© JUNGE FREIHEIT Verlag GmbH & Co. KG www.jungefreiheit.de 25/20 / 12. Juni 2020

Reih’ dich ein, Genosse!
Die CDU und die Tradition des 17. Juni: Aus Machtkalkül allen Ballast abgeworfen
Jörg Kürschner

Wer kennt heute noch die Namen von Max Fettling oder Paul Othma, zwei mutigen Streikführern in Ost-Berlin und Bitterfeld, die sich am 17. Juni 1953 mit Hunderttausenden gegen die SED-Diktatur erhoben und für Freiheit und Demokratie gekämpft haben? Der Versuch der DDR-Führung, den Arbeiteraufstand gegen die Normerhöhungen als „faschistischen Putschversuch“ umzudeuten, hat nie überzeugt, auch wenn ihn einige Linksintellektuelle wie etwa Bertolt Brecht in dümmlichen Ergebenheitsadressen nachplapperten.

Dieser dreisten Geschichtslüge wurde alljährlich am 17. Juni, dem „Tag der Deutschen Einheit“, im Bundestag widersprochen, der in einer Feierstunde an die brutale Niederschlagung des Aufstands erinnerte. Doch je stärker sich die deutsche Teilung im Laufe der Jahrzehnte vertiefte, desto entrückter wirkte die Bonner Feierstunde, die abwechselnd von Rednern der Union und der SPD geprägt wurde.

Erst am 17. Juni 1989 sorgte ausgerechnet der SPD-Linke Erhard Eppler für einen Paukenschlag, der zuvor zum Mißfallen von CDU/CSU mit der DDR-Staatspartei ein Papier über den „Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ erarbeitet hatte. Der frühere Bundesminister, Anfang der fünfziger Jahre in der kurzlebigen Gesamtdeutschen Volkpartei (GVP) politisch sozialisiert, erhielt donnernden Beifall auch von CDU und CSU. Was war geschehen? 

Während in Westdeutschland das Wiedervereinigungsgebot des Grundgesetzes lautstark zur Disposition gestellt wurde, auch von Unionspolitikern, bezweifelte Eppler die Überlebensfähigkeit der DDR. Er sah die SED-Führung auf dünnem Eis. Er analysierte schonungslos, es handele sich schon „um tauendes Eis, um das schmelzende Eis des Kalten Krieges. Und wer sich da nicht bewegt, aus Furcht, er könne einbrechen, dürfte dem kalten Wasser nicht entkommen“. Die SED könne sich nicht „dem Geist des Wandels widersetzen“.

Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) gratulierte zu einer „bemerkenswerten Rede“. Knapp fünf Monate später fällt die Mauer in Berlin, ein Jahr später ist das geteilte Land wiedervereinigt.

Welch ein politischer Aufbruch! Aber welch ein Umschwung rund 30 Jahre später. Die mehrfach umbenannte SED wird wie selbstverständlich zu den demokratischen Parteien gezählt. Längst ist die Linke ein gefragter Koalitionspartner von SPD und Grünen, stellt Abgeordnete, Minister und in Thüringen sogar einen Ministerpräsidenten. Was hinzunehmen ist als Ergebnis demokratischer Wahlen. Wer aber Rot-Rot-Grün aus Gründen der demokratischen Hygiene in Frage stellt, wird als unverbesserlicher Kalter Krieger denunziert. So wie vor 1989 die „Entspannungsfeinde“ in der Union, die Schießbefehl und Menschenrechtsverletzungen in der DDR anprangerten.

Womit wir bei der CDU wären. In der Führung der einst antikommunistischen Partei wird längst über Bündnisse und Tolerierungsmodelle mit der Linken nachgedacht. Schleswig-Holsteins Regierungschef Daniel Günther („Genosse Günther“) gehört zu den Protagonisten dieses Kurswechsels, der ohne die DDR-sozialisierte Angela Merkel nicht denkbar gewesen wäre. Dabei wird die Liste offener und verdeckter Zusammenarbeit zwischen CDU und Linken immer länger. Und unappetitlicher. Jüngst wurde in Mecklenburg-Vorpommern eine erklärte Verfassungsfeindin der Linkspartei mit CDU-Stimmen zur Richterin am Landesverfassungsgericht in Greifswald gewählt. Man erinnere sich an den „Zivilisationsbruch“ von Erfurt, da mit den Stimmen von CDU und AfD ein FDP-Politiker zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten gewählt wurde. Merkel verlangte von der CDU ultimativ, das Ergebnis rückgängig zu machen, und so wurde der Linke Bodo Ramelow wieder in die Staatskanzlei gehievt. So viel zum Thema demokratische Wahlen.

Schließlich „bewährt“ sich die Zusammenarbeit mit der Linken auch im Bundestag. Soeben haben die Generalsekretäre von CDU, CSU, SPD, Grünen, Linken und FDP unter Hinweis auf die Corona-Krise gemeinsam beschlossen, das Wahlgesetz zu ändern. Nur die AfD wurde nicht gefragt. Früher waren Anträge mit der Linken für CDU/CSU ein Tabu.

Zurück zu Max Fettling und Paul Othma. Das angekündigte „Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft“ läßt seit 30 Jahren auf sich warten. Geschichtsvergessenheit, die nicht überrascht, wird doch der „Kulturwandel“ längst praktiziert in den Gedenkstätten, die an das kommunistische Unrecht erinnern. In Berlin haben CDU und Linke Seit an Seit dafür gesorgt, daß der renommierte Historiker Hubertus Knabe seinen Chefsessel in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen räumen mußte. Dem Antikommunisten war es zu verdanken, daß jährlich rund 450.000 Besucher mit den unfaßbaren Verbrechen der Kommunisten konfrontiert worden sind. Der Unionsfraktionsvize im Bundestag Arnold Vaatz, ein ehemaliger DDR-Häftling, meinte resignierend, hinter den Annäherungen der CDU an die Linkspartei stecke „Machtkalkül“, um auch „diese Koalitionsoption möglich“ zu machen. Es gebe auch in „meiner Partei offenbar das Ziel einer vollständigen Rehabilitation der DDR“. Noch Fragen?

Ja, an den neuen CDU-Vorsitzenden, der seinen Parteifreund Vaatz widerlegen möge. Noch gilt der 2018 einstimmig gefaßte Unvereinbarkeitsbeschluß, der nicht nur Koalitionen, sondern auch „ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der Linken und der AfD ausschließt. Ein neuer Gerald Götting, der als Langzeit-Vorsitzender die Gleichschaltung der Ost-CDU mit der SED betrieben hat, wäre eine Schande für die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls.