine Erinnerungen an selbstbewußte Stände und Bürger, mit Augusts Pracht aber konnte sie die Sachsen einlullen.

„Mythos August – Geschichte. Macht. Ihr“ nennt sich hintersinnig eine Sonderschau, die eingebettet in die ständige Barockausstellung des nahe Dresden gelegenen Jagdschlosses Moritzburg die Legenden um den bekanntesten Sachsen-Herrscher näher beleuchtet. Die Kuratoren wollen die sich um den starken Wettiner rankenden Geschichten nicht etwa wissenschaftlich oder historisch widerlegen, sondern ihnen im Gegenteil neues Leben einhauchen, wenn auch mit einem Augenzwinkern. So steht der Kurfürst als „Landesvater, Baulöwe, Kunstmäzen, Ladykiller, Salonlöwe, Hufeisenverbieger, Polenkönig“ mit „mittlerweile fast schon Superman-Qualitäten“ – wie es auf dem Ausstellungsflyer heißt – im Mittelpunkt einer Schau, deren besonderer Reiz ist, daß sie ihre Exponate und Installationen einfach frech in die historischen Räume plaziert.

Zu DDR-Zeiten gefertigte Möbel aus Hellerauer Serienproduktion stehen so in einem Raum mit vergoldeten Ledertapeten aus dem 17. Jahrhundert und einem verzierten Barockkamin. Und in einem Röhrenfernsehgerät flimmert die Fernsehserie „Sachsens Glanz und Preußens Gloria“, die das Heimatbild einer ganzen Generation bestimmt hat. Wer nebenan einer Dame unter den Rock schaut, erfährt, wie viele der ihm vom Volk angedichteten 365 Kinder August tatsächlich hatte beziehungsweise zu wie vielen er sich bekannte: acht. Sie wurden Ritter, Grafen, Prinzessinnen, einer sogar Generalmarschall von Frankreich.

Und da sind die Mätressen des Herrschers. Ihre Büsten stehen auf unterschiedlich hohen Säulen, deren Höhe die zeitliche Dauer der Liebschaft anzeigt. Mit der Wirtin Henriette Rénard-Duval, der Tochter eines französisch-polnischen Weinhändlers, zeugte er eine Tochter, mit der Türkin Fatima – einer „Kriegsbeute“ aus dem Türkenkrieg  – zwei weitere. 

Erinnerungen an Sachsens Glanz

Am längsten hielt er es mit der Schönsten, Klügsten und Machtbesessensten von ihnen aus, mit Gräfin Anna Constantia von Brockdorff. Diese ließ sich ein schriftliches Eheversprechen geben, griff zur Macht und wurde letztlich als Gräfin Cosel – Kraszewski, der Vater des polnischen Romans, hat ihr ein literarisches Denkmal gesetzt – genauso bekannt wie August, von dem sie letztlich für 49 Jahre in Isolationshaft auf die Burg Stolpen verbannt wurde.

Wer kennt dagegen heute noch Christiane Eberhardine Prinzessin von Brandenburg-Bayreuth, des Fürsten Angetraute, die für die polnischen Untertanen immer lediglich die Gemahlin des Königs bleibt, weil sie als überzeugte Protestantin den 1697 aus politischen Gründen erfolgten Übertritt des Gemahls zum Katholizismus ablehnt und so auch keine Königin von Polen wird.

Der Griff zur Krone bringt Sachsen, bis dahin ein prosperierendes Land, an den Rand des wirtschaftlichen Ruins. 39 Millionen Reichstaler kostet es, den polnischen Adel zu bestechen. Überdies bleibt das sich von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer erstreckende polnisch-litauische Königreich, zumal in Teilen von den Türken besetzt, ein Unruheherd. Friedrich August I. von Sachsen  verliert die Krone, gewinnt sie wieder, scheitert mit dem Versuch, aus der polnischen Wahl- eine Erbmonarchie für die Wettiner zu machen. 

Das alles haben die Nachfahren seiner einstigen Untertanen vergessen. Sie erinnern sich lieber an „Sachsens Glanz“, an all die prächtigen Feste, an das als „Spektakel des Jahrhunderts“ in die Geschichtsbücher eingegangene Zeithainer Lustlager mit 48 geladenen europäischen Fürsten, an die Hochzeit seines Sohnes. Weniger bekannt ist, daß August II. auch die Finanzen neu ordnet, die erste Staatsbank im deutschen Raum gründet, eine Landeslotterie errichtet, den Gregorianischen Kalender einführt, das Land neu vermißt, das Heer nach preußischem Vorbild reformiert und schließlich 26 Manufakturen gründet, deren bedeutendste die Meißner Porzellanmanufaktur wird.

Im Alter von 62 Jahren stirbt er in Warschau nach einem Schwächeanfall. Sein Herz – und auch das erzählen die Dresdner gern – wird in einer silbernen, innen vergoldeten Kapsel an die Elbe gebracht und findet seinen endgültigen Platz in der Stiftergruft der Katholischen Hofkirche.

Die Sonderausstellung „Mythos August – Geschichte. Macht. Ihr.“ ist bis zum 1. November im Schloß Moritzburg, Schloßallee, täglich von 10 bis 18 Uhr zu sehen. Telefon: 03 52 07 / 873-18

 www.schloss-moritzburg.de