© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Berijas Mörderbanden warteten schon
Kosaken-Tragödie an der Drau: Wie die Briten Tausende in den sibirischen Lagertod schickten
Reinhard Olt

Aus allen von Politik und Medien nahezu unisono im Gedenken an das Weltkriegsende vor 75 Jahren verwendeten „Befreiungs“-Narrativen blieb ein weiteres düsteres Kapitel ausgespart: die Auslieferung Tausender in Ost-Tirol gestrandeter Kosaken und Kaukasier an die Sowjets durch die Briten. Militärische Gruppierungen der Kosaken erreichte die Nachricht von der bevorstehenden Kapitulation und der damit verbundenen Gefahr auch für die  Angehörigen der Soldaten, die sich seit 1944 in ihren im norditalienischen Friaul südlich von Udine angelegten Stanitzen (ihren traditionellen Siedlungsgemeinschaften) aufhielten. Rasch brachen sie auf, um sich – bedrängt von italienischen und vor allem jugoslawischen Partisanen, gegen die sie vorwiegend eingesetzt waren, im Alpenraum in Sicherheit zu bringen. 

Die Kosaken-Regimenter unterstanden General Timofej Domanow, in den Stanitzen befanden sich neben Alten, Frauen und Kindern die Atamane (gewählte Führer) Pjotr Nikolajewitsch Krasnow und Wjatscheslaw Naumenko, ehedem zaristische Generäle und Kommandeure antikommunistischer Truppen („Weißen“) im Bürgerkrieg nach der Oktoberrevolution 1917. 

Der in die Wehrmacht eingegliederten „Russischen Befreiungsarmee“ (ROA) Wlassows gehörten zudem die aus Georgiern, Tschetschenen, Osseten, Kalmüken bestehenden Legionen unter General Sultan Girej mitsamt Troß aus Frauen, Kindern und Alten an. Anfang Mai schlugen sich gut hunderttausend Menschen mitsamt Tausenden Pferden über Dolomiten und Karawanken durch und wähnten sich im Tal der Drau in Sicherheit. Ebenso wie das von General Helmuth von Pannwitz befehligte XV. Kosaken-Kavalleriekorps sowie mit diesem und anderen Wehrmachtseinheiten zurückweichende Kroaten, Slowenen, Serben und Montenegriner, die vor Titos Partisanenarmee nach Norden flohen (JF 21/20). Bemerkenswert war, daß der Deutsche von Pannwitz Anfang 1945 auf einem „Allkosaken-Kongreß“ zum „Obersten Feldataman aller Kosakenheere“ gewählt worden war, ein Rang, den seit 1835 als Nicht-Kosake stets nur der Zarewitsch (Sohn des Zaren) innehatte.

Deutsche Offiziere ließen die Kosaken nicht im Stich 

Die 78. britische Infanteriedivision unter Generalmajor Robert Arbuthnott hatte noch auf friulanischem Gebiet  Kontakt mit den Kosaken aufgenommen. Brigadegeneral Geoffrey Musson von der 36. Infanteriebrigade wies ihnen in Ost-Tirol ihren Verfügungsraum zu. Den Atamanen sicherte die britische Militärführung zu, daß sie „keinesfalls den Sowjets überstellt“ würden, „die verschworenen Feinde des Kommunismus“ seien „den Westalliierten sehr willkommen“. Dem Korps unter von Pannwitz wiesen die Briten in Kärnten den Raum nördöstlich von Klagenfurt zu.

Während das äußerlich faire Verhalten der Briten alle Sorgen um die Zukunft zerstreute, vereinbarten die Stäbe des V. Britischen Korps und der 57. Sowjetischen Armeegruppe am 24. Mai in Wolfsberg in Kärnten, daß alle Kosaken und Kaukasier „in Judenburg den Russen übergeben werden“. Als die Nachricht von der „Repatriierung“ bekannt wurde, spielten sich erschütternde Szenen ab. Männer brachten ihre Frauen und Kinder um und begingen anschließend Selbstmord: „Lieber sterben“ wollten sie, als „den Sowjets in die Hände fallen“, hieß es in einer von den Heerführern unterzeichneten Petition an König Georg, die britische Regierung, den Papst und die Weltöffentlichkeit, „wir ziehen eher den Tod vor, als daß wir nach Sowjetrußland zurückkehren, wo wir zur langen und systematischen Vernichtung verdammt sind.“ Die Atamane sowie 1.800 Kosaken-Offiziere hatte man dem Schein nach zu „Verhandlungen“ nach Spittal an der Drau „eingeladen“; stattdessen nahmen sie Soldaten der Roten Armee auf der Brücke über die Mur in Judenburg in Empfang, der Demarkationslinie zwischen britischer und sowjetischer Besatzungszone. Lediglich von Pannwitz und seinen 600 deutschen Begleitoffizieren gestanden die Briten zu, in ihrer Gefangenschaft zu verbleiben, was diese aus Fürsorgeverpflichtung gegenüber ihren unterstellten Soldaten jedoch ablehnten. 

Sogleich kamen die in den Lagern Verbliebenen an die Reihe. Es wurde geschossen, während man sie zusammentrieb. In Panik erdrückten oder trampelten Menschen einander zu Tode. Frauen sprangen in die nahe Drau, nahmen ihre Kinder mit in die reißende Flut. Der 1. Juni 1945 dürfte mehrere hundert Kosaken das Leben gekostet haben. Mitte Juni waren mehr als 22.000 Kosaken und Kaukasier der Sowjetarmee überstellt, davon mindestens 3.000 „Altemigranten“, mithin im Zuge der Oktoberrevolution Emigrierte und deren Nachkommen, die nicht einmal aufgrund der Übereinkunft der „Großen Drei“ in Jalta hätten „repatriiert“ werden dürfen, geschweige denn nach Haager Landkriegsordnung respektive Genfer Konvention. 

In einem von dem Grazer Historiker Stefan Karner während seiner Studien in den nicht allzu lange zugänglichen Moskauer Sonderarchiven ans Licht gehobenen „streng geheimen Bericht“ ist von 42.913 „Heimatverrätern“ die Rede, die allein zwischen 28. Mai und 7. Juni 1945 „aus den Händen der Briten übernommen wurden“. Das Dokument unterschied (lediglich) zwischen zwei Nationalitäten: 42.258 Russen und 655 Deutschen. Die Aufschlüsselung nennt 16 Generäle (15 russische, ein deutscher, nämlich v. Pannwitz) und 1.410 Offiziere (1.272 russische, 138 deutsche) sowie weitere 38.496 Männer, 2.972 Frauen und 1.445 Kinder. Am 15. Juli 1945 waren die „Transferaktivitäten“ abgeschlossen, wie die britische Militärverwaltung in Judenburg der damaligen Sprachregelung entsprechend die Vorgänge nannte.

Massenhafter Tod in den sowjetischen Gulags

Viele der Kosaken-Offiziere wurden entweder sogleich im Judenburger Stahlwerk, wo man sie zunächst festhielt, oder am Sammelplatz in Graz von Angehörigen sowjetischer Sondereinheiten liquidiert. Dagegen wurde den Heerführern und Atamanen, die über Wiener Neustadt nach Moskau flogen, der Prozeß gemacht. Das Urteil stand nicht nur wegen „Vaterlandsverrats“ von vornherein fest, sondern auch weil es sich um „Weiße“ handelte. Darauf spielte schon die „streng geheime Mitteilung“ des Chefs der NKWD-Gegenaufklärung „Smersch“, Wiktor Abakumow, an Innenminister Lawrentij Berija vom 16. Juni 1945 an, wonach „die Engländer Ende Mai auf dem Territorium Österreichs zwanzig Weißgardisten – die Führer des weißen Kosakentums, die einen aktiven Kampf gegen die Rote Armee geführt hatten – an das sowjetische Kommando übergaben, worauf diese von uns arrestiert und der Hauptverwaltung überbracht wurden“. 

Karner publizierte auch das direkt an Stalin, Außenminister Molotow und Berija übermittelte Protokoll Abakumows über seine persönlich durchgeführte Vernehmung der in der Moskauer Lubjanka Inhaftierten. Am 16. Januar 1947 gab Radio Moskau, tags darauf das Parteiorgan Prawda den Urteilsspruch bekannt, „den das Militärkollegium des Obersten Gerichts der UdSSR im Prozeß gegen die ehemaligen Generale der Weißen Armeen Krasnow P.N., Schkuro A.G., Sultan Keletsch-Girej, Krasnow S.M., Domanow T.I. sowie den deutschen General Helmuth von Pannwitz gefällt hat, die wegen Diversions- und Spionagetätigkeit sowie Beteiligung an einer Organisation zum bewaffneten Kampf gegen die UdSSR angeklagt waren. Alle Angeklagten bekannten sich schuldig. Aufgrund Artikel I des Ukas des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 19. April 1943 wurden alle Angeklagten zum Tod durch den Strang verurteilt. Das Urteil wurde vollstreckt.“  Hingerichtet wurden sie am 16. Januar 1947 im Keller der Lubjanka. 1996 rehabilitierte die russische Militärstaatsanwaltschaft Helmuth von Pannwitz.

Die „Repatriierten“ und das deutsche Rahmenpersonal der vormaligen Militärverbände verbrachte man in unwirtliche Gebiete Sibiriens, wie etwa zum Kältepol Workuta, wo die Sterblichkeitsrate besonders hoch war. 807 der in Judenburg übergebenen Frauen und Kinder konnte Karner im „Speziallager 525/9“ in Kemerowo bei Tomsk nachweisen. Für den 1. Oktober 1945 weist das NKWD-Lagerbuch von den insgesamt 17.330 Gefangenen 3.540 als „Wlassow-Leute und weiße Emigranten“ aus. Am 1. September 1946 registrierte die Lagerverwaltung noch 1.188 „Wlassow-Leute“ und 372 internierte Frauen. Selbst in NKWD-Darstellungen ist von „schrecklichen Lebensbedingungen“ die Rede; dementsprechend die Sterblichkeitsrate. Viele dürften die Strapazen nicht überlebt haben.