© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 24/20 / 05. Juni 2020

Mehr versprochen als gehalten
Forscher in der „Grünen Gentechnik“ suchen weiterhin nach der ökologisch nachhaltigen Wunderpflanze
Dieter Menke

Vor 24 Jahren verwendeten US-Farmer auf 400.000 Hektar erstmals gentechnisch verändertes (gv) Saatgut – voriges Jahr waren es in God’s Own Country bereits 72,5 Millionen Hektar: 100 Prozent der Zuckerrüben und des Rapses, 98 Prozent der Baumwolle, 94 Prozent des Sojas und 92 Prozent des Maises waren laut Angaben des National Agricultural Statistics Service gv-Pflanzen. Auch auf zig Millionen Hektar in Brasilien, Argentinien, Indien, Kanada oder China ist die „Grüne Gentechnik“ nicht mehr wegzudenken.

In Europa und speziell in Deutschland hat Genfood einen schlechten Ruf. In Umfragen sprechen sich stets stabile 60 bis 70 Prozent mehr oder weniger vehement gegen den Anbau von gv-Pflanzen aus. Beeinflußt ist Volkes Stimme dabei von der negativen medialen Aufbereitung dieses Konfliktthemas. Seit Jahrzehnten begleiten die Gentechnik Schreckensmeldungen über jene Gefahren, die von den Produkten ihrer Hexenküchen für die menschliche Gesundheit und das ökologische Gleichgewicht der Natur ausgehen.

Forscher und Medien im heftigen Meinungsstreit

Für den Kieler Botaniker Frank Kempken grenzt das an Irreführung der Öffentlichkeit durch Journalisten und Politiker. Was immer an Horrornachrichten Ängste weckte – von giftigen gv-Kartoffeln über die Krebserkrankungen bei Ratten, die gv-Futter fraßen, bis hin zu den Sicherheitsbedenken, die 2009 zum EU-Anbauverbot der Maissorte Mon810 führten, die gegenüber einem Schädling, dem Maiszünsler, resistent sein sollte – nach Kempkens Ansicht entladen sich in solchen Alarmmeldungen nur wissenschaftlich substanzlose Vorurteile. Es gebe „keinen einzigen belastbaren Beleg für einen Zusammenhang zwischen Krebs und gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln“ (Spektrum der Wissenschaft, 4/20).

In einer Metastudie von 2014 hätten Forscher der staatlichen Universität Perugia (Umbrien) 1.783 Einzelstudien zu dieser vermeintlichen Kausalität ausgewertet und nicht den geringsten Hinweis auf Gesundheitsrisiken durch „Genpflanzen“ gefunden. Trotzdem würden hypothetische Risiken die Debatten beherrschen, während die Vorteile kaum zur Sprache kämen. So habe der Anbau von Bt-Pflanzen, die infolge eines gv-Eingriffs Gifte des Bodenbakteriums Bacillus thuringiensis herstellen und so Resistenzen gegenüber bestimmten Insekten entwickeln, bewirkt, daß Bauern in Amerika, im Sudan und in Südafrika, in Asien oder Australien erheblich weniger giftige Insektizide ausbrachten.

Ein anderes Ziel grüner Gentechnik seien Kulturpflanzen, die starke Trockenheitstoleranz und optimalen Ertragsreichtum kombinierten. Inzwischen bauten außerhalb Europas 17 Millionen Landwirte in 26 Ländern gv-Pflanzen auf 192 Millionen Hektar an. Weltweit seien 70 Länder Nutznießer der durch das Genome-Editing-Verfahren „revolutionär“ verbesserten Gentechnik (Crispr-Cas) – entweder indem sie solche Gewächse selbst anbauen oder importieren. Mit einem europäischen Gesinnungswandel rechnet Kempken dennoch nicht. Für Crispr-Cas gebe es zu hohe EU-Hürden.

Wie eingeschränkt die Forschung ist, schildert Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Entwicklungsbiologie in Tübingen. Um die erforderlichen Dokumente für einen einzigen Freilandversuch mit einer gv-Pflanze zusammenzutragen, benötige ein promovierter Wissenschaftler etwa ein Jahr. Das sei ein Aufwand, der de facto einem Verbot gleichkomme. Und somit einen Standortnachteil bedinge, der Deutschland und der EU wissenschaftlich und wirtschaftlich schade. Brüssel verbiete grüne Gentechnik, erlaube jedoch den Import von gv-Futtermitteln, allen voran 35 Millionen Tonnen gv-Soja.

Längst fester Bestandteil des deutschen Alltags

Damit auch in Deutschland erzeugtes Fleisch, Eier und Milchprodukte sind fester Bestandteil der täglichen Nahrung. Auch gängige Zusatzstoffe wie Glutamat, Cystein oder das Vitamin B12 stammen aus gentechnischer Produktion. Ende 2019 waren zudem 278 Arzneimittel mit 228 verschiedenen gentechnisch produzierten Wirkstoffen zugelassen – und vielleicht kommt eine rettende Sars-Cov-2-Impfung oder Covid-19-Therapie aus einem „Genlabor“.

Das gv-Saatgut von Weltkonzernen wie Bayer-Monsanto, DuPont oder Syngenta ist auf den Feldern der EU-Länder zwar weitgehend untersagt, aber bei verarbeiteten Lebensmitteln, Konserven und Tiefkühlware muß der Hersteller nicht verraten, woher seine Rohstoffe kommen. So stammt inzwischen Tomatenmark meist aus China. Nur bei frischem Obst, Gemüse, Fisch oder Fleisch sind genaue Herkunftsangaben vorgeschrieben. Auch gv-Enzyme in Waschmitteln oder entsprechend behandelte Baumwolle in Textilien sind längst Teil des Verbraucheralltags.

Allerdings verlaufen die Fronten zwischen Freunden und Feinden des technologischen Fortschritts keineswegs so messerscharf, wie es scheint. Das zeigt sich in einem Streitgespräch zwischen dem Max-Planck-Direktor Detlef Weigel und dem Biologen Christof Potthof. Letzterer ist für den 1986 gegründeten Berliner Verein Gen-ethisches Netzwerk (GeN) tätig, der sich vorgenommen hat, „den Anbau von genetisch verändertem Saatgut in Deutschland und global zu verhindern“ und für eine „nachhaltig ökologische Landwirtschaft in einer gerechten und diskriminierungsfreien Gesellschaft“ zu kämpfen.

Zur linksgrünen Weltrettungsphraseologie meldet Weigel keinen Widerspruch an. Auch er will „eine nachhaltige Landwirtschaft auf die Beine stellen“. Aber dafür müsse man „möglichst viel Chemie durch Genetik ersetzen“. Die dagegen bemühten, unpräzisen Verweise Potthoffs auf Gesundheitsrisiken, gestützt auf fragwürdige Fütterungsstudien und methodisch unsaubere Unbedenklichkeitserklärungen, in denen von Hühnern auf Menschen geschlossen werde, bügelt Weigel aber souverän ab. Er erinnert an die zahllosen „Un- und Halbwahrheiten“ jener Gentechnikkritiker, die sich, wie der lange in Kampagnen gegen „Genmais“ aktive französische Molekularbiologe Gilles-Éric Séralini (Université de Caen-Normandie), als Scharlatane entpuppt hätten.

Potthoffs stärkstes Argument kann der Tübinger Pflanzenforscher jedoch nicht parieren: Die Grüne Gentechnik sei an ihrem schlechten Ruf selbst schuld, weil sie mehr verspreche als sie halte. Denn, so versichert Potthoff, gegen eine gute gv-Pflanze, die mehr Ertrag bringe, die trockentolerant sei und keine Herbizid- und Pestizidbehandlung brauche, hätte er gar nichts einzuwenden. Nur, ausweislich des Studium einiger hundert Dossiers über einschlägige Gewächse, sehe er nicht, wo diese Wunderpflanze je den Sprung auf den Markt schaffte: „Bis jetzt fällt das alles sehr dürftig aus.“ Und wenn es nun heiße, Genome Editing „ändert plötzlich alles“, sollte man skeptisch bleiben und konkrete Ergebnisse abwarten.

 www.gen-ethisches-netzwerk.de

 www.eb.tuebingen.mpg.de/de

 www.bot.uni-kiel.de