© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Corona-Krise. Den Primat der Politik behauptet
Ungeahnte Handlungsmacht
(wm)

Für die praktische Philosophie an der HU Berlin lehrende Rahel Jaeggi hat die Corona-Pandemie die Bundesrepublik zu einem „Umschlagpunkt“ geführt. Das sei nun der Moment, an dem sich die „Krise einer Lebensform“ entscheide. Das Virus habe nicht nur offenbart, daß die strukturellen Defizite eines neoliberal auf Profit ausgerichteten, kaputtgesparten Gesundheitswesens der Corona-Herausforderung nicht gewachsen gewesen seien. Die Lehre aus diesem Versagen sollte auch für andere öffentliche Güter wie Bildung, Kultur und Wohnen gezogen werden, um eine „breite und radikale gesellschaftliche Diskussion über das Verhältnis von Staat, Markt und Formen der Vergesellschaftung des Eigentums“ zu führen. Die These des sich selbst regulierenden Marktes habe sich jedenfalls als reine Ideologie erwiesen. Darin sieht auch der Soziologie Hartmut Rosa (Jena) den wichtigsten Corona-Effekt: Die gern „alternativlos“ Regierenden könnten ihre katastrophale Politik nicht länger damit rechtfertigen, daß sie ohnmächtig nur den Gesetzen der anonymen Macht „Globalisierung“ gehorchen (Philosophie Magazin, 4/2020). Grenzen können plötzlich geschlossen werden, und das Märchen, der Primat der Politik lasse sich gegen die Eigenlogik der Finanzmärkte nicht durchsetzen, glaube nach Monaten der Demonstration „ungeahnter politischer Handlungsmacht“  niemand mehr. 


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